BioFach Kulinarische Traditionen
BioFach 2013: "Genießen, um zu bewahren"
Auf Einladung von Slow Food Deutschland diskutierten Hanns-Ernst Kniepkamp, Leiter des Slow Food Conviviums Nordhessen, Dessislava Dimitrova, Institute of Botany, Sofia und Mitglied des internationalen Rats von Slow Food sowie Stig Tanzmann, Referent für Landwirtschaft von Brot für die Welt - Evangelischer Entwicklungsdienst. Die Moderation übernahm Bernward Geier, Mitglied im Slow Food Convivium Bergisches Land und ehemaliger Direktor des Weltdachverband des biologischen Landbaus IFOAM.
Deutschland: Industrialisierung der Lebensmittelerzeugung
Hanns-Ernst Kniepkamp skizzierte die Entwicklung der kulinarischen Traditionen in Deutschland im Wandel der Zeit. Über Jahrhunderte seien Wissen über Speisen und Getränke sowie überlebensnotwendige handwerkliche Methoden der Haltbarmachung von verderblichen Lebensmitteln, wie zum Beispiel Pökeln und Räuchern von Generation zu Generation weiter gegeben worden. Auch wenn Traditionen immer dem Wandel der Zeit unterlägen, habe es dennoch außergewöhnlich große Veränderungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gegeben. Dafür benannte er folgende Gründe: die verstärkte Einbindung von Frauen in die Arbeitswelt, ohne dass die Männer vermehrt häusliche Arbeit übernommen haben sowie eine zunehmende Industrialisierung der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion. Die Folge davon sei ein kontinuierliches Verschwinden dieser Kenntnisse in unserer Gesellschaft. „Slow Food betrachtet kulinarische Traditionen als wichtiges Kulturgut“, erklärte Kniepkamp. Deshalb suche man ständig nach innovativen Wegen, damit diese weiter gelebt und erhalten würden. Als Beispiele für die zahlreichen Aktivitäten von Slow Food Deutschland in diesem Bereich nannte er Schulgärten, die zusammen mit Senioren geführt werden, und das Slow Mobil, eine fahrbare Küche, die in Kindergärten und Schulen Kochkurse für Kinder anbietet.
Bulgarien: Die Zerstörung der Vielfalt im Kommunismus
Dessislava Dimitrova schilderte, wie sich das politische System des Kommunismus in Bulgarien auf die kulinarischen Traditionen ausgewirkt hat. Grundsätzlich sei es in ihrem Land früher so gewesen, dass es kein weltliches oder religiöses Fest gab, bei dem das genussvolle miteinander Essen nicht eine wichtige Rolle gespielt hätte. Für die verschiedene Anlässe gab es ursprünglich auch jeweils spezielle Speisen, die aus einem vielfältigen und reichhaltigen Angebot der bulgarischen Landwirtschaft zubereitet wurden. Der Kommunismus habe den Genuss aber als Teil des bösen Kapitalismus verdammt, so dass es hier einen starken Bruch mit der Tradition gegeben habe mit gravierenden Folgen. Die kulinarische Vielfalt sei fast ganz verschwunden, es gab im ganzen Land beispielsweise nur noch eine Restaurantkette. Teilweise habe sich aber Gott sei Dank in den Familien etwas von dem traditionellen Wissen erhalten. „Unsere kulinarische Vielfalt ist heute wie ein Schiff nach einem Sturm. Vorher war es groß und schön, jetzt ist es ein Wrack, das repariert werden muss“, fasste Dimitrova die Situation zusammen. Angesichts der Tatsache, dass heute drei Prozent der Bauern 90 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche bewirtschaften würden, sei es zunächst vor allem eine große Herausforderungen, die kleinen Bauern, die es noch gibt, so zu unterstützen, dass diese überhaupt weitermachen können.
Brasilien: Kleinbauern wehren sich gegen Agrobusiness
Stig Tanzmann berichtete zuletzt noch von einem erfolgreichen Projekt in Brasilien, einem Land, dessen Lebensmittelproduktion in einem unvorstellbaren Ausmaß von riesigen Agro-Konzernen und ihrer Verquickung mit der Politik geprägt sei. Brot für die Welt - Evangelischer Entwicklungsdienst unterstützt in den drei südlichen Bundesstaaten die Umsetzung eines Projekts, das der brasilianische Staat landesweit als Reaktion auf den Zusammenbruch des traditionellen bäuerlichen Systems durch den Einfluss der Agrarindustrie ins Leben gerufen hat. Die Schulen seien verpflichtet, das Schulessen mit Lebensmitteln von Bauern aus der Region zuzubereiten. Damit sich die Bauern wiederum nicht zu stark von einem staatlichen Abnehmer abhängig machten, sei der Absatz des einzelnen Bauern limitiert. Den Rest müsse er anderweitig, zum Beispiel auf lokalen Märkten, verkaufen. Bei Bio-Zertifizierung dürfe ein 30 Prozent höherer Preis verlangt werden. „Es gibt eine sehr hohe Nachfrage vor Ort nach den Produkten. Die regionale Vermarktung dieser Lebensmittel durch bäuerliche Kooperativen ist so erfolgreich, dass die Bauern nun von ihren zwei bis drei Hektar Land leben können“, resümiert Tanzmann. Leider stoße die Umsetzung des Konzepts aber auf Probleme, je weiter man nach Norden komme. Dort käme es zu sehr starken Spannungen mit dem Agrobusiness.
Auch Bernward Geier betonte, dass die Situation in Brasilien insgesamt nicht so einfach sei. Erst vor wenigen Tagen habe man einen Führer der Landlosen-Bewegung ermordet und Brasilien sei das einzige Land, das er kenne, in dem es zwei Landwirtschaftsministerien gebe: Eines für Großgrundbesitzer und eines für Kleinbauern.
Im Bild oben: Hanns-Ernst Kniepkamp, Leiter des Slow Food Conviviums Nordhessen, bei der traditionellen Herstellung von sauervergorenen nordhessischen "Schnippelbohnen". | Margret Artzt
Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion (v.r.n.l.): Hanns-Ernst Kniepkamp, Leiter des Slow Food Conviviums Nordhessen, Bernward Geier, Mitglied im Slow Food Convivium Bergisches Land und ehemaliger Direktor des Weltdachverband des biologischen Landbaus IFOAM, Dessislava Dimitrova, Institute of Botany, Sofia und Mitglied des internationalen Rats von Slow Food, Hendrik Haase, Übersetzer, Stig Tanzmann, Referent für Landwirtschaft von Brot für die Welt - Evangelischer Entwicklungsdienst. | Katharina Heuberger