Zukunft der Tierhaltung - Nachbericht

13.11.2013 - Wie sieht die „Zukunft der Tierhaltung“ aus? Slow Food war Mitveranstalter in Berlin bei der Suche nach dem guten Leben im Stall und fragte im Rahmen einer Podiumsdiskussion in der rheinlandpfälzischen Landesvertretung nach Strategien, die dem (Nutz-)Tier seine Würde zurückgeben. Ein Bericht von Manfred Kriener.

Billigfleisch und Peepshows für Stiere

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Der Star des Abends kam aus der Schweiz. Großartig wie der Kuhflüsterer, Bauer und Buchautor Martin Ott seine Liebe zum Rindvieh mit originellen Einsichten verband. Wie er den Saal mit ganz anderen Informationen aus dem Alltag eines Tieres versorgte, das wie kein anderes mit der Ernährung des Menschen verkoppelt ist.

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"Die Kuh ist ein Säugtier!"

Martin Ott präsentierte die Kuh als Verdauungskünstler, die jeden Tag ein Drittel ihres Körpergewichts vertilgt. Die Kuh ist zugleich immer ein wenig in den Bauern verliebt, weil er den Zugang zu ihrem Euter hat. Die Kuh ist ein Kraftwerk, das schlichtes Gras und Heu in Fett und Eiweiß verwandelt. „Und die Kuh, das ist offenbar eine völlig neue Erkenntnis für manche Leute, ist natürlich ein Säugetier, deshalb muss das Kalb bei der Mutter saugen“, wetterte Ott gegen die gängige Praxis vieler Betriebe, den Nachwuchs direkt nach der Geburt den Müttern wegzunehmen und mit der Flasche aufzuziehen. Ott berichtete von kleinen Naturwundern, wie dem Speichel des Kalbes, der auf wundersame Weise mit der Sensorik des Euters kommuniziert. Das Euter erhält so Informationen über Gesundheit und Zustand des Nachwuchses und reagiert darauf mit veränderten Inhaltsstoffen in der Milch, die – Schonkost oder volle Dröhnung? – den Bedürfnissen des Kalbes angepasst wird. Kühe sind für Ott in der Landschaft unverzichtbar, sie leisten vor allem eines: „Sie koten und fressen am selben Ort, und die Bodenfruchtbarkeit wird dabei immer besser!“

Bild oben: Fleckvieh-Kuh mit Kalb auf dem Demeterhof "Oberer Stollenhof" in Schwäbisch Gmünd.
Bild darunter: Ein Kälbchen aus konventioneller Landwirtschaft - nach der Geburt von der Mutter getrennt. 

Langer Sündenkatalog der Landwirtschaft

Martin Ott war einer von sechs Rednern beim Blick in die Zukunft der Nutztierhaltung. Der Bioverband Demeter, die Vereinigung ProVieh und Slow Food hatten zum Ratschlag nach Berlin eingeladen. Wie geht es weiter mit unseren Nutztieren, die inzwischen auf dem Planeten Erde 96,4 Prozent der gesamten Menge der an Land lebenden Wirbeltiere ausmachen? Die wilden Tiere stellen dagegen nur noch bescheidene 3,6 Prozent im Jackpot der Fauna. Vor der Zukunft war allerdings die Gegenwart dran. Alexander Gerber von Demeter und der rheinland-pfälzische Staatsekretär im Landwirtschaftsministerium, Thomas Griese, breiteten noch einmal den Sündenkatalog der industriellen heutigen Landwirtschaft aus. Ätzendes Schnabelkürzen bei Hühnern, betäubungslose Kastration der Ferkel, Schwänze kupieren der Schweine, Hörner wegbrennen der Kühe – das Bestiarium der modernen Landwirtschaft war vollständig versammelt. Griese: „Solange es normal und legal ist, dass ein ausgewachsenes Mastschwein weniger als einen Quadratmeter Platz hat, solange muss man die Haltungsbedingungen skandalös nennen.“ Dazu die Antibiotika-Orgien mit 1680 Tonnen (!) Jahresverbrauch in deutschen Ställen, fehlende Haltungsvorschriften in der Putenmast und Kühe, die in rasantem Tempo aus der Landschaft verschwinden und in immer größerer Zahl ganzjährig im Stall mit Turbofutter gedopt werden. Die Gesellschaft spüre wachsendes Unbehagen und sei immer weniger bereit, diese Misere noch länger hinzunehmen, so Thomas Griese.

Bye, bye, Ochsenbrust!

