Olivenöl
Olivenöl braucht Tempo und eiserne Disziplin
11.2.2012 - Im Februar geht die Erntezeit von Oliven langsam zu Ende und der neue Jahrgang Olivenöl kommt auf den Markt. Viele Spitzenerzeuger haben Tanks und Flaschen schon gefüllt. Doch die Qualität hängt am seidenen Faden. Im Chianti trafen sich Oliviers aus Griechenland, Spanien und Italien zum großen Ratschlag. Ein Bericht von einem Produzenten-Workshop im Chianti von Manfred Kriener.
Konzentration wie bei einem großen Cognac. Fiammetta Nizzi schnüffelt mit geschlossenen Augen. Stille. Dann das Urteil: Ovomaltine! Das Olivenöl habe eine leichte Kakao-Milch-Note – und fällt prompt durch. Die anderen Proben finden eher die Gunst der gestrengen Expertin. Sie entdeckt auf ihrem Aroma-Radar schöne Kräuter- und Mandeldüfte, wittert frisch gemähtes Gras, Zitrus und Pinienkerne. Nizzi, die resolute, groß gewachsene Toskanerin, ist die Supernase in unserem kleinen Tagungsraum, weit abgelegen in den toskanischen Hügeln. Hier, unweit des Chianti-Städtchens Greve, hat Feinkosthändler und Öl-Maniac Conrad Bölicke von Artefakt Oliven-Erzeuger aus Italien, Spanien und Griechenland eingeladen, dazu Experten, Chemiker, Maschinenbauer und Olivenöl-Liebhaber. Mit seinen Workshops will Bölicke nicht weniger als „die Neuerfindung eines Jahrtausende alten Lebensmittels“ ankurbeln. Seine Prognose: Die Qualitätsexplosion, die beim Wein in den letzten 20 Jahren zu beobachten war, stehe beim Olivenöl erst noch bevor, denn nach wie vor werde der Markt von fehlerhaftem Öl überschwemmt.
Keiner entdeckt solche Fehler schneller als Fiametta Nizzi, die Olivenöle mit klinischer Präzision seziert. Bestenfalls sagt sie den Erzeugern per Geruchsdiagnose auch noch was falsch läuft in deren Betrieb. Sie erkennt „Erwärmungsfehler“ in der Produktion oder moniert „überreife Oliven“ durch zu späte Lese. Dann wieder war eine Maschine im Verarbeitungsprozess „offenbar ziemlich verschmutzt“.
Knockout für den Gaumen
Da kann der Hamburger Lebensmittel-Chemiker Achim Bockhorn, der Olivenöl im Labor untersucht, nur staunen. Er gehört zu den Normalsterblichen, deren Geschmackspapillen es schwerfällt, Olivenöl so exakt zu beurteilen. Bitterkeit und Schärfe vieler Öle sind so heftig, dass sie auch robusten Gaumen schnell den Knockout versetzen. Selbst Profis kosten deshalb selten mehr als ein halbes Dutzend Proben. Dennoch ist unbestritten, dass die menschliche Zunge im Vergleich zum analytischen Besteck des Chemikers das „weit überlegene Instrument“ (Bockhorn) ist. Im Idealfall sind Spürnase und Chemiker einer Meinung – wie hier im Tagungsraum: Nizzi riecht „leicht ranzige Spitzen“ und Bockhorn findet in seinem Stoffmuster hohe Konzentrationen Hexanal, Heptanal, Octanal – alles Indikatoren ranziger Fehltöne.
Die Flut an ranzigen oder stichigen Aromen müsste eigentlich nicht sein. Denn die moderne Olivenverarbeitung bietet heute alle Chancen, saubere und ausgeprägt fruchtige Öle herzustellen. Doch der Fehler- und Oxydationsteufel lauert in jedem einzelnen Verarbeitungsschritt, als da wären: Oliven ernten, waschen, zerquetschen, zu Brei kneten, das Öl im so genannten Dekanter gewinnen, im Separator säubern, dann das Öl filtern und abfüllen. Gerade an Detailfragen bekamen sich Italiener, Griechen und Spanier häufig derart in die Wolle, dass ihre vielsprachige Diskussion zum babylonischen Chor anschwoll. „Wasser zugeben ins Knetwerk? Seid Ihr jetzt total verrückt? Wasser ist der Feind des Olivenöls, es schwemmt doch meine Aromastoffe aus“, erregte sich etwa der technische Leiter der größten Ölmühle im Chianti, Giacomo Grassi.
