Die deutsche Fischtheke ist leer

5.4.2014 - Ab dem 7. April ernähren wir uns rein statistisch nur noch von Fängen aus anderen Ländern und Kontinenten. Zum Fish Dependence Day fordern NGOs ein schnelles Umsetzen der Fischereireform. Sorgenfalten bleiben: Wer kontrolliert, was mit den Beifängen geschieht, und was passiert nach dem Ausscheiden der griechischen Fischereikommissarin Damanaki? Ein Bericht von Manfred Kriener.
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Schon am 6. April ist in diesem Jahr die deutsche Fischtheke ratzfatz leergegessen. Der Tag, an dem der heimische Fischkonsum von 15,5 Kilogramm pro Kopf die legale Fangmenge deutscher Fischer in EU-Gewässern übersteigt, rutscht jedes Jahr ein wenig weiter vor im Kalender. Die Ursache: Der Fischhunger der Deutschen bleibt gleich oder wächst sogar noch, während die Fangmengen angesichts überfischter EU-Bestände, die wieder aufgebaut werden müssen, stagnieren oder zurückgehen. Rein statistisch gesehen, essen wir ab dem 7. April also nur noch importierten Fisch aus anderen Ländern und oft genug auch aus anderen Kontinenten. Gleich um 14 Tage ist der so genannte Fish Dependence Day in diesem Jahr vorgerückt, nur noch ein Viertel der eigenen Fischnachfrage kann die Bundesrepublik selber decken. Immerhin: Bei der gemeinsamen Veranstaltung von Brot für die Welt, Ocean 2012 und Slow Food am Freitag in Berlin überwog die Einschätzung, dass sich die Lage schon in den nächsten Jahren bessern könnte.

Im Bild oben: In vielen bayerischen Biergärten werden für den beliebten Steckerlfisch nicht mehr in heimischen Seen gefangene Renken oder Brachsen gegrillt, sondern wie hier im Münchner Westpark auch Makrelen und andere Seefische. Diese müssen statistisch gesehen in diesem Sommer importiert werden. | © Katharina Heuberger

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Radikaler Kurswechsel versprochen

Grund für den Optimismus liefert die EU-Fischereireform. Anders als bei der gescheiterten Agrarreform hat die Neuregelung der Fischerei durchaus substanzielle Verbesserungen gebracht, die von allen Seiten anerkannt wird. Maria Flachsbarth, CDU-Staatssekretärin in dem für die Fischerei zuständigen Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft, sprach von einem „radikalen Kurswechsel der europäischen Fischereipolitik“. Die neue Überschrift heiße Nachhaltigkeit: Künftig werde den Meeren durch Europas Fischer nur noch so viel Fisch entnommen wie gesichert nachwachsen könne. Deutschland sei bei dieser Neuausrichtung der EU einer der treibenden Kräfte gewesen, sagte Flachsbarth. Als weltweit größter Importmarkt für Fischereierzeugnisse trage Europa allerdings auch eine besonders große Verantwortung.

Aber wie wird die Fischereireform jetzt umgesetzt und wo liegen die Fußangeln in diesem Verordnungsdschungel? Nina Wolff von Ocean 2012 will vor allem aufs Tempo drücken. Das Nachhaltigkeitsgebot für die EU-Fischerei müsse ohne Zeitverzögerung umgesetzt werden. Wolff: „Wir wollen, dass es jetzt passiert!“ Derzeit gelten noch 39 Prozent der Fischbestände in EU-Gewässern als überfischt. Bis 2015 und in Ausnahmefällen bis spätestens 2020 sollen alle Bestände im grünen Bereich liegen und die Fänge auf den „höchstmöglichen Dauerertrag“ eingestellt werden, also auf eine Fangmenge, die ohne Risiken für den Erhalt der Fischpopulationen über viele Jahre konstant aufrecht erhalten werden kann. Etwaige Ausnahmenregelungen für 2020 sind für Nina Wolff schwer akzeptabel, „wir müssen die Ausnahmen nach strengen wissenschaftlichen Kriterien handhaben.“

