Futtermittelskandal_SF_Stellungnahme

Abschied von der Agrarindustrie - Willkommen beim echten Genuss

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Bild: Dioxin ausgeschlossen. Auf dem Löffler-Hof der Demeter-Bauern Elke und Michael Friedinger in Berg am Starnberger See haben die rund 150 Hühner nicht nur ein glückliches Leben, sondern erhalten auch nur Futter vorzugsweise aus eigener Erzeugung und vor allem in Demeter-Qualität. | Foto: Johannes Bucej

"Es gibt kein richtiges Leben im Falschen", wusste schon Th.W. Adorno. Der Dioxin-Skandal zeigt: Das agroindustrielle System hat endgültig ausgedient. Die Lösung liegt im Bewusstsein vom Wert der Lebensmittel und in der Bildung lokaler Netzwerke von Bauern, Lebensmittelhandwerkern, Handel und Verbrauchern. Ein Beitrag von Dr. Rupert Ebner, Schatzmeister und zuständiges Vorstandsmitglied für Landwirtschaft bei Slow Food Deutschland.

Viele Betroffene erinnern sich gerade in diesen Tagen, dass vor genau zehn Jahren die BSE-Krise, allgemeinsprachlich als Rinderwahnsinn bezeichnet, landwirtschaftliche Produzenten und Konsumenten erschütterte.

Die seinerzeit in allen Medien nahezu stündlich auftauchende „wahnsinnige Kuh“ löste eine hektische Betriebsamkeit aus, die die Politik zu eiligen und weitreichenden Regulierungen veranlasste. Nicht zuletzt trat mit dem Rückzug des zuständigen Bundesministers der Vertreter eines längst überholten Landwirtschaftsmodells ab. Die in der Folge eingeläutete „Agrarwende“ gab Anlass zu der Hoffnung, dass nunmehr auch die Strukturen des agroindustriellen Systems wirksam verändert würden. Diese Hoffnung hat sich anscheinend mit dem neuesten Dioxin-Skandal zerschlagen.

Dioxin im Tierfutter – Symptom eines Systems ohne Zukunft

Dass mit Dioxin kontaminierte Industriefette in die Tiernahrung gelangten, zeigt nicht nur, dass die Wachsamkeit der Behörden deutlich nachgelassen hat und Schwachstellen des Systems nicht gezielt überprüft wurden. Es ist auch der Beleg dafür, dass es bisher nicht gelungen ist, das alte Denken nachhaltig zu überwinden, dem zufolge es vor allem der Preis und die Menge sind, die für die Erzeugung von Lebensmitteln ausschlaggebend sind. Wenn jetzt der Deutsche Bauernverband lautstark nach Schadensersatz ruft, ist dies aus der Sicht der betroffenen Landwirte zwar verständlich, es verdeckt aber die Tatsache, dass die Bauernfunktionäre selbst seit jeher effektivere Kontrollen der entsprechenden Betriebe verhindern. Schadensersatzforderungen, die letztlich der Steuerzahler zu tragen hätte, sind jedenfalls fehl am Platz. Und die Verursacher werden sie aus eigener Kraft nicht aufbringen können. Das allein zeigt schon, in welche Ausweglosigkeit sich dieses System manövriert hat.

Natürlich könnten wir uns jetzt schlicht bestätigt fühlen, denn aus der Sicht von Slow Food sind die aktuellen Ereignisse eine – wenn auch fast zynisch zu nennende – Steilvorlage hinsichtlich der Forderung nach einer Reform der Landwirtschaft. Nie war die Notwendigkeit einer Neuausrichtung der Agrarpolitik auf eine kleinteilige bäuerliche Landwirtschaft offensichtlicher, nie war der Abschied von dem agrarindustriellen Irrweg dringlicher. Dabei kann es jetzt nicht mehr darum gehen, nur wieder Flickschusterei zu betreiben und notdürftige Reparaturen am System vorzunehmen. Selbst eine massive Ausweitung von Kontrollen wird nicht verhindern können, dass sich Ähnliches jederzeit in diesen Dimensionen wiederholen kann. Eine wirkliche Agrarwende muss eine komplette Abkehr von dem als Sackgasse erkannten agroindustriellen System sein. Aus einer Sackgasse kommt man nicht dadurch heraus, dass man kurz zurücksetzt, um dann mit größerer Wucht und höherer Geschwindigkeit noch einmal hineinzufahren in der Hoffnung, den Spielraum doch noch vergrößern, die Strecke doch noch verlängern zu können. Eine Sackgasse ist und bleibt eine Sackgasse. Der einzige Weg ist eine Umkehr und die Suche nach einem anderen Weg.

