EU-Fischereireform

29.1.2014 - In den europäischen Meeren hat eine neue Ära begonnen. Die EU-Fischereireform soll Nachhaltigkeit, Transparenz und endlich das Ende des massenhaften Überbordwerfens der Beifänge bringen. Auf dem Papier sieht die Reform richtig gut aus, selbst Skeptiker sprechen von substanziellen Verbesserungen. In Hamburg wurde schon mal ein bisschen gefeiert. Von Manfred Kriener.

Fischerei-Reform: Neuer EU-Kurs weckt Hoffnung auf Rettung der Meere

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Sowas hat es lange nicht gegeben. Halb Hamburg grinst. Politiker, Fischereiexperten, Handel, Umweltverbände, Gastronomen und Verbraucher diskutierten in der Hansestadt über die europäische Fischerei – und alle waren bester Stimmung. Eine Orgie der guten Nachrichten. Nach Jahrzehnten politischer Ignoranz und des Niedergangs der europäischen Fischbestände hat die zum Jahreswechsel verabschiedete Fischereireform endlich die Weichen Richtung Nachhaltigkeit gestellt. Die neuen Gesetze und Regeln zum Fischfang könnten die Fischerei in Nord- und Ostsee, im Mittelmeer und Atlantik tatsächlich enkeltauglich machen. Die viel gescholtene Politik als später Rettungsring für in Seenot geratene Fische? Jetzt müssen die einzelnen Fischereinationen die Vorschriften buchstabengetreu umsetzen und ihre Fischer auch kontrollieren. Und die illegalen Fänge eindämmen. Entscheidend ist, was im Meer wirklich passiert, sagt die WWF-Fischereireferentin Anna Holl.

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Der Verbraucher soll Verantwortung zeigen

Am diesem Abend, dem Starttermin der EU-Kampagne zur Vermittlung der Fischereireform an die Verbraucher, wollte niemand schwarzmalen. Trotz möglicher Probleme mit der Umsetzung der Reform überwog die Zufriedenheit mit den erreichten Fortschritten. Im Internationalen Maritimen Museum Hamburg hatten sich 150 Besucher und ein gutes Dutzend Aussteller versammelt. Die Kampagne „eat, buy and sell sustainable fish“ (esst, kauft und verkauft Fisch aus nachhaltigem Fang“) richtet sich vor allem an den Handel und die europäischen Verbraucher, die „mit ihren Ess- und Kaufgewohnheiten verantwortungsbewusst und nachhaltig Fisch und Meereserzeugnisse konsumieren“ und damit die eingeleitete politische Reform unterstützen sollen, so die Kampagnendiktion.

Die EU-Kommissarin für Fischerei und maritime Angelegenheiten, Maria Damanaki, (nächstes Bild) schritt stolz durch die Reihen und nahm die Dankesworte für ihr Reformwerk entgegen. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) erinnerte an die Jahrzehnte lange Überfischung und die immer magerere Beute in den Netzen der Fischer. Jetzt habe Europa „Mut zur Nachhaltigkeit“ gezeigt. Davon müssten nun auch die Konsumenten überzeugt werden. Dass Scholz im selben Atemzug einem weiteren Wachstum im Fischverbrauch der Deutschen das Wort redete, blieb unwidersprochen. Doch nachhaltiger Fischkonsum könnte auch weniger Fischkonsum heißen, wie die Slow Food Vorsitzende Ursula Hudson in ihrem Statement sagte. Daran wollte an diesem Abend des Schulterklopfens niemand denken.

Bilder oben: Inseparable, unzertrennlich sind Mensch und Fisch. Die Kampagnenmotive der EU-Kommission, mit denen sie Verbraucher, Handel und Gastronomen für die Fischereireform und verantwortungsbewussten Fischkonsum sensibilisieren will. | ©  EU-Kommission

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Bild links: EU-Kommissarin für Fischerei und maritime Angelegenheiten Maria Damanaki. | ©  EU-Kommission

Jahrzehnte der Nicht-Politik der EU

Damanaki, die Architektin der Fischereireform, beschrieb noch einmal die Ausgangsposition, als sie im Februar 2010 ihr Amt übernommen hatte. Damals hätten sich Politiker, Fischer und Konsumenten noch sicher gefühlt: „Was auch immer geschieht, wir haben genug Fisch in den Meeren.“ Die Fischereipolitik sei viel zu lange eine „Nicht-Politik“ gewesen, wie aus der Zeit gefallen. Als die Fische in den Netzen immer weniger und weniger wurden, musste ein „Break“ kommen, eine neue Politik mit dem „Mut, sich eine bessere Welt vorzustellen“. Zu Damanakis Amtsbeginn seien neun Fischbestände in Europa nachhaltig befischt worden, heute seien es 27 und „bis 2015 werden es 30 sein – darauf bin ich stolz.“

Die Kommissarin, die einst mit 25 Jahren als jüngste Abgeordnete aller Zeiten ins griechische Parlament eingezogen war und während der griechischen Diktatur als linke Aufrührerin im Gefängnis saß, skizzierte noch einmal die Eckpfeiler ihrer Reform.

  • Stopp der Überfischung. Alle Bestände dürfen nach den Vorgaben der Wissenschaft nur bis zum „maximal nachhaltigen Ertrag“ befischt werden.
  • Stopp des Überbordwerfens der Beifänge. Mitgefangene Fische anderer Arten als die in der Fangquote genehmigten, müssen angelandet und mit verwertet werden. Bisher werden in der EU rund 1,7 Millionen Tonnen Beifang im Jahr aussortiert und tot zurück ins Meer geworfen. Die Beifang-Vorschriften treten allerdings erst ab 2017 voll in Kraft.
  • Entscheidungen zur Fischerei, zum Beispiel zur Maschenweite der Netze, sollen künftig regional in den jeweiligen Meeresregionen getroffen werden. Regionen und Nationalstaaten erhalten dadurch mehr Gewicht.
  • Außerhalb der EU gelten für europäische Industriefischer künftig dieselben Regeln wie innerhalb der europäischen Gewässer. Wer etwa vor der afrikanischen Küste fischt, darf auch dort nicht die Bestände gefährden und muss den wissenschaftlichen Nachweis führen, dass sich der Beutefisch in gesunden biologischen Grenzen befindet.

