Vermeintliche Heilsbringer
Wir schreiben das Jahr 2019 und das steht dem Anschein nach im Zeichen des »Biolebensmittels«. Dies verlässt zunehmend seine Nische und betritt mit neuen und erst einmal ungewohnten Kooperationen, so wie etwa der zwischen Lidl und Bioland, den Massenmarkt. »Ökologisch erzeugte Lebensmittel für jedermann erschwinglich« – ein erklärtes Ziel, welches auch in Slow-Food-Ohren wohl klingt. Und obwohl die Folgen dieser Kooperation durchaus offen sind und ich mir eigentlich nur gute wünsche, erlaube ich mir doch, die verheißene Win-win-Situation anzuzweifeln und zum Nachdenken über den wahren Preis, die versteckten Kosten und die Sinnhaftigkeit dieser Zusammenarbeit anzuregen.
Gemäß der Discounter-Logik hilft dabei eine nüchterne Kosten-Nutzen-Rechnung. Blicken wir zunächst auf den Nutzen und die Gewinner: Da haben wir Lidl selber. Die Kooperation wird sicher Image und Umsätze steigern. Und obgleich der Konzern hier nicht als Überzeugungstäter für ökologischen Landbau agiert, sondern aus hartem, monetärem Nutzen, halte ich Lidl zugute, neuen Käuferschichten wortwörtlich den Geschmack ökologisch erzeugter Lebensmittel nahe zu bringen. Im Idealfall steigt die Nachfrage nach diesen im Vergleich zum EU-Biosiegel hochwertigeren Produkten, die in Deutschland erzeugt werden.
Die Zusammenarbeit verspricht den Landwirten langfristige Lieferverträge und faire Preise. Lidl sagt zu, mit der Qualität der Produkte statt mit billigen Preisen zu werben und für Unstimmigkeiten ist eine Ombudsstelle eingerichtet. Auch Bioland selber sowie bislang vor allem einige seiner größeren Milchbetriebe profitieren von dieser Kooperation. Darunter sind Betriebe, die infolge der Milchkrise von 2015/2016 auf Biomilch umgestellt haben und deren Angebot zuletzt die Nachfrage an Milch überstieg. Diesen Abnahmestau fängt Lidl auf und sichert den Absatz. Nutznießer sind auch die Verbraucher, weil sie Bio zu günstigeren Preisen erhalten und sich immer mehr Menschen gut ernähren können. Es ist also Bewegung im Markt.
Doch darf dies unseren Scharfsinn nicht trüben und Discounter wie Lidl mit Heilsbringern für den Umbau auf einen zukunftsfähigen Ökolandbau und die Ernährungswende verwechseln. Mit Partnern wie Lidl bewegen wir uns auf dem Markt der Masse, der Billigpreispolitik, der Standardisierung. Hier entstehen Abhängigkeiten, der Preis entscheidet, nicht zuletzt, wenn es darum geht, sich gegenüber anderen Discountern durchzusetzen. Und auch gegenüber dem Sortiment kleinerer bis mittelgroßer Bioläden. Die nämlich können (und wollen) schlichtweg nicht mit denselben niedrigen Preisen wie Lidl konkurrieren. Verzeichnen sie aber Einbußen, tun dies zwangsläufig auch ihre Bauern und damit jene, die nicht an Läden wie Lidl liefern.
Laufen wir dann nicht Gefahr, auch im Ökolandbau die wachsenden, immer größeren Betriebe zu bevorteilen? Anstatt alte Feindbilder zu nähren, bin ich sehr dafür, auch mit Vertretern der Discounter im Gespräch zu sein. Doch sind sie als strategischer Partner mit Vorsicht zu genießen. Unzweifelhaft aber füllen die Discounter zunehmend die Leerstellen unserer Politik. Wie schon bei der Haltungskennzeichnung von Fleisch sind sie ihr einen Schritt voraus, greifen ihr vorweg, wenn es darum geht, Bauern Anreize für die Umstellung auf Ökolandwirtschaft zu schaffen. Dieser soll laut Koalitionsvertrag bis 2030 auf 20 Prozent ausgeweitet werden. Und das sollte fair und sozial gerecht ausgestaltet werden, in einem Rahmen, der die Grenzen unseres Planten wahrt, dem Umweltschutz und der Artenvielfalt dient.
Deshalb ist die Frage, in welchem System wir wirtschaften – ob konventionell oder ökologisch – doch die entscheidende. Ökologisch erzeugte Lebensmittel für alle – ja, aber zu Bedingungen in Erzeugung und Weiterverarbeitung, Vertrieb und Handel, die ethisch korrekt und zukunftsfähig sind. Wir müssen die Sinnhaftigkeit zunehmender Mengen und Größen hinterfragen und ebenso einmal ein kritisches Auge auf die Frage werfen, welche Folgen die zu großen Mengen an Lebensmitteln haben, die im Umlauf sind – Folgen für die Qualität und den Preis, für die Gesundheit der Umwelt, für alle Lebewesen. Wir müssen verhindern, dass Größe und Spezialisierung auch im Biobereich der Garant fürs Überleben von Landwirtschaftsbetrieben bleibt.
Wir brauchen Platz für Kleinerzeuger, die in geschlossener Kreislaufwirtschaft arbeiten, mit Können handwerklich produzieren und die auch fair bezahlt werden müssen. Der Qualitätsbezug unserer Lebensmittel muss auch regional und saisonal verortet sein. Die Distanz zur Herkunft, zum Erzeuger und dessen Boden darf nicht weiter wachsen. Deshalb bin ich der Überzeugung, dass wir aufpassen sollten, zu stark auf den Discounter als Absatzmarkt für zukunftsfähige Lebensmittel zu setzen. Mir scheint das momentan so etwas wie der bequemere Weg im aktuellen System zu sein, aber keine Lösung. Eine echte Wertigkeit von Lebensmitteln widerspricht der Grundlage des Discounts. Denn für den Discount, den niedrigeren Preis bei Lebensmitteln, zahlt irgendjemand – und wenn es der Bio-Erzeuger ist, der seine Lebensmittel nicht bei Lidl verkauft, sondern nebenan im Bioladen.
Bild (c) Misereor