Die Früchte müssen sofort verarbeitet werden
Grassis Mühle Frantoio del Grevepesa ist ein vor Edelstahl strotzender Maschinenpark, der mit der musealen Technik der traditionellen Produktion mit steinernen Mühlrädern so viel zu tun hat wie ein Formel I-Renner mit einem VW-Käfer. Binnen zehn Jahren hat der Funken sprühende Italiener seine Anlage zweimal komplett ausgetauscht, um auf dem neuesten Stand zu sein. Aber nicht nur die Technik sorgt für Qualität. Fast noch wichtiger ist, was Grassi grimmig „die bürokratische Phase“ nennt. Mit seinen 400 Produzenten verabredet er diktatorische Zeitpläne. Die hoch empfindliche Olive braucht Tempo und eiserne Disziplin. Sie muss nach der Ernte, die von Rüttlern maschinell besorgt wird, sofort verarbeitet werden. Jede Wartezeit ist tödlich, weil in den Säcken und Kisten sofort Fäulnisprozesse beginnen. Durch den Druck von oben platzen die unten liegenden Früchte auf, das Unheil nimmt seinen Lauf, zumal der Erntestress ohnehin schon einen Teil der Oliven verletzt hat. In schlecht geführten Mühlen, wo die Erzeuger verspätet oder alle gleichzeitig antanzen, stapeln sich die Früchte tagelang vor der Anlage – und vergammeln. Das Qualitätsverdikt: Wenn vereinbart ist, dass der Olivier am 25. November um 13 Uhr zwei Tonnen anliefert, muss der Laster eigentlich um 12.59 Uhr um die Ecke biegen. Eigentlich!
Erster Schritt in der Mühle: Reinigen. Tausend Ästchen, Olivenblätter, Gras, inklusive verloren gegangener Handys und Brillen der Erntehelfer, werden mechanisch entfernt, bevor die Oliven gewaschen werden. Wenn der Waschcontainer richtig befüllt ist, reiben sich die Oliven unter dem Druck des fließenden Wassers gegenseitig sauber. Rechtzeitige Wasserwechsel und gründliche Wäsche sind teuer, aber „fundamentale Bedingung“ für sauberes Öl, sagt Grassi. Damit weniger Oliven beschädigt werden, verlangt er von den Maschinenbauern noch behutsamere Waschtechniken, wie sie etwa für Orangen zur Saftproduktion eingesetzt werden. Grassi: „Daran müssen wir uns orientieren!“
Nach der Wäsche werden die Oliven im Edelstahlbehälter von rasend schnell rotierenden, hammerähnlichen Klöppeln zerfetzt, die harten Kerne dabei in Bruchstücke von sechs bis acht Millimetern zerschlagen. Die scharfkantigen Kernsplitter wirken wie eine Reibe, die das Fruchtfleisch der Oliven zu Brei manschen. Der Behälter mit den drehenden Hämmerchen ähnelt einer Waschmaschinen-Trommel. Brei und Bruchstücke der Steine werden, wenn sie fein genug sind, durch die Löcher der Trommel zur weiteren Verarbeitung herausgedrückt. Die Kunst: Je nach Jahrgang, Erntezeitpunkt und Olivensorte muss die Lochung intuitiv auf die richtige Größe eingestellt werden. Je größer die Partikel, desto mehr Sauerstoff enthält die Masse. Bitterkeit, Schärfe und Aromaprofil des Öls hängen auch mit der Lochgröße zusammen. „Aber glaubt bloß nicht, dass Ihr euch hier irgendwelche Rezepte abholen könnt“, warnt Händler Bölicke die Erzeuger: Die Lochgröße müsse immer wieder neu mit viel Fingerspitzengefühl justiert werden. Spürnase Nizzi rät: Der Müller solle viel experimentieren und in Kauf nehmen, dass maximal zwei Drittel des Öls hinterher tatsächlich Topqualität haben.
