Weltverbrauchertag 2019: Was Slow Food Deutschland fordert
Aus Sicht von Slow Food hat jeder Mensch das Recht auf gute, saubere und faire Lebensmittel. Doch ist es um unseren Lebensmitteleinkauf inzwischen sehr komplex bestellt. Es besteht ein Überangebot von zumeist nährstoffarmen und hochverarbeiteten Nahrungsmitteln, was sich negativ auf die Qualität und den wahren Preis von Nahrungsmitteln, auf die Gesundheit aller Lebewesen sowie den Schutz von Umwelt und Klima auswirkt. Ein Gütesiegel, welches über die wahre Qualität eines Lebensmittels im umfassenden Sinne informiert, gibt es nicht. Auch eine Nährwertkennzeichnung nach dem Raster Fett, Kohlehydrate, Salz und Zucker greift dafür zu kurz. Wichtige Erkennungsmerkmale für Qualität wie Angaben zu Lieferketten, Verarbeitungsprozessen und Herkunft der Inhaltsstoffe lassen sich für die meisten industriellen Lebensmittel kaum abbilden.
Ursula Hudson, Vorsitzende von Slow Food Deutschland, fordert mehr Klarheit und Transparenz für den Lebensmitteleinkauf:
Die Politik sollte Vorbild sein und unseren Lebensmitteln ihren Stellenwert als Mittel zum Leben zurückgeben, sie in in ihrer wahren Qualität und ihrem Preis aufwerten und Transparenz sicherstellen. Eine belastbare, verständliche und rechtlich verbindliche Lebensmittelkennzeichnung ist ein längst überfälliger Schritt im aktuellen System und muss beim Staat anstatt bei einzelnen Handelsketten liegen. Die Politik sollte auch dazu beitragen, Lippenbekenntnisse der Verbraucherinnen und Verbraucher über den Kauf von ökologischen Produkten in verlässliches Handeln zu transformieren. Dafür braucht es eine ganzheitliche Verbraucherbildung und die Umstellung auf ökologische Landwirtschaft und Fischerei, mit der wir die Grenzen unseres Planeten wahren. Billigfleisch aus Massentierhaltung sowie Fisch aus überfischten Beständen und illegalen Fangnetzen stünden dann erst gar nicht mehr zur Wahl. Und die Menschen wären befreit aus einem Kostendilemma, welches eigentlich keines sein dürfte, da es Lebensmittel zu den Billigpreisen schlichtweg nicht geben kann und dürfte.
Statement zum Weltverbrauchertag von Gerhard Schneider-Rose, Leiter Slow Food Nordhessen:
John F. Kennedy als eines der grundlegenden Verbraucherrechte hat proklamiert, aus einer Vielfalt von Produkten mit marktgerechten Preisen auswählen zu können. Leider ist heute aus dem „marktgerechten Preis“ der „niedrigste Preis“ geworden. Marktgerecht produziert der, der am billigsten anbietet. Dies führt zu einer zunehmend industriellen Ausrichtung der Lebensmittelproduktion. Angebaut werden Getreide-, Gemüse- und Obstsorten, die mit geringstmöglichem Aufwand den maximalen Ertrag pro Fläche liefern. Angebaut wird angesichts niedriger Transportkosten, wo die optimalen klimatischen und geologischen Voraussetzungen gegeben sind. Dies führt dazu, dass der Rückgang der biologischen Vielfalt nicht nur die Wildpflanzen betrifft, sondern auch Nutztiere und Nutzpflanzen. Von über 2000 in Deutschland vor hundert Jahren verbreiteten Apfelsorten findet man allenfalls noch Boskop und Cox Orange in den Ladentheken sowie einige neue Sorten mit wohlklingendem Namen, die saftig und süß, aber geschmacklos sind. Bei den Kartoffeln ist es noch schlimmer: Bestenfalls wird noch zwischen „festkochend“ und „mehlig kochend“ unterschieden.