Die neue widerspenstige Agrarbewegung wurde allerdings nur kurz angetippt und mit ihren Erfolgen, etwa bei der Verhinderung von neuen Mega-Ställen der Massentierhaltung, viel zu wenig diskutiert. Aber zumindest der Boom bei den Vegetariern – bye, bye Ochsenbrust – und vor allem bei den Veganern war ein Thema. Allein in Berlin seien in kürzester Zeit 35 neue vegane Restaurants entstanden. Tatsächlich ist auch der Pro-Kopf-Fleischverzehr um erstaunliche 2,1 Kilogramm oder 3,4 Prozent auf jetzt 59,5 Kilogramm zurückgegangen. Der Fleischverbrauch, bei dem Abfälle wie Knochen oder Fell und andere weggeworfene Tierkörperteile mitgerechnet werden, fiel von 90,0 auf 87,0 Kilogramm. Noch krasser wird der Befund beim Blick auf den längeren Zeithorizont: Gegenüber dem Fleischverzehr des Jahres 1988 mit dem damaligen Spitzenwert von 70,3 Kilogramm pro Kopf beträgt der Rückgang satte 15 Prozent.

Den tierlosen Planeten wird es nicht geben

Sebastian Gronbach, ein Anthroposph, Tierfreund und Veganer, vermied die aggressive Tonlage des Missionars und warb mit leisen, nachdenklichen Worten dafür, dass das Tier als Partner des Menschen von dessen Teller verschwindet. Der Mensch und Verbraucher müsse sein Herz öffnen und ein ganz anderes Verständnis von Welt und Sein entwickeln, in dem die Tiere dann echte Partner seien und „wir endlich gut mit ihnen leben“. Gronbach widersprach der These, dass mit dem Veganismus das Nutztier verschwinde. Den tierlosen Planeten werde es nicht geben, dazu hätten die Nutztiere noch genug Aufgaben für die Bodenfruchtbarkeit und für die Seele des Menschen.

Andere Referenten bekannten sich zu ihrem Fleischkonsum – Martin Ott: „Ja ich lege meinen Partner auf den Teller“ – verlangten aber unisono ein besseres Leben für die Tiere. Die Slow Food-Vorsitzende Ursula Hudson fordert „das bestmögliche Leben für die Nutztiere vor dem bestmöglichen Tod“. Das gute Leben der Tiere sei aber davon abhängig, dass wir sehr viel weniger Fleisch essen, so Hudson. Dass der Fleischkonsum derzeit viel zu hoch und damit die tiefere Ursache für die verheerenden Zustände der Massentierhaltung ist, darin zumindest bestand große Übereinstimmung. Stefan Johnigk von ProVieh, dem Verein gegen tierquälerische Massenhaltung, gelang es, die Veganer strategisch unterzuhaken: Egal ob mit oder ohne Fleisch auf dem Teller: Jetzt komme es darauf an, gemeinsam gegen jene Zustände in den Ställen zu kämpfen, „die uns alle beschämen sollten“.

Das Töten auf der Weide war verboten

Natürlich ging es auch um das Töten der Tiere. Johnigk berichtete von den Schwierigkeiten, für die aus seiner Sicht schonendste Tötungsart – mit dem Kugelschuss direkt auf der Weide – die Erlaubnis des Gesetzgebers zu bekommen. „Das mussten wir erst mal durchboxen.“ Während das übliche, mit starkem Stress und langen Tiertransporten belastete Schlachten in den Schlachthöfen gängige und geförderte Praxis sei, brauche es für den Schuss auf der Weide einen langen rechtlichen Streit. Martin Ott bekannte sich dazu, dass er manche seiner Kühe so sehr liebe, dass er ihnen das Gnadenbrot gewähre. Sie stürben dann am Herzschlag auf der Weide, brächen sich im hohen Alter aber auch die Füße und litten an Osteoporose. Otts Kühe sind ohnehin sehr alt. Während im Durchlauferhitzer der modernen Landwirtschaft viele Kühe schon nach zwei oder drei Laktationsperioden (die Zeiten, in denen Kühe nach der Geburt des Kalbes Milch geben) ausgemustert werden, erreichen seine Kühe acht und neun Laktationen. Und natürlich besitzt Ott auch echte Stiere, die seine Kühe per Natursprung besamen. Aber Stiere sind doch gefährlich und machen gern mal Remmidemmi? Ott kennt das probate Gegenmittel: Man müsse den Melkstand so bauen, dass die Stiere beim Melken zuschauen können, das beruhige sie. Dagegen würden sie unruhig und aggressiv, wenn der Bauer brünstige Kühe zum Melken wegführt, ohne dass sie sehen wohin. Die Stiere glaubten dann, die Kühe würden ihnen von einem Nebenbuhler weggenommen, so Ott.

Der Berliner Sterne- und Gemüsekoch Michael Hoffmann vom Restaurant Margaux schilderte den wachsenden Abscheu gegenüber dem Töten und Essen ganz junger Tiere. Milchlämmer, Stubenküken, Kalbfleisch habe er deshalb als erstes von seiner Speisekarte verbannt. Dann die Gänsestopfleber, dann die Fischarten mit zurückgehenden Populationen. Am Ende hatte sich Hoffmann fast zum reinen Gemüsekoch verwandelt mit einem riesigen eigenen Garten und mit einigen kleinen Fleischbeilagen von Erzeugern, deren Haltungsbedingungen den Berliner Koch überzeugen. Und seitdem er selbst weniger Fleisch esse, fühle er sich auch gesünder und leistungsfähiger.

