Petrini Kolumne 06/2011
Mehr Mut bei der GAP-Reform!
Als ich neulich in Deutschland war, hatte ich die Möglichkeit, Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner zu treffen, um mit ihr über die anstehende Reform der GAP, der gemeinsamen EU-Agrarpolitik zu diskutieren, deren erster Entwurf am 12. Oktober vorgestellt wurde. Dieser scheint übrigens niemanden zufriedengestellt zu haben. Es hätte auch ein Zeichen sein können, dass man einen wirklichen Wechsel einleiten will, aber in der Tat ist die so sehnlich erwartete „grüne Wende“ sehr schwach ausgefallen: Dafür braucht man mehr Mut!
Die GAP wird Anfang 2014 in Kraft treten, und es gibt immer noch ein wenig Zeit, um Änderungen vorzuschlagen. Wir sind also in einer entscheidenden Phase, in der die Weichen für die Zukunft der Landwirtschaft in den einzelnen Staaten und im gesamten Europa gelegt werden. Deshalb engagieren wir uns als Verein, um die zukünftige GAP in Sachen Nachhaltigkeit zu beeinflussen, damit sie die kleinen und mittleren Produzenten und auch die jungen Landwirte berücksichtigt. Das sind drei Elemente der Landwirtschaft, die bisher so sehr bestraft worden sind, dass die gesamte europäische Landwirtschaft in die Krise hineingeraten ist. Wir werden alles tun, um es zu unterstützen, aber die einzelnen Mitglieder sollten sich auch engagieren, um Druck auf allen Ebenen auszuüben.
Zu den Positionen von Slow Food zur Reform der EU-Agrarpolitik
Teller statt Tonne – Wendepunkt für Deutschland?
Während meiner Deutschlandreise habe ich auch feststellen können, dass die ökonomische und ökologische Krise, die wir in der ganzen Welt erleben, mittlerweile keinen Bereich der Landwirtschaft mehr schont. Ich habe an der wunderbaren Initiative „Teller statt Tonne“ teilgenommen, die großen Erfolg hatte und hoffentlich für Slow Food Deutschland zu einem kleinen Wendepunkt geworden ist. Mein Tag begann mit der Gemüseernte, zusammen mit dem Bauer Axel Szilleweit. Mit vielen Helfern haben wir das Gemüse geerntet, aus dem in Berlin ein Essen für 1.000 Menschen zubereitet wurde.
Axel erzählte mir, dass er manchmal etwa die Hälfte seiner Bioprodukte wegwerfen muss: köstliches Gemüse, das aber den ästhetischen Maßstäben des Handels nicht entspricht. Es gibt schöne und hässliche Kohlköpfe, aber beide schmecken gut! Die Verschwendung, die das herrschende Lebensmittelsystem sowohl im Norden als auch im Süden der Welt verursacht, ist inakzeptabel, zumal weltweit eine Milliarde Menschen an Hunger leiden. In Stuttgart waren bei dem Event „Teller statt Tonne“ eine Woche später ca. 2.000 Menschen dabei. Mit dem Gast Madieng Sek, Referent des Dakar-Conviviums, gab es eine spannende Diskussion über Verschwendung und über den Wert von lokalen Lebensmitteln. Warum kosten ein paar Einkäufe beim Gemüsehändler mehr als ein Big Mac? Warum will keiner der Freunde unserer Kinder Bauer werden? Warum ist die Hälfte unserer Bekannten übergewichtig? Warum verschwenden wir so viel? Viele der Antworten, die man auf diese Fragen geben könnte, stecken in unterschiedlichem Ausmaß in einem riesigen Kessel, den man unter dem Namen „Gemeinsame Agrarpolitik“ (GAP) kennt. Die GAP ist ohne Zweifel einer der wichtigsten Bereiche der EU-Politik: Allein in sie fließen über 40 Prozent des gesamten EU-Haushalts.
Denken wir an die enge Verbindung zwischen dem Agrarproduktionssystem und der ökologischen Krise, in der wir immer mehr versinken. Einige lebenswichtige natürliche Ressourcen sind auf dem Altar der industriellen Landwirtschaft geopfert worden, jener Produktionsart, die die GAP immer begünstigt und unterstützt hat. Der wahllose Einsatz von Chemikalien und Kunstdüngern, das Erzwingen von Monokulturen, die Abholzung, der Anbau von gentechnisch veränderten Organismen usw. haben unsere Erde steril gemacht und das Grundwasser verschmutzt und aufgebraucht. Sie haben vor allem eine unermessliche Quelle von Reichtum aufs Spiel gesetzt: die biologische Vielfalt. Die Klimakrise droht in der Zukunft sehr gravierende Folgen für unsere Regionen und für unser Leben allgemein zu haben. Es wird geschätzt, dass neun Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen in der Europäischen Union von der Landwirtschaft verursacht werden. Das klingt fast ironisch, denn die Auswirkungen des Klimawandels bekommt vor allem die Landwirtschaft zu spüren.