Im Bild oben: Niederländischer Schnleppnetzfischer. | © Corey Arnold/OCEAN 2012

Wer kontrolliert, was über Bord geht

Die zweite Crux in der Fischereireform ist das Rückwurfverbot für Beifänge. Fischer, die Kabeljau fangen, Rotbarsch oder Schollen, holen unbeabsichtigt noch viele andere Arten aus dem Meer. Bisher wurden diese Beifänge aussortiert und tot oder halbtot über Bord geworfen. Bis 2019 sollen nach einem strikten Stufenplan alle europäischen Fischereien verpflichtet werden, auch ihre Beifänge anzulanden. Sie werden dann auch auf die Fangquote angerechnet. Die Wirksamkeit der Rückwurfverbote „erscheint mehr als fraglich“, wenn die Kontrollen unzureichend sind, kritisierte Francisco Mari von Brot für die Welt. Mari verlangt verbindliche Kameras an Bord, die das Einholen der Netze und das Sortieren der Fische überwachen. Dagegen wehren sich viele Fischer und Fischereiorganisationen, die ihre Persönlichkeitsrechte durch die Überwachungskameras verletzt sehen. Auf großen Industrieschiffen müsse womöglich ein fester Kontrolleur dauerhaft installiert werden, erklärte Nina Wolff. Bloße Stichproben erscheinen dagegen kaum als wirksames Mittel, um das Überbordwerfen der Beifänge wirklich zu verhindern.

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Wer folgt auf Maria Damanaki

Ein drittes Sorgenkind der Fischereireform ist der Posten der EU-Kommissarin für Fischerei, der bisher mit der Griechin Maria Damanaki besetzt war. Sie hat die EU-Fischereireform engagiert vorangetrieben. Die Neubesetzung nach der Europawahl könne eine ernsthafte Gefahr für die Fischereireform bedeuten, heißt es in einem Hintergrundpapier von Brot für die Welt. Die Fischindustrie und bestimmte Fischereinationen würden schon auf den Tag warten, an dem die alte Kungelei aus den Zeiten vor Damanaki wieder aufgenommen werden könne.

Auch für die Slow-Food-Vorsitzende Ursula Hudson ist die Fischereireform in der Ära Damanaki ein wichtiger Schritt nach vorn. Hudson sieht allerdings mögliche Einschränkungen auf die Fischesser zukommen. Die gängige Ernährungsempfehlung, 280 Gramm Frisch pro Kopf und Woche zu essen, sei unvereinbar mit den Nachhaltigkeitszielen der Fischereireform. Hudson: „Das bedeutet 23 Millionen Tonnen zusätzlicher Fisch in Europa – woher soll dieser Fisch denn kommen?“ Für Hudson ist der 6. April ein schwarzer Tag im Kalender. Wenn sich alle europäischen Bestände erholen und nachhaltig befischt würden, dann würde auch ihre Produktivität wachsen und der Fish Dependence Day würde sich im Idealfall bis in den Oktober hinein nach hinten verschieben. Erneut forderte Hudson, die Auswahl der Speisefische zu vergrößern. Es gebe neben den 20 üblichen Verdächtigen in den Fischtheken von Aal bis Zander noch mehr als 1.000 essbare Fischarten, die ignoriert würden.

Drei dieser eher selten auf den Tellern liegenden Fische wurden vom Berliner Sternekoch Stefan Hartmann anschließend serviert: Rapfen, Giebel und Brassen – alle aus Berliner Gewässern. Das Grätenproblem dieser Weißfischarten sei lösbar, sagte Hartmann. Der Koch hatte das Fischfleisch mit einem kräftigen Messer von den Gräten geschabt und den entstandenen Fischbrei zu Kugeln geformt, leicht paniert und fritiert.

Bild oben: EU-Kommissarin Maria Damanaki besucht im Februar 2014 einen neu eröffneten Fischgroßmarkt in Piräus in Griechenland. | © EU-Kommission

Mehr Informationen:

Fish Dependence Day 2014: Wiederaufbau der Fischbestände jetzt!

Nachhaltige Fischerei: Aktivitäten, Hintergründe und Positionen von Slow Food

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