interview schnuerch genussfuehrer
„Das ist ein großes Gemeinschaftswerk“
Manfred Kriener sprach für slowfood.de mit Wieland Schnürch, dem Leiter der Genussführer-Kommission von Slow Food Deutschland, über den neuen Genussführer Deutschland 2014: „Wir zeigen, wo die Guten sind und dass Regionalität funktioniert und Erfolg hat.“
slowfood.de: Ende September sind die ersten Exemplare des neuen Slow Food-Genussführers an die Buchhandlungen ausgeliefert worden. Nach mehr als zehn Jahren Vorlauf ist die Arbeit jetzt in einen umfangreichen und ansehnlichen Gastronomie-Führer gemündet. Zufrieden mit dem Werk?
Wieland Schnürch: Wir sind zufrieden und durchaus ein wenig stolz, dieses ambitionierte und große Gemeinschaftswerk von Slow Food gestemmt zu haben. Mehr als 400 regelmäßige Tester haben mitgewirkt und Tausende von Gaststätten im ganzen Bundesgebiet besucht und geprüft. Und mehr als 60 Convivien haben dabei aktiv mitgearbeitet. Es gibt keinen anderen Gastronomie-Führer, der sich auf eine solch breite Basis stützen kann. Und dessen Netz so engmaschig wäre wie unseres.
Foto links: Dieser Schweinebraten mit hausgemachtem Kartoffelknödel konnte die Genussführer-Tester überzeugen.
Die bekannten deutschen Gastroführer beschränken sich meist auf die klassische Trias Geschmack, Ambiente, Service – wenn sie ein Lokal testen und empfehlen. Wie sehen die Kriterien des Slow Food Genussführers aus?
Zentrale Kriterien sind für uns, dass die Küche regional ist und auch die Grundprodukte größtenteils aus der Region kommen; dass sie im Sinne unserer Philosophie gut, sauber und fair sind. Regionalität heißt kurze Wege, aber auch Überprüfbarkeit etwa bei den Haltungsbedingungen von Nutztieren. Regionalität bringt mehr Transparenz und Nachhaltigkeit. Weiteres wichtiges Kriterium: Die Köche in den empfohlenen Häuser verzichten auf Geschmacksverstärker und weitgehend auch auf Convenience-Produkte. Die können mehr als nur Tüten aufreißen. Geschmack, Ambiente und Service müssen natürlich auch bei unseren Häusern stimmen. Aber unsere Anforderungen gehen weit darüber hinaus.
Regionalität wird von vielen Wirten proklamiert. Schaut man genauer hin, dann kommt der Schinken eben doch aus Italien oder Spanien und das Rumpsteak aus Argentinien. Wie können Sie sicherstellen, dass Regionalität mehr ist als nur ein trendiges Lippenbekenntnis?
Im Idealfall legt der Wirt seine Produzenten offen und listet sie auch in der Speisekarte auf. Das machen inzwischen viele Häuser. Und unsere Tester sprechen natürlich mit den Wirten, sie kennen die Häuser oft seit vielen Jahren und wissen, was und wie dort gekocht wird und woher die Produkte stammen. Sie setzen sich auch mal ins Auto und fahren bestimmte Produzenten an, um nachzusehen, wo und wie die Tiere tatsächlich gehalten werden. Die Grenzen der Regionalität bestimmt im Übrigen nicht ein eng gefasster bestimmter Kilometer-Radius. Da darf man nicht zu bürokratisch sein.
Foto links: Gerhard Tremel (re.), Mitglied der Slow Food Genussführer-Kommission, bei der Übergabe der Urkunde an den Landgasthof Meier in Hilzhofen (Oberpfalz).
Wenn Sie mit den Gastronomen reden: Verändern die Wirte gezielt ihr Speisenangebot und ihre Produktstrategie, um in den Führer aufgenommen zu werden?
Die Testgruppen haben viele positive Reaktionen erlebt. Die Wirte wollen ganz genau wissen, welche Anforderungen sie erfüllen müssen, um aufgenommen zu werden – das ist ein spannender Austausch, bei dem auch wir dazulernen. Und dieser Austausch wird weitergehen, das ist ein wichtiger Eckpfeiler dieses Genussführers. Viele der empfohlenen Wirtshäuser verfolgen ohnehin ähnliche Interessen wie Slow Food und haben sich unsere Ideen zu eigen gemacht.
Welche Wirkung erhoffen Sie sich von dem Genussführer für die deutsche Gastronomie insgesamt? Wird er Feuer unter den Töpfen entfachen?