Toperzeuger stehen mit der Stoppuhr neben dem Rührwerk
Dritter Schritt ist das Kneten des Olivenbreis, auch „Rühren“ oder „Malaxieren“ genannt. Toperzeuger stehen mit der Stoppuhr neben dem spiralförmig laufenden Rührwerk, in dem der Brei per Mantelheizung erwärmt wird. Die Temperaturführung (maximal 27 Grad!) und die Dauer des Knetens bis zu 40 Minuten sind die beiden Stellschrauben für Qualität. Beim Kneten weichen Enzyme die Zellwände der Oliven auf und holen so das Öl heraus. Bei diesem Verarbeitungsschritt werden die Aromen rausgekitzelt, aber zugleich sind schädliche Oxydation und Gärprozesse unvermeidbar. „Ich muss also aufs Tempo drücken, die Temperatur schnell hochfahren, damit sich die Enzyme wohlfühlen und das Malaxieren dann nach möglichst kurzer Zeit beenden“, gibt Steffen Hruschka vom Maschinenbauer GEA Westfalia die Richtung vor. Und schon liegen sich die Erzeuger wieder in den Haaren. Kürzer? Länger? Wärmer? Kälter?
Adriano März, Sohn des bekannten Toskana- Öl-Pioniers Andreas März, schwört auf extrem kurzes Kneten von nur zehn Minuten, nimmt damit aber dramatische Mengeneinbußen in Kauf. März: „Vor Jahren waren solch kurze Zeiten undenkbar – dafür gehen wir jetzt mit der Temperatur etwas höher, zu niedrige Temperaturen bringen nichts!“ Manche Erzeuger benutzen Augen statt Stoppuhren. Sie inspizieren den Brei und entscheiden je nach Glanz und Farbe, wie lange geknetet wird. Andere kneten unter Luftabschluss und legen Schutzgase wie Stickstoff oder Argon über den Olivenbrei, wieder andere finden „ein bisschen Sauerstoff ist gar nicht so schlecht“ – turbulente Wortgefechte.
Geburt eines Olivenöls
Der Dekanter, die vierte Station, ist weniger umstritten. Hier werden Millionen kleiner Öl-Tröpfchen, die sich beim Kneten gebildet und zu großen Tropfen vereint haben, durch Zentrifugalkräfte von Fruchtwasser und Feststoffen getrennt. Das Olivenöl ist geboren! Es ist allerdings schmutzig und wird nun im Separator per Feintuning „poliert“, also nochmal gesäubert. Jetzt muss nur noch gefiltert werden. März filtert sogar zweimal, um kleinste Verunreinigungen, die die Stabilität und Ausdruckskraft des Öls gefährden, abzutrennen. Sein grün-grasiges Öl zählt zu den besten Italiens.
Die letzte Kontroverse provoziert Fiammetta Nizzi. Sie empfiehlt, den optimalen Erntezeitpunkt für die Oliven – derzeit wird je nach Region und Philosophie von Ende Oktober bis Februar geerntet – auch durch regelmäßiges Probieren der Früchte zu ermitteln. Doch die Vorstellung, die militant bitteren Oliven am Baum abzunagen, lässt selbst harte Männer kräftig jaulen. Dabei ist der Ernte-Zeitpunkt von zentraler Bedeutung. Die Phase des Farbumschlags der Oliven von grün nach braun – meist im November – gilt als bestes Zeitfenster für hocharomatische Öle. Rund ums Mittelmeer wird allerdings nach alter Großväter Sitte oft sehr viel später geerntet. Hier gilt ein uraltes kaufmännisches Gesetz: Je reifer die Olive, desto milder das Öl, aber vor allem: desto größer die Ausbeute. Lieber viel als gut.
Text: Manfred Kriener
Foto: Verkostung von Olivenölen aus Griechenland auf der Slow Food Messe in Stuttgart | Jamie Eckermann