Eine gute Tierhaltung wird vom Markt nicht honoriert

Aber wie wird nun die Zukunft der Nutztierhaltung tatsächlich aussehen? Wird die neue Agrar-Protestbewegung („Wir haben es satt!) noch stärkere Spuren hinterlassen? Dazu gab es wenig Antworten, dafür wurden die Folgen der Billigpreise beim Fleisch noch einmal plastisch, als ein ambitionierter Halter von Perlhühnern, der im Publikum saß, sein Dilemma beschrieb. „Der Preis für eine ordentliche Tierhaltung ist am Markt kaum durchsetzbar, ich habe mit meinen Preisen echte Absatzschwierigkeiten.“ Andersherum: Ein marktkonformes Verhalten bedeute automatisch eine schlechte Tierhaltung, nur so seien die derzeitigen Billigpreise fürs Fleisch möglich. Stefan Johnigk von ProVieh formulierte es so: „Die Marktmacht der Lebensmittelkonzerne bestimmt mit ihren Preisen was in der Tierhaltung weltweit geschieht.“ Gleichzeitig wird den Bauern signalisiert, ihren Tieren nicht länger in die Augen zu schauen. Sie sollen stattdessen coole und rein wirtschaftlich denkende Produzenten werden – in einer rationellen „Tierproduktion“.

Das Schlusswort kann nur Martin Ott gehören, der mit bäuerlich-rustikaler Klarheit auf die Verantwortung der Verbraucher hinwies. „Alle Menschen können beim Einkaufen selbst Landwirtschaft bertreiben: Wenn sie Scheiße kaufen, steht auch Scheiße im Stall, und wenn sie Gutes kaufen, wird sich das Gute durchsetzen.“ Und die Politik? Sie muss – natürlich – über ordnungspolitische Maßnahmen die Haltungsbedingungen der Tiere verbessern. Aber dazu braucht es Druck und Aufklärung und jede Menge Schweizer Kuhflüsterer, die vorweglaufen mit ihren Kühen und mit Stieren, die täglich die Peepshow am Melkstand genießen.

Hinweis der Red.: Der nächste Absatz "Das Verschwinden der Rinder" wurde am 14.11.2013 ergänzt.

Das Verschwinden der Rinder

Zu den Referenten in Berlin gehörte auch die soeben mit dem Salus-Medienpreis gekürte Tierärztin und Agrarexpertin Anita Idel. Ihr 2010 erschienenes Buch „Die Kuh ist kein Klimakiller!“ hat der Diskussion über die Klimafolgen der Landwirtschaft eine völlig neue Richtung gegeben. Idel erinnerte daran, dass die Nutztiere heute viele Funktionen der Wildtiere übernehmen müssten. Auf Grasland, dem weltweit größten Biotop, würden sie Humus aufbauen und die Bodenfruchtbarkeit erhöhen. Der Humus bindet wiederum große Mengen des Klimakillers CO2. Der Rückgang der Bodenfruchtbarkeit ist eng mit der Verdrängung der Nutztiere von den Weideflächen verknüpft. Wie rasant die Weidehaltung von Rindern in Europa zurückgeht, dokumentierte zuletzt die im Juli 2013 vorgelegte Studie des Forschungsinstituts Lei-Wageningen. Für Deutschland wurde der Nordwesten unserer Republik untersucht, wo gegenwärtig noch 15 Prozent der Kühe ausgiebigen und 35 Prozent reduzierten Weidegang haben, während die übrigen 50 Prozent ausschließlich im Stall leben. Bis 2025 droht dieses Schicksal nahezu allen Kühen der Region, wenn der gegenwärtige Trend anhält. Die Weidehaltung werde dann die große Ausnahme sein, so die Prognose der Forscher. Auch in vielen anderen europäischen Regionen verschwinden die Kühe aus den Landschaften.

Fotos:  © Katharina Heuberger (1), Demeter e. V. (1)

Zum Nachbericht auf demeter.de - mit Videos von der Veranstaltung
http://demeter.de/Verbraucher/Aktuell/pe_nutztiere_berlin



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Die Zukunft der Tierhaltung diskutierten (von links nach rechts): Alexander Gerber, Vorstand Demeter e.V., Sebastian Gronbach, spiritueller Dienstleister, Stefan Johnigk, ProVieh, Renée Herrnkind (Moderation), Michael Hoffmann (Restaurant Margaux Berlin), Ursula Hudson (SlowFood Deutschland) und Martin Ott, Demeter-Landwirt | © Michael Olbrich-Majer

Video: "Braucht der Mensch noch Nutztiere?"

17.12.2013 - Eine Zusammenfassung der Veranstaltung als Video (Demeter Filmfeature)

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