Dieser Genussführer sendet viele Botschaften. Einmal zeigen wir: Das sind die Guten, dort schmeckt es, Produkte und Küche stimmen. Den übrigen Gastronomen, die noch nicht aufgenommen sind, signalisieren wir: Hier, schaut mal! Regionalität, Transparenz und der Verzicht auf Convenience – das funktioniert, das hat Erfolg. Ihr könnt es wagen, in diese Richtung zu laufen und dem Slow Food Gedanken zu folgen …
… um dann irgendwann auch selbst eine Seite in diesem Buch zu füllen?
Der Genussführer bleibt selbstverständlich ein offenes Projekt. Neue Lokale werden dazukommen, einige alte, die uns nicht mehr überzeugen, werden rausfallen. Da hilft uns wieder die Kapazität unserer Convivien vor Ort. Sie sitzen bundesweit am Mann und beobachten die Gastronomie mit kritischen Augen und Gaumen. Diese Engmaschigkeit der Beobachtung ist der große Trumpf von Slow Food, das unterscheidet uns von den anderen Führern.
Foto links: Die Münchener Testgruppe in der Tafernwirtschaft Hörger im oberbayerischen Kranzberg.
Was bedeutet der Genussführer für die Organisation Slow Food?
Der Genussführer hat schon jetzt eine stark integrative Funktion innerhalb unserer Organisation. Er ist, wie schon gesagt, ein großes Gemeinschaftswerk, weil so viele Akteure, Autoren, Tester ihr Wissen und ihre Kräfte in diesem Projekt gebündelt haben. Es gibt kaum ein anderes Projekt, das so viele Mitglieder mitgenommen hat. Zudem entwickelt dieser Führer - hoffentlich - auch eine positive Außenwirkung. Sprich: Er ist eine gute Werbung für Slow Food, die uns weiterbringt. Wenn wir nur einen Bruchteil des Erfolgs des italienischen Osterienführers haben, dann sind wir schon ein großes Stück voran gekommen.
Wie sind denn bisher die Reaktionen der Medien ausgefallen?
Das Interesse der Medien an diesem Projekt ist erstaulich groß. Die Interviews, die ich geben muss, häufen sich. Und die Nachfrage nach Rezensionsexemplaren hat alles in den Schatten gestellt, was der Verlag bisher bei seinen Neuerscheinungen registriert hat. Die ersten Berichte und Rezensionen sind bereits erschienen – das ist richtig gut angelaufen.
Wie wird es mit dem Projekt weitergehen? Werden Sie die blinden Flecken auf der Deutschlandkarte, wo es noch keine empfohlenen Lokale gibt, schließen können?
Wir sind guten Muts. Natürlich gibt es deutliche Unterschiede in der Gastronomie mit einem auffälligen Nord-Süd-Gefälle. Die regionale Küche ist im Süden stärker ausgeprägt als im Norden oder Osten. Ich bin aber zuversichtlich, dass unsere Convivien weitere Perlen auch dort entdecken, wo die Karte bisher noch Brachen verzeichnet. Für die nächste Auflage gibt es schon eine Reihe neuer Lokale. Die Resonanz aus der Gastronomie ist gewaltig. Wir haben Dutzende von Anfragen bekommen. Tenor: Wie komme ich in euren Führer, warum bin ich noch nicht drin? Das macht mich hoffnungsfroh, dass unser Buch in Umfang und Qualität wachsen wird. Und mit ihm auch das Niveau der Küche in der deutschen Gastronomie.
Das heißt, es wird auch einen Genussführer 2015 geben?
Das hängt vor allem vom Erfolg dieses Erstlings ab. Wenn die Leserinnen und Leser uns vertrauen, wenn sie mit diesem Buch in der Tasche als Orientierungshilfe losziehen, dann werden wir, gemeinsam mit dem Oekom-Verlag, hoffentlich weitere Jahrgänge publizieren. Ich bin da ganz zuversichtlich.
Mehr Informationen:
Slow Food Publikationen: Der Genussführer
Slow Food Genussführer auf der Frankfurter Buchmesse
"Slow Food Genussführer hat das Potenzial zum Bestseller!"
Genussführer-Presseschau: „Liebevoll, appetitlich, bombig“
Oekom-Verlag: Genussführer im Online-Shop kaufen
Originell und rustikal: Die Topfmarktscheune im erzgebirgischen Burkhardtsdorf ist eines der 300 empfohlenen Wirtshäuser des Slow Food-Genussführers.
Slow Food Tester im Schloss Ziethen am Nordwestrand Berlins.
Vorspeisenteller "Dreierlei vom Spargel" im "Kleinen Haus" im "Storchen-Dorf" Linum, 40 Autominuten nordwestlich von Berlin.
Manfred Mödinger, Testgruppenleiter im Convivium Rosenheim-Chiemgau, bei der Übergabe der Urkunde an das Forsthaus Adlgaß in Inzell (Chiemgau, Bayern).
Fotos auf dieser Seite: © Familie Walter (1), Kleines Haus Linum (1), Archiv Slow Food Genussführer-Kommission (5)