Viele andere Punkte des Reformwerks blieben unerwähnt. Die Anpassung der Flottengröße an die Fischressourcen etwa zählt zu den wichtigsten Vorschriften, zumal die Überdimensionierung der Fangflotte eine der Hauptursachen der Überfischung war.

Damanaki will nicht gegen die Fischer kämpfen

Damanaki versuchte die Fischer aus der Schusslinie zu nehmen und die Gemeinsamkeit des Reformwerks zu betonen. Nachhaltigkeit bedeute nicht gegen die Fischer zu kämpfen. Nachhaltigkeit heiße, dass am Ende des Tages, wenn sich die Bestände erholt hätten, alle zusammen profitieren. Dann gebe es mehr Fisch, bessere Einkommen für die Fischer und besseres Essen für die Verbraucher.

Neben Damanaki zählt Ulrike Rodust zu den Müttern der Fischerei-Reform. Sie hatte als Verhandlungsführerin des EU-Parlaments die entscheidenden und wie sie sagte „sehr speziellen“ Verhandlungen mit dem europäischen Ministerrat geführt. Rodust sieht nach „Jahrzehnten verfehlter Politik“ die Fischerei endlich im Hafen der Nachhaltigkeit eingelaufen. Jeder einzelne Reformvorschlag sei anfangs auf erheblichen Widerstand gestoßen und dennoch sei die Reform nach viel Überzeugungsarbeit durchgesetzt worden. Aber: Jetzt müsse die Umsetzung mit Argusaugen beobachtet werden, forderte die SPD-Politikerin. Heikel seien besonders die Ausnahmen in Sachen Beifang und Rückwurfverbot. Wenn es keine vernünftige Lösung für eine wirtschaftliche Nutzung der Beifänge gibt, könnten diese in Ausnahmefällen wieder über Bord gehen. Dies dürfe nicht zum Einfallstor für die Umgehung des Rückwurfverbots werden. Und bei der Festlegung der Fangquoten müsse konsequent geklagt werden, wenn die von Wissenschaftlern festgelegte nachhaltige Quote überschritten werde. Rodust hat auch die sozialen Folgen der Fischerei im Blick. „Wenn Europas Fischer vor Westafrika fischen, dann geht es auch um die Lebensgrundlagen der Menschen vor Ort, unser Handeln hat direkte Auswirkung auf die Existenz vieler Menschen und damit auch auf die Flüchtlingsströme.“

Wie geht’s eigentlich dem Kabeljau?

Abseits der politischen Reden waren im Beiprogramm NGOs, Wissenschaftler und Handel mit ihren Ständen und kurzen Vorträgen präsent. Der Fischereiwissenschaftler Christopher Zimmermann stellte die Internet-Seite „fischbestaendeportal-fischerei.de“ vor. Ohne moralischen Druck aufzubauen und ohne Verbraucherempfehlungen zu geben, wird hier die biologische Situation der wichtigsten 33 Fischarten und ihrer Bestände vorgestellt. Die Seite will Übersetzer sein von trockenen, manchmal schwer verständlichen wissenschaftlichen Expertisen. Die Statusberichte wenden sich an Verbraucher und Handel. Wer wissen will, wie’s dem Kabeljau so geht, der erhält hier den schnellen Überblick.

Auch von Slow Food gab es Anerkennung für das Reformwerk. Ursula Hudson goss allerdings einen Schuss Wasser in den Wein. Fisch sei ein kostbares Lebensmittel, und „wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, wir könnten einfach so weitermachen.“ Beim Fischkonsum müsse wie beim Fleisch gelten: Weniger ist mehr. Hudson forderte, nicht immer nur dieselben 20 Fischsorten zu essen und zu handeln. Auch die von der EU gepuschte Aquakultur, also die Aufzucht von Fischen in Teichen, Netzkäfigen und Becken, sei keine Lizenz zum Weiter-so. Dieser vermeintliche Ausweg bringe viele neue Probleme mit sich.

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Bild links: Der Sylter Koch Johannes King vertrat in Hamburg die Gastronomie und servierte allerlei wundersames Getier aus der Nordsee. Bei ihm kommt kein Fisch auf den Teller, der südlich von Hamburg herumgeschwommen ist. | ©  Johannes King

Wittling und Knurrhahn auf dem Teller

Das Schlusswort soll dem Sylter Koch Johannes King gehören, der die Gäste im Hamburger Maritimen Museum bewirtete. Er servierte unter anderem Wittling und Knurrhahn, beides Fische, die in kaum einer Verkaufstheke liegen würden. King: „Wer kennt eigentlich die Saison von Fischen? Wer hat eine Vorstellung davon, was wir alles essen können und wie viele Arten es gibt?“ Auf seinem großen Servierteller tummelte sich ein buntes Häufchen von Muscheln, Schnecken, Krabben und anderem wundersamen Getier – alle vor der eigenen Haustüre gefangen. Eigentlich, so der Sylter Gastronom, gebe es mehr als 2.000 Fischarten, die wir mit Genuss essen könnten.

Mehr Informationen:
Slow Food Aktivitäten und Positionen zur nachhaltigen Fischerei

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