Insektensterben: Der stumme Frühling?
Insektensterben: „Der stumme Frühling?“
„Es sind die Kleinsten, die unsere Welt am Laufen halten“, hat der amerikanische Biologe Edward O. Wilson einmal gesagt. Für ein funktionierendes Ökosystem sind unterschiedlichste Arten von Bestäubern wichtig – nicht nur die Honigbiene. Geht die Zahl und die Vielfalt der Bestäuber zurück, werfen in der Folge Nutzpflanzen weniger Ertrag ab. Wissenschaftler haben diesen „Servicewert“ der Insekten für den Menschen berechnet: Er entspricht weltweit 200 bis 500 Milliarden Euro pro Jahr.
Kommt nun „Der stumme Frühling“, wie es im Veranstaltungstitel hieß und vor dem die amerikanische Biologin Rachel Carson in ihrem Öko-Klassiker bereits 1962 warnte? Stirbt erst die Biene, dann der Mensch? Was sind die Ursachen des Insektensterbens? Was muss jetzt getan werden? Dies waren die Fragen, denen sich die drei Vortragenden Beate Jessel (Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz), Josef H. Reichholf (ehem. Leiter der Zoologischen Staatssammlung München und Wolfgang W. Weisser (Terrestrische Ökologie, TU München) in der Münchner Residenz stellten. Moderatorin der Veranstaltung war Susanne S. Renner (System. Botanik, LMU München).
Bild oben: Jeder kennt ihn - den Schachbrett-Falter. Er zierte auch die Einladung. Eine neue Studie des Senckenberg-Instituts vom Februar 2018 zeigt: Auch häufige Arten werden aufgrund von Verinselung von Lebensräumen sowie der Intensivierung der Landwirtschaft wieder selten.
Landwirtschaft Hauptverursacher des Insektensterbens
Im vollgepackten Auditorium mit etwa 400 sitzenden und stehenden Zuhörern führte Beate Jessel vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) aus, dass der Insektenrückgang in Deutschland nicht nur durch einzelne Studien, sondern auch über die Roten Listen der gefährdeten Arten für mehrere tausend Insektenarten dokumentiert sei. „Als eine wesentliche Verursacherin des Rückgangs kann die intensive Landwirtschaft ausgemacht werden,“ erläuterte Jessel. Der Agrarsektor sei verantwortlich für einen Rückgang des Blütenangebots, die zunehmende Strukturverarmung der Landschaft sowie die gestiegene Anwendung von Pflanzenschutzmitteln wie etwa Glyphosat. Dessen schädliche Auswirkungen auf die Biodiversität seien belegt und unstrittig.
Wie das BfN bereits im Agrarreport 2017 ausführte, sind Nährstoffüberangebot, die Einengung der Feldfruchtwahl, die Homogenisierung und Vergrößerung der Schläge und der damit verbundene Rückgang von Randstrukturen und Blühstreifen sowie die gestiegene Anwendung von Pflanzenschutzmitteln wesentliche Einflussfaktoren. Viele Insekten verlören dadurch ihre Nahrungsgrundlagen und Lebensräume. „Die Rufe nach besserem Monitoring und Ad-Hoc-Maßnahmen reichen nicht aus, es braucht vielmehr einen grundlegenden Systemwechsel in der Landbewirtschaftung,“ forderte die Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz.
Bild oben: Skorpionfliege auf Färberkamille auf einem nicht mit Agrargiften gespritzten und nicht gedüngtem Blühstreifen. Auch Raubbfliegen gehören zu den stark abnehmenden Insektengruppen in Deutschland.
Neuorientierung der Agrarförderung
Konkret schlug Jessel eine Neuausrichtung der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP 2020) und die Reform der EU-Agrarsubventionen vor. Die erste Säule der Förderung – dies sind Direktzahlungen an die Landwirte je Hektar genutzter Fläche – müsse komplett wegfallen. Künftig sollten die Gelder konsequent an gemeinwohlfördernde Bedingungen wie Umwelt- und Landschaftsschutz gebunden werden. Das bisherige Greening sei praktisch wirkungslos.
