PM Ernteverluste
Teller oder Trog? Lebensmittel sind kein Tierfutter
Nur fünf Prozent von Kartoffeln und 4,2 Prozent von Möhren gingen bei der Nachernte "unwiederbringlich verloren", schreibt das Ministerium über die gerade veröffentlichte Studie, räumt aber gleich darauf ein, dass in diesen Zahlen nicht die Lebensmittel erfasst werden, die als Tierfutter, Dünger oder Energiequelle genutzt werden. Auch nicht berücksichtigt wurden Produkte, die auf Grund "der hohen Anforderungen des Handels nicht in den Verkauf gelangen", so die Pressestelle des BMELV.
Fast ein Drittel der Kartoffel- und Gemüseernte kommt erst gar nicht in den Handel
"Diese Zahlen sind auf den ersten Blick schön anzusehen, leisten aber keinen wirklichen Beitrag zur Reduzierung von Lebensmittelverschwendung," so Ursula Hudson, Vorsitzende von Slow Food Deutschland. "Wir wissen aus anderen Studien, z.B. der Welternährungsorganisation, und aus eigenen Erfahrungen in unseren Aktionen gegen Lebensmittelverschwendung, dass rund 30 Prozent der Kartoffel- und Gemüseernte nicht in den Handel kommt, meist wegen kleiner äußerer Mängel, wie etwa zweibeinige Möhren oder angeblich zu kleine oder zu große, ansonsten aber mängelfreie Kartoffeln. Ein hoher Prozentsatz an frischen Lebensmitteln wird also nicht seiner eigentlichen Bestimmung, dem menschlichen Verzehr zugeführt, sondern als Tierfutter, Düngemittel und Brennstoff verwendet. Das steht unserem Verständnis der Wertschätzung von Lebensmitteln entgegen. Aussehen hat schließlich nichts mit Geschmack oder Nahrhaftigkeit zu tun – ganz im Gegenteil: oftmals schneiden alte Gemüse- und Obstsorten bei dem vom Handel vorgegeben Schönheitswettbewerb mit Maßstab Einheitsnorm schlecht ab, glänzen aber bei jedem Geschmackstest dank geschmacklicher Vielfalt und Intensität. Ein größeres und vielfältigeres Angebot an frischen Lebensmitteln unabhängig von Normvorstellungen in Bezug auf Aussehen oder Größe könnte und sollte positive Auswirkungen auf deren Verkaufspreis haben. Schließlich gibt es auch hierzulande viele Menschen, die auf günstige Lebensmittel angewiesen sind."
"Der Zyklus aus Überproduktion und Verschwendung muss durchbrochen werden"
Das BMELV setzt sich mit seiner Initiative "Zu gut für die Tonne", in deren Rahmen auch Slow Food Deutschland mit Aktionstagen beteiligt ist, für eine größere Wertschätzung von Lebensmitteln und einer Verminderung der Verschwendung ein. Diese Kampagne unterstützt Slow Food Deutschland ausdrücklich. Die Veröffentlichung dieser neuen Zahlen räume jedoch zu viel Spielraum für das Verschieben von Verantwortung ein, so Hudson weiter. Essen ist von zentraler Bedeutung für die Kultur, Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt und trägt über die Art seiner Erzeugung und Herstellung maßgeblich zu einem nachhaltigen oder ausbeuterischen Umgang mit unseren Ressourcen bei – es ist damit weit mehr als nur eine Ware. Um unserem Essen wieder seinen wahren Wert zu verleihen, müsse der Zyklus von Überproduktion und Verschwendung durchbrochen werden. Dafür setze sich Slow Food ein.
Slow Food stellt gerade die gesellschaftliche Bedeutung der Nahrung in den Mittelpunkt. Der Verein unterstützt die handwerkliche und nachhaltige Lebensmittelproduktion, betreibt Geschmacksbildung und bringt Erzeuger von handwerklich hergestellten Lebensmitteln auf Veranstaltungen und bei verschiedenen Projekten mit Ko-Produzenten (Verbrauchern) zusammen.
Slow Food Kampagne "Teller statt Tonne"
Unter dem Motto "Teller statt Tonne" macht Slow Food Deutschland e.V. seit 2011 gezielt auf das Problem der Lebensmittelverschwendung aufmerksam. Aus verschmähtem Gemüse, das wegen kleiner äußerer Mängel nicht in den regulären Handel kommt, kochen Aktivisten und Freiwillige leckere Gerichte und verspeisen sie gemeinsam mit interessierten Bürgern an langen Tafeln auf öffentlichen Plätzen. Das Slow Food Youth Network bringt junge Leute und DJs bei "Schnippeldiskos" zum Gemüseschnippeln, Kochen und Tanzen zusammen. Vorträge und öffentliche Diskussionen lenken weitere Aufmerksamkeit auf das große Problem der Lebensmittelverschwendung heutzutage – und bieten gleichzeitig Lösungsansätze im Sinne von Slow Food.
Quelle: Presseinformation von Slow Food Deutschland vom 30. Mai 2013
Bild oben: Links - die perfekte Kartoffel. So mag sie der Handel am liebsten: länglich oval, glatte Haut, flache Augen. Die rechte Kartoffel unterscheidet sich von der linken nur durch einige schwarze Pünktchen. Damit scheidet sie für den Handel aus, wird zu Tierfutter verarbeitet oder landet in der Biogasanlage.
Bild unten: Auch auf dem Biobauernhof müssen Ansprüche der Kunden berücksichtigt werden. Hier sortieren Slow Food Helfer nicht-handelskonforme Kartoffeln auf dem Hatzlhof bei München aus, um diese für einen Aktionstag "Teller statt Tonne" zu verwenden.
Fotos: © Katharina Heuberger
Mehr Informationen:
Pressemitteilung zum Download (PDF)
Studie des BMELV
Slow Food Positionen zur Lebensmittelverschwendung