Niedriger Preis – eine Garantie für schlechte Qualität
Denken wir an die Schizophrenie, die das Angebot von Lebensmitteln und unser Konsumverhalten prägt. Jahrzehnte subventionierter Lebensmittel und industrialisierter Landwirtschaft haben uns davon überzeugt, dass das Essen billig sein kann und soll. Selten denken wir darüber nach, warum es so billig ist, ob überhaupt Qualität darin steckt und welche Folgen das für unseren Körper hat. Wie Slow Food seit Jahren zu erklären versucht, ist die Erzeugung von Lebensmitteln, die gut, sauber und fair sind, mit bestimmten Kosten verbunden. Einen niedrigen Preis für Lebensmittel zu zahlen ist daher oft die Garantie für schlechte Qualität. Der Bauer Axel Szilleweit wird mit mir übereinstimmen.
Viele kleine Landwirte geben auf, kapitulieren vor der Übermacht der großen Produzenten, die schon immer enorme Subventionen von der EU erhalten haben. Es ist zwar vielen von Ihnen schon bekannt, aber es lohnt sich, es zu wiederholen: 85 Prozent der direkten Zuwendungen, die die EU an die Landwirte zahlt, kassieren 18 Prozent der Agrarproduzenten. Die mangelnde Unterstützung einerseits, die Unmöglichkeit, mit den Preisen der großen Produzenten zu konkurrieren andererseits, führen oft dazu, dass die kleinen Landwirte es nicht schaffen, über die Runden zu kommen. Einige geben einfach ihren Betrieb auf, andere werden vom Gefühl des Scheiterns zum Äußersten getrieben. Die Selbstmordrate bei Bauern ist in Europa sehr hoch. Europa hat vielleicht vergessen, oder wollte vergessen, dass es auch kleine Landwirte gibt. Diese werden als weniger produktiv als die Großen betrachtet, da der Wert ihrer Arbeit nicht anerkannt wird.
Dabei finden sich Qualität, Nachhaltigkeit, Umweltschutz, traditionelles Wissen, Einklang mit der Natur und Kreativität gerade in den kleinen Agrarproduktionen wieder. Hier ist die Erzeugung von Lebensmitteln ein sozialer Akt: In ihm wurzelt auch die traditionelle gesellige Dimension des Konsums. Wir müssen alle arbeiten, damit diese drei neuen Stichworte für die zukünftige GAP – und für unsere Zukunft – ausschlaggebend werden: kleine landwirtschaftliche Betriebe, ökologische Nachhaltigkeit und Jugend. Alle sind natürlich eng miteinander verbunden, aber die ersten beiden müssen so aufeinander bezogen werden, dass sie in der Zukunft ein und dasselbe sein werden. Europa muss seine wahren Wurzeln in den kleinen regionalen Lebensmittelproduktionen wiederfinden, in jenen Betrieben, die harmonisch in ihre Umgebung integriert sind und hochwertige, nahrhafte Lebensmittel auf nachhaltige Art und Weise erzeugen. Die GAP sollte also eine Restrukturierung des Agrarproduktionssystems vornehmen und dabei den bisherigen Kurs umkehren: Die kleinen Betriebe sollten die Normalität sein, während die großen Betriebe eher die Ausnahme sein sollten. Parallel dazu sollte die ökologische Nachhal- tigkeit eines der wichtigsten Ziele des Agrarproduktionssystems werden. Man sollte diejenigen unterstützen, die das Land im Einklang mit der Natur bearbeiten, dabei die natürlichen Ressourcen schützen und der Gesellschaft eine Reihe unersetzbarer Dienste erweisen, wie die Erhaltung der hydrogeologischen Stabilität, die Speicherung von Kohlenstoff, den Schutz der biologischen Vielfalt und der Umwelt.
Die Zukunft gehört der kleinen, jungen und nachhaltigen Landwirtschaft
Die kleinteilige Landwirtschaft und die ökologische Nachhaltigkeit werden also zwei Seiten derselben Medaille sein, die sich gegenseitig voraussetzen. Das dritte Schlagwort, die Jugend, ist eigentlich noch wichtiger als die anderen zwei, da es eine wesentliche Voraussetzung darstellt. Worüber reden wir eigentlich, wenn wir über die zukünftige GAP reden? Die Statistiken sprechen für sich: Nur sieben Prozent der Landwirte in Europa sind unter 35 Jahren alt. Welche GAP können wir erwarten und welche Zukunft können wir uns wünschen, wenn wir es nicht schaffen, junge Menschen wieder für die Landwirtschaft zu interessieren, sodass sie die Methoden des Landanbaus und die Liebe zur Erde erlernen? Wir müssen aufhören zu glauben, dass Landwirt der Beruf für diejenigen sei, die keine Alternativen haben oder sich dazu berufen fühlen, sich für die anderen aufzuopfern, ähnlich wie Missionare. Die nächste GAP sollte ver- suchen, die Landwirtschaft, nicht zuletzt durch eine angemessene Belohnung, zu einer realen Lebensperspektive für junge Menschen zu machen: Eine Option, die ebenso würdig und wichtig ist wie jeder andere Lebensentwurf. Es geht um unsere Zukunft.
Erschienen im Slow Food Magazin 6/2011
Übersetzung: Elisabetta Gaddoni
Bild oben: Auf zur Gemüseernte – Petrini während der Aktion "Teller statt Tonne" in Berlin | Stefan Abtmeyer
Bild unten: Am Beispiel eines Kohlkopfs: Petrini diskutiert mit Bauer Axel Szilleweit während der Aktion "Teller statt Tonne" in Berlin | Stefan Abtmeyer
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