Dem Vorschlag aus dem Publikum, die Subventionen ganz zu streichen, damit mehr Grenzertragsflächen aus dem Wettbewerb fallen könnten und der Natur zurückgegeben würden, erteilte sie jedoch eine Absage. „Ich befürchte, dass dies lediglich zu einer intensiveren Bewirtschaftung der ertragreichen Flächen führen würde.“ Ein Programm gegen das Insektensterben müsse zudem beinhalten: eine sofortige Reduktion des Einsatzes chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel, die Beratung von Landwirten, die Schaffung eines vielfältigen Landschaftsmosaiks, den Stopp der Habitatsverluste und die bessere Pflege von Schutzgebieten.
"Außer Mais soll hier nichts mehr existieren!"
Wie sieht es mit dem Insektensterben in Bayern aus? Dieser Frage widmete sich der ehemalige Leiter der Zoologischen Sammlung in München, Josef H. Reichholf. Der prominente Biologe und Buchautor („Ornis“, „Symbiosen“) belegte mit den Daten einer eigenen Studie, dass die Häufigkeit der nachtaktiven Schmetterlinge seit den 1970er Jahren auf südostbayerischen Fluren um 80 Prozent zurückgegangen ist. Für die Kleininsekten betrug der Rückgang sogar über 95 Prozent. Auch Reicholf macht die Landwirtschaft als Hauptverursacher aus. „Heute finden Sie Insekten am ehesten noch auf der Autobahn sichtbar auf der Windschutzscheibe ihres Autos, weil es hier unbelastete Randstreifen gibt – auf der Landstraße bleibt die Scheibe mittlerweile insektenfrei!“, so Reichholf. Der stumme Frühling sei auf den Feldfluren bereits Realität, es gebe nur noch die Hälfte der Vogelbestände von 1980.
In Südostbayern sei dies eine direkte Folge des massiven Maisanbaus und des damit verbundenen Pestizideinsatzes. Reichholf: „Außer Mais kann dort nichts mehr existieren – und soll nichts mehr existieren!“ Für den dramatischen Artenrückgang insbesondere des vergangenen Jahrzehnts sei vor allem die fehlgeleitete Förderung von Mais als Energiepflanze zuständig.
Bild oben: Maisernte in Ostbayern.
Sofortmaßnahme: „Eh da“-Flächen
„Die Abnahme der Insekten als auch die Ursachen sind schon seit langem bekannt“, argumentierte der letzte Vortragende, der Bodenökologe Wolfgang W. Weisser von der TU München. Es sei jetzt die Aufgabe der Exekutive, nicht der Wissenschaft, die Erkenntnisse umzusetzen und geltende Gesetze anzuwenden. In Bayern sei die Fruchtfolge auf den Äckern faktisch abgeschafft, dies führe zu einer dramatischen Verarmung der Artenvielfalt in den Böden mit entsprechenden Folgen für Insekten- und Vogelbestände.
Neben der Agrarwende verwies Weisser auf Lösungsmöglichkeiten, die Gemeinden deutschlandweit sofort zur Verfügung stünden, um das Insektensterben zu bekämpfen: „Vorhandene, bislang nicht wirtschaftlich genutzte Flächen im Besitz der Gemeinden könnten umgehend zur Förderung der biologischen Vielfalt umgewidmet werden.“ Vorbildlich sei hier das Projekt der sogenannten „Eh da“-Flächen des Agrarbiologen Christoph Künast. „Eh da“ steht hier für „ohnehin schon vorhanden“ und bezeichnet ungenutzte Flächen in öffentlicher Hand, die zwei bis sechs Prozent der Gesamtfläche Deutschlands ausmachen. „Die Wissenschaft kann die Kommunen hier bei der ökologischen Umstellung beraten, die Initiative müsse aber von der Verwaltung und Exekutive ausgehen,“ resümierte Weisser.
Bild oben: Eine typische ungenutzte Eh-da-Fläche – Straßenbegleitgrün der Stadt München.
Das Podium im Plenarsaal der Bayerischen Wissenschaften (von re. n. li.): Die Vortragenden – Wolfgang Weisser, Beate Jessel und Josef H. Reichholf, sowie (verdeckt) die Moderatorin Susanne S. Renner.
Weitere Informationen:
Flyer der Veranstaltung mit Kurzbiografien der Vortragenden
Informationen zum Insektenrückgang auf der Website des Bundesamts für Naturschutz
Slow Thema: Bienen und Bestäuber
Alle Bilder: © Katharina Heuberger