Fleisch ist kein Gemüse
Die meisten von uns werden ihn sicher kennen: Den Titel des Bestsellers »Fleisch ist mein Gemüse« von Heinz Strunk. Eine passendere Überschrift, um die Entwicklung unseres Fleischkonsums in den vergangenen Jahrzehnten zu betiteln, ließe sich schwerlich finden. War Fleisch einst rar, teuer und kostbar, wurde es mit dem Wirtschaftswunder zunehmend zu einem Billigprodukt. Die saisonale Gemüsebeilage und die Mehlspeisen wurden durch Fleisch nicht nur ergänzt, sondern reduziert, wenn nicht gar ersetzt.
Dass wir zu viel Fleisch essen und dafür eine Lösung brauchen ist aufgrund von Klimawandel, Tierleid und Gesundheitsproblemen inzwischen eine zwangsläufig (an)erkannte Tatsache. Den Weg der Fleischreduktion konsequent zu gehen jedoch fällt uns schwer, weil wir uns weiter auf längst ausgetretenen Pfaden im falschen System bewegen. Und dabei beißt sich die Katze nun einmal selbst in den Schwanz. Anstatt dass wir umdenken und unsere Ernährungsgewohnheiten umstellen, greifen wir nach bequemen und schnellen Lösungen.
Hoch prozessierte Fleischersatzprodukte gehören dazu. Sie beruhigen unser Gewissen und sind lukrativ. Ihr Markt ist seit Jahren immens, sein Wachstum längst nicht abgeschlossen. Das beweisen aktuell amerikanische Unternehmen wie Beyond Meat (und sein Konkurrent Impossible Burger), die eine neue Ära des veganen Bratlings einläuten. Nie zuvor wurde darum so viel Hype betrieben. Sie scheinen den Spieß umzudrehen, das Motto: »Gemüse ist mein Fleisch«. Denn in Konsistenz, Optik und Geschmack ahmt der Burger Fleisch so täuschend echt nach, dass er vor allem Fleischesser überzeugen und ihren Fleischkonsum drastisch reduzieren soll. Fast Food-Ketten, Discounter und Investoren lechzen nach der runden Fleisch-Alternative, inzwischen auch in Deutschland. Nach Lidl schmückt seit Juli auch Netto sein Frischeregal mit Beyond Meat Burger.
Löst diese Art der Innovation den Großteil der Probleme unseres Lebensmittelsystems und wendet es sich nun zum Guten? Ganz und gar nicht! Erstens, weil ein stark verarbeiteter Beyond Meat Burger mit einem echten, guten Lebensmittel, wie Slow Food es versteht, nichts zu tun. Er besteht aus Erbsenprotein, Raps- und Kokosnussöl sowie einer langen Zutatenliste, u.a. mit Karoffelstärke, Hefeextrakt, Ascorbinsäure, Betenrot. Produkte wie diese entfernen uns immer weiter von unseren Grundnahrungsmitteln, deren Ursprung und echten Geschmack.
Zweitens wird diese vermeintliche Alternative in industriellen und kapitalintensiven Strukturen der Nahrungsmittelbranche hergestellt. Von zukunftsfähig arbeitenden Landwirten kommen sicher weder die Erbsen noch die Rote Bete. Drittens haben diese Unternehmen keinerlei Interesse daran, für eine ausgewogene Ernährung zu werben, welche im Einklang mit Mensch, Tier und Umwelt steht und bei der wir unser Essen wieder selber zubereiten und kein Erzeugnis in unverhältnismäßigen Mengen konsumieren. Daraus ließe sich für sie weniger Kapital schlagen. Viertens ist es nicht zielführend, Nutztiere per se zum Umweltsünder zu degradieren, alles tierische zu verschmähen und in einem fleischlosen Zeitalter die Lösung aller Probleme zu sehen. Damit lenken wir von uns Menschen, unserer Unlust und unserem Unvermögen, das gesunde Mittelmaß zu finden, ab. Wir brauchen Wiederkäuer, die wir auf Wiese und Weide als Teil einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft halten. Sie unterstützen uns maßgeblich dabei, die Bodengesundheit und die Artenvielfalt zu erhalten und das Klima zu schonen. So sehr ich die drastische Reduzierung unseres Fleischkonsums für längst überfällig halte, so sehr möchte ich uns alle dazu ermutigen, dies auf natürliche Art und Weise zu tun. Die bunte Vielfalt von Linsen, Bohnen und Erbsen dienen uns dafür als wunderbare Proteinquelle anstelle von Fleisch, Fisch und Laboressen. Wir verfügen über einen Schatz an fleischlosen Gerichten mit Zutaten, die nicht versuchen, wie Fleisch daherzukommen und an Gewürzen, die unsere Lust nach herzhaften und würzigen Aromen stillen. Immerhin war auch in Deutschland die Küche noch vor dem zweiten Weltkrieg traditionell vielerorts fleischlos.
Richten wir unseren Geschmack an den Nahrungsmitteln aus, die uns ökologisch arbeitende Bauern zur Verfügung stellen können und nicht die Industrie oder das Labor künstlich ersetzen. Und dabei kann es durchaus ab und zu ein Stück Fleisch geben, aber eben von Tieren, die artgerecht gehalten und geschlachtet werden und mit einer Zubereitung, die möglichst viel vom Tier nutzt. Vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen in der Lebensmittelbranche erscheint mir unser Plädoyer, den Ursprung unserer Nahrung und deren Erzeuger zu kennen wichtiger denn je. Sonst wird uns in Zukunft immer mehr »fake« erwarten. Und das scheint sich beim Fleisch besonders gut zu verkaufen.
Text: Ursula Hudson, erschienen im Slow Food Magazin 4/2019