Slow Food setzt sich für die Bewahrung der Vielfalt an Sorten und Rassen ein, indem es die geschmacklichen Unterschiede und besonderen Küchenqualitäten alter Sorten herausstellt. Für uns muss ein marktgerechter Preis auch das wirtschaftliche Wohlergehen der Landwirte und Weiterverarbeiter sichern und darf nicht zu Beeinträchtigung von Boden, Luft und Wasser führen.
Statement zum Weltverbrauchertag von Falko Kraft, Leitung Slow Food Youth Deutschland
In den letzten Jahren thematisierte der Weltverbrauchertag den digitalen Wandel. Aus Slow-Food-Perspektive: Wie kann ich in einer digitalen Welt mündige Entscheidungen treffen im Hinblick auf gute, saubere und faire Lebensmittel? Mittlerweile gibt es zahlreiche Apps für Mobiltelefone zu ernährungsrelevanten Themen: Rezepte, Ernährungsberater oder Einkaufsberater, die einem im Supermarkt mehr über die Inhaltsstoffe von Lebensmitteln verraten. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft gibt in einer App Tipps für weniger Lebensmittelverschwendung und die Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein hat einen Saisonkalender fürs Handy herausgebracht.
Auch von Seiten der Lebensmittelhersteller gibt es mittlerweile Vorstöße: ein Fischhersteller beispielsweise druckt QR-Codes auf seine Verpackungen, mittels derer sich Informationen zu Herkunft und Fangmethode abrufen lassen. Hier sollten sich andere Hersteller ein Beispiel nehmen: Der Bewusstseinsbildung bei Lebensmittelkunden steht eine Informationspflicht der Hersteller gegenüber. Transparenz in Bezug auf Herstellung, Handelsbeziehungen und Herkunft sollte auch vom Gesetzgeber detaillierter eingefordert werden. Der Weltverbrauchertag ist eine gute Möglichkeit, Verbraucher daran zu erinnern, welche Macht sie mit ihren Konsumentscheidungen haben; die Hersteller daran, was ethische Grundsätze, Verantwortungsbewusstsein und Transparenz bedeuten und die Politik an ihre Verantwortung, den gesetzlichen Rahmen dafür zu schaffen.
Statement zum Weltverbrauchertag von Catherine Winter, Leitung Slow Food Leipzig-Halle
Das Einkaufsverhalten der Verbraucher wird gerne als alleinige Ursache für Massentierhaltung und industrielle Landwirtschaft dargestellt. Aber seien wir doch mal ehrlich. Welcher Verbraucher möchte, dass Tiere für den Genuss leiden? Wer nimmt es gern in Kauf, dass unsere Lebensgrundlagen durch Pestizide und Neonicotinoide kaputt gemacht werden? Wer übernimmt freiwillig die Verantwortung dafür, dass unsere Meere mittlerweile großen Müllhaufen gleichen? Mit freiwilliger Selbstverpflichtung, mit der sich die Politik gern aus der Verantwortung stiehlt, wird auch nichts besser. Nein, es ist immer eine Aufgabe aller Verantwortlichen. Der Verbraucher ist in der Pflicht, aber auch die Politik und die Industrie. Und dass wir Verbraucher immer dringender einfordern, dass die Verantwortung nicht nur auf unseren Schultern lasten soll, zeigt das Ergebnis des Volksbegehrens Artenvielfalt in Bayern. Ich hoffe, es geht nun ein Ruck durch dieses Land und durch die Reihen der Verantwortlichen!
Wir von Slow Food Leipzig-Halle möchten unseren Anteil an dieser Aufgabe in unserer Region übernehmen. Auf Messen sprechen wir mit Verbrauchern und informieren kritisch über die heutige Lebensmittelproduktion. Mit Besuchen von Produzenten geben wir Besuchern die Möglichkeit, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen und die Menschen hinter den Lebensmitteln kennen zu lernen. Ich wünsche mir wieder mehr Wertschätzung: für die Bauern, für die Lebensmittelhandwerker und für ihre guten, sauberen und fairen Produkte.
Bilder (c) Slow Food (1), Elisabeth Mühleder (1), Falko Kraft (1), Katrin Knüpfer (1)