Bereitschaft zur nachhaltigen Verbesserung der Lebensqualität

Slow Food tritt für eine bäuerlich geprägte Landwirtschaft ein sowie enge Beziehungen zwischen den Landwirten und den Verbrauchern. Das erfordert Vertrauen. Der Landwirt oder der Lebensmittelhandwerker muss uns ehrlich offenlegen, wie sein Produkt, sein Lebensmittel entstanden ist bzw. hergestellt wurde. In einem überdimensionierten, völlig undurchsichtigen System ist das nicht möglich. Die Anonymität der Beteiligten in der Erzeuger-Verbraucher-Kette verhindert das – bisher.

Die Lösung liegt in der Schaffung kleiner räumlicher Strukturen und Netzwerke sowie überschaubarer Einheiten, in der Befreiung der Bauern aus den Verstrickungen einer auf Massenproduktion angewiesenen Konsum- und Profitmentalität, die sie letztlich auf der Strecke bleiben lässt. Es ist eine Mär, dass die Versorgungssicherheit durch regionale Strukturen nicht gewährleistet werden könnte. Es ist eine Mär, dass eine derart neu aufgestellte Landwirtschaft auf dem „Weltmarkt“ nicht konkurrenzfähig wäre.

Es genügt jedoch nicht, die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen endlich so zu gestalten, dass dieses Ziel auch erreicht werden kann. Zum politischen Willen zur Neugestaltung muss die gesellschaftliche und individuelle Bereitschaft zu einer anderen, nachhaltigeren und letztlich auch qualitativ höheren Lebensgestaltung dazu kommen. Ein Ausstieg aus dem heutigen System erfordert Mut von den einzelnen Landwirten – gewiss. Aber kritische und sowohl Lebensmittel als auch ihre Produzenten wertschätzende Verbraucher können sie dabei unterstützen und so selbst zu „Ko-Produzenten“ werden. Hierzu gehört als starker Partner auch ein Lebensmittelhandel, dessen Aufgabe es sein wird, gemeinsam mit den Produzenten zu einer transparenten Preisgestaltung beizutragen statt einen immer größeren Preisdruck aufzubauen, der angeblich vom Konsumenten gefordert wird und dem auch der gutwilligste bäuerliche Produzent nicht gewachsen ist.

Ein solches Netzwerk existiert bereits, und es hat einen Namen: Terra Madre. Slow Food hat vor Jahren begonnen, es zu knüpfen – weltweit. In anderen Ländern, gerade denen, die wir als „Entwicklungsländer“ zu apostrophieren gewohnt sind, ist es schon aktiv. Es liegt an uns, dieses Netzwerk auch hier in Deutschland zu etablieren und auszuweiten – durch Unterstützung der lokalen Produzenten, durch Einkaufsgemeinschaften, durch Kooperationen mit Handel und Gastronomie, durch Verbraucheraufklärung.

Nicht warten - handeln!

Wie ernst es uns damit ist, können wir am 22. Januar in Berlin zeigen – bei der Demonstration „Wir haben es satt“, die von 18 Organisationen, darunter auch Slow Food Deutschland, vorbereitet wird. Ein wirksamer Protest gegen Tierfabriken, grüne Gentechnik und Dumping-Exporte, die nicht nur in Ländern der „Dritten Welt“, sondern auch bei uns für elende Zustände sorgen. (Mehr Informationen unter www.wir-haben-es-satt.de)

Aber Demonstrieren allein reicht nicht. Den Worten müssen Taten folgen. Das Schöne daran ist: Wir müssen nicht abwarten, bis die Weichen politisch, national und international dafür gestellt sind. Wir können sofort damit beginnen – jeder Einzelne, alle gemeinsam.

Wenn dies letztlich dazu führt, dass wir auch wieder lernen, unsere Lebensmittel wertzuschätzen und sie als Bestandteil einer höheren Lebensqualität und nicht nur als „Kostenfaktor“ für unsere Lebenshaltung zu sehen, hätte es einen weiteren erfreulichen Nebeneffekt für uns Slow Food Mitglieder und alle Menschen, die Essen nicht nur als Nahrungsaufnahme, sondern als sinnliche, genussvolle Aktivität betrachten: Unterschiedliches, regional erzeugtes Futter und der Region angepasste Nutztierrassen würden das Lebensmittelangebot um vielfältige und einzigartige Produkte bereichern. Wir könnten uns dem Einheitsgeschmack industrieller Agrarprodukte als Folge industrieller Futterproduktion entziehen. Wir alle können dabei nur gewinnen: Bauern, Lebensmittelproduzenten, Handel, Gastronomie und Kunden.

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