Münchener Brotzeitsemmeln wieder im Regal
Slow Food Arche-Passagier „Münchener Brotzeitsemmeln“ feiert Comeback
Noch in den 1960er Jahren war das Pfennigmuckerl in München so bekannt und beliebt wie der Pumuckl, der rothaarige Kobold, der beim Schreinermeister Eder lebte. Heute ist diese traditionelle Handwerkersemmel jedoch fast aus allen Münchener Bäckereiregalen und dem Gedächtnis der Kunden verschwunden. Das Slow Food Convivium München kümmerte sich deshalb um die Aufnahme dieser und anderer rar gewordener Brotzeitsemmeln in die Arche des Geschmacks. Das Projekt der internationalen Slow Food Stiftung für Biodiversität schützt Lebensmittel, Nutzpflanzen und Nutztiere, die vom Verschwinden bedroht sind, einzigartige geschmackliche Qualitäten haben und kulinarisch in einer Region traditionell verwurzelt sind.
Foto: Pfennigmuckerln. Der Name stammt entweder vom früheren Preis der kleinen Backstücke oder von den geldrollenartig aneinandergebackenen Vierer-, Fünfer- und Sechserstangen. Je nach Bäcker sehen die Semmeln anders aus.
Ideale Brotzeitsemmeln - früher und heute
„Die Namen einiger Semmelsorten, wie Schuastabuam oder Maurerlaiberl, erzählen schon viel von ihrem Ursprung“, erklärt Rudolf Böhler, stellvertretender Leiter von Slow Food München und Leiter der Arbeitsgruppe Arche des Geschmacks. „Handwerker wie Maurer oder Schuster, die schon früh auf den Beinen waren, brauchten am späteren Vormittag eine sättigende Brotzeit, also ein zweites Frühstück oder eine Zwischenmahlzeit.“ Die Semmeln mit ihrem würzigem Geschmack, der von einem deutlichen Anteil Roggen (20 bis 70 Prozent, je nach Sorte) und Kümmel herrührt, würden jedoch auch heute noch bestens zur typischen Münchener Brotzeit passen, beispielsweise zu Leberkäse, Presssack, Käse, Radi (Rettich) und einem frischen Bier. „Ich persönlich meine sogar, dass sie auch zu Weißwürsten besser schmecken als die überall angebotenen Brezeln“, schwärmt Böhler von den kulinarischen Qualitäten seiner Semmel-Schützlinge.
Foto: Eine Münchener Brotzeit - Maurerlaiberl, gewürzt mit Kümmel, und Obatzda, eine Käsezubereitung auf der Basis von Camembert oder Brie, gewürzt mit Paprika, Salz und Zwiebeln.
"Gründen Sie Lebensmittelbündnisse!"
Ursula Hudson, Vorsitzende von Slow Food Deutschland, betont, dass die Handvoll Münchener Bäcker, die diese Semmeln noch im Sortiment haben, noch echte Lebensmittelhandwerker im Sinne der Slow Food Philosophie seien. Die Semmeln müssen nämlich aufwändig mit Natursauer, Zeit, Wissen und Erfahrung handwerklich hergestellt werden. „Diese Produktionsweise findet man im Zeitalter von fertigen Backmischungen nicht mehr selbstverständlich in jeder Backstube“, beklagt Hudson. Obermeister Heinz Hoffmann von der Bäckerinnung München bestätigt das Problem seiner Zunft: „Wenn in sogenannten Backshops nur noch fertige, halbgefrorene, industriell hergestellte Teiglinge aufgebacken werden, muss man sich nicht wundern, wenn der Verbraucher den Bäcker nicht mehr als Handwerker erkennt!“ Ein Grundproblem sei, dass solche Geschäfte den Namen „Bäckerei“ überhaupt tragen dürften. Und Richard Balling, Professor und Leitender Ministerialrat im Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ergänzt: “Werden handwerkliche Traditionen wie die Münchener Brotzeitsemmeln nicht erhalten, verliert Bayern einen Teil seines kulinarischen und damit seines kulturellen Erbes.“
Slow Food Chefin Hudson nimmt dies am Ende der Veranstaltung zum Anlass, dazu aufzurufen, weitere Lebensmittelbündnisse aus Produzenten, Verbrauchern, Politik und Gastronomie für weitere Produkte zu gründen. „Wir brauchen diesen Schulterschluss von mutigen Menschen, um unser kulinarisches Erbe zur retten! Gründen Sie weitere Lebensmittelbündnisse, dann kommt der Genuss ganz von alleine.“
Foto: Die "Arche des Geschmacks", ein internationales Projekt der Slow Food Stiftung für Biodiversität und ihre jüngsten Passagiere, die Münchener Brotzeitsemmeln, werden im Gasthaus Pschorr am Viktualienmarkt der Öffentlichkeit vorgestellt. V. li. n. re.: Rudolf Böhler, stellvertretender Leiter des Slow Food Conviviums München und Leiter der Münchener Arche-Arbeitsgruppe; Ursula Hudson, Vorsitzende von Slow Food Deutschland; Obermeister Heinz Hoffmann, Bäckerinnung München; Richard Balling, Professor und Leitender Ministerialrat im Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Münchner Brotzeitsemmeln feiern Comback
Das Projekt „Rettung der Münchener Brotzeitsemmeln“ jedenfalls feiert schon seinen ersten großen Erfolg! Das Comeback steht kurz bevor. Dank der Slow Food Initiative verkauft die „Hofpfisterei“, eine sehr bekannte und beliebte Münchener Öko-Bäckerei, die Arche-Passagiere ab Mitte September wieder in ihren rund 150 süddeutschen Filialen. Der Meister Eder würde sich bestimmt freuen! Ob er lieber Muckerln oder Maurerlaiberl gegessen hat, ist nicht bekannt. Aber dass er Brotzeit gemacht hat, schon: „Wir essen Wurst, und Senf dazu, und, und Brot. Und du, Pumuckl, kriegst die Brösel!“
Foto: Die Hausbäckerei der Hofbräuhaus-Kunstmühle, Knapp & Wenig, ist eine der Handvoll Münchener Bäckereien, die die Brotzeitsemmeln noch für ihre Kunden im Sortiment hat.
Schuastabuam haben den höchsten Roggenanteil von 50 bis 70 Prozent. Sie werden in sogenannten “Kränzen” gebacken. Beim Bäcker vorbestellt eignen sich diese heute hervorragend für Büffet und Party.
R(i)emische oder auch Römische nehmen ihre Bezeichnung vom R(i)emischen oder Römischen Mehl, was den ersten und zweiten Mahlgang beim Roggen bezeichnet, also die feinste, praktisch kleiefreie Qualität. Falsch sind die viel gebrauchten Bezeichnungen "Römer" oder "Riemer", da diese Semmeln nichts mit Rom oder dem Münchener Vorort Riem zu tun haben. R(i)emische enthalten 30 bis 40 Prozent Roggenmehl und 60 bis 70 Prozent Weizenmehl. Sie werden meist doppelt aneinander gesetzt und in Kümmel gewälzt.
Weitere Informationen sowie Erzeuger- und Bezugsadressen auf dieser Website:
Arche-Passagier "Münchener Brotzeitsemmeln"
Die Münchener Brotzeitsemmeln finden Sie auch unter ihren einzelnen Namen im Verzeichnis "Spezialitätenland Bayern" des StMELF:
http://www.spezialitaetenland-bayern.de
Fotos auf dieser Seite: © Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (3), Katharina Heuberger (3)