Petrini_fordert_Paradigmenwechsel_in_der_Landwirtschaft
Petrini fordert Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft
Foto: Lesung im Literaturhaus München, v. li. Julia Göbel (Übersetzerin), Carlo Petrini (Gründer und Präsident von Slow Food International), Eberhard Spangenberg (Gründer von Slow Food Deutschland)
„Die Jugend muss zurück aufs Land!“
"Ihr seid meine Helden“, begrüßte Petrini die jugendlichen Zuhörer während einer Podiumsdiskussion auf der BioFach, Weltleitmesse für Bio-Produkte, in Nürnberg. Eine der wichtigsten Aufgaben der Politik sei es, das Interesse junger Menschen an der Landwirtschaft zu erhöhen. In den Augen Petrinis befindet sich die Situation der europäischen Landwirtschaft in einer dramatischen Situation: Nur noch drei Prozent aller Erwerbstätigen sind Bauern, die Hälfte davon ist älter als 65 Jahre. In den 50er Jahren waren noch 50 Prozent aller Erwerbstätigen in der Landwirtschaft tätig. Kleinbauern erhalten die Artenvielfalt und den Boden, der durch die Agrarindustrie viel zu stark gefordert wird. Das alles dürfe Europa nicht verlieren.
Foto: Das neue Buch von Petrini, Terra Madre - Für ein nachhaltiges Gleichgewicht zwischen Mensch und Mutter Erde, ist im Februar auf Deutsch im Hallwag Verlag erschienen.
Die Chance zu einem Politikwandel sieht Petrini mit dem amtierenden EU-Agrarkommissar, Dacian Ciolos, gekommen. Er sei neuen Ideen gegenüber aufgeschlossen. Im Jahr 2012 plant Petrini deshalb ein Terra Madre Treffen mit Vertretern aus 27 europäischen Ländern in Brüssel. Das internationale Netzwerk von Terra Madre besteht aus vielen lokalen Zusammenschlüssen von Produzenten, Lebensmittelhandwerkern, Köchen, jungen Leuten, Wissenschaftlern und Menschen, denen verantwortungsvoll erzeugte Lebensmittel am Herzen liegen. Slow Food hat eine klare Botschaft für die EU-Politiker: Die europäische Landwirtschaft muss sich ändern, weg von der Lebensmittelerzeugung durch Agrarindustrie hin zu einer kleinbäuerlichen, nachhaltigen Landwirtschaft.
Foto: Ursula Hudson, Stellvertretende Vorsitzende von Slow Food Deutschland, eröffnet die Buch-Präsentation Petrinis auf der BioFach 2011 in Nürnberg.
„Essen darf nicht noch billiger werden!“
Von 32 Prozent des Einkommens auf 13 Prozent sind die Ausgaben der Italiener für Essen in den letzten 40 Jahren gesunken. Gleichzeitig werden in Italien täglich 4.000 Tonnen Lebensmittel, in den USA sogar 22.000 Tonnen, teilweise ungeöffnet weggeworfen. Für Petrini besteht hier ein direkter Zusammenhang. Lebensmittel kosten zu wenig, so wenig, dass man sie einfach wegwerfen kann. Sie haben nur noch einen Preis, aber keinen Wert mehr, wie noch in der Generation seines Großvaters, der die Brotkrümel am Tisch einzeln einsammelte. Hier muss das Umdenken bei den Verbrauchern ansetzen.
Foto: Klaus Budde (re.) vom Referat für Ökologische Landwirtschaft der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung wird von Carlo Petrini am Stand von Slow Food Deutschland auf der BioFach in Nürnberg begrüßt.
Verbrauch ist ein Akt der Produktion, sagte Petrini. Der passive Konsument muss also ein aktiver werden, einer der sich über Produktionsbedingungen informiert, Nachverfolgbarkeit und klare Etikettierung einfordert, lokale und fair bezahlte Landwirtschaft unterstützt und bereit ist für ein nachhaltig hergestelltes Lebensmittel mehr zu bezahlen. Das aus seiner Sicht falsche Verbraucherparadigma erläuterte Petrini an folgendem Beispiel: In Italien kostet Motoröl soviel wie Olivenöl, aber nur wenn der Preis von Olivenöl steigt, wird lamentiert, nicht wenn sich die Kosten für das Auto erhöhen. „Motoröl aber kann ich nicht essen, Ölivenöl ist existenziell.“
Foto: Carlo Petrini (3.v.l.) antwortet auf eine Frage aus dem Publikum bei einer Podiumsdiskussion zm Thema "Community Supported Agriculture" auf der BioFach in Nürnberg.
„Rezepte-Gastronomie ist Lebensmittel-Pornographie!“
Auch die Gastronomie muss dazulernen, verlangte Petrini. Im Fernsehen würde stundenlang nur über Rezepte gesprochen. Dabei können wir nicht über Rezepte reden, ohne auch über Artenschwund zu reden. „Ein Gastronom, der kein Umweltschützer ist, ist dumm, da er sich langfristig seiner eigenen Existenzgrundlage beraubt.“ Ebenso müssen Bauern gut bezahlt und dürfen Hilfskräfte in der Küche nicht ausgebeutet werden, das sei die Vision von Slow Food.
Fotos (5): Katharina Heuberger
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