Interview mit Olaf Altenhain

20.2.2014 - Eine der 300 Empfehlungen des kürzlich erschienen Slow Food Genussführers 2014 ist der Landgasthof "Auf dem Brink" in Sprockhövel bei Wuppertal. Dort trafen sich vergangen Samstag rund 50 Slow Food Testesser zur Jahreskonferenz (siehe Meldung auf slowfood.de vom 20.2.2014). Manfred Kriener sprach mit dem Wirtepaar Rosita Pelloso und Olaf Altenhain über die Regionalküche des Bergischen Lands und wie man uralte Gerichte mit moderner Molekularküche kombiniert.

„Wer New York überlebt, der überlebt auch Sprockhövel“

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Slow Food: Herr Altenhein, Ihr Landgasthof „Auf dem Brink“ in Sprockhövel ist eine von 300 Adressen im Slow Food Genussführer. Welche Reaktionen gab es bisher auf Ihre Nominierung?

Olaf Altenhain: Die Resonanz war bisher sehr positiv. Wir werden stärker frequentiert und das Einzugsgebiet wächst. Da kommen auch mal Gäste, die 50 oder 100 Kilometer gefahren sind, um uns kennen zu lernen. Wir hatten auch eine gute Presseresonanz auf die Genussführer-Nominierung, das hat viele Gäste vor Ort motiviert, mal wieder bei uns zu essen und zu entdecken, wie sich unsere Küche weiter entwickelt hat.

Ist dieses Bergische Land nicht ein schwieriges Gelände für eine ambitionierte Küche?

Im Oberbergischen Speckgürtel von Köln haben sich einige Sterne-Restaurants etabliert. Im Städtedreieck Wuppertal-Solingen-Remscheid sieht es etwas anders aus. Im Bergischen Land wird aber tendenziell besser gegessen als Sie wahrscheinlich vermuten. Und die Sterne-Restaurants repräsentieren aus meiner Sicht ohnehin nicht die Esskultur einer Region. Wir als Landgasthof wollen jedenfalls die Küche dieser Region widerspiegeln und einem breiten Gästekreis zugänglich machen.

Sie haben zuvor in einem Spitzenrestaurant in New York gekocht. Aus Manhattan ging‘s dann direkt nach Sprockhövel. Heftiger Kulturschock oder?

Das kann man wohl sagen. Allerdings bin ich hier aufgewachsen und habe mich hier auch schnell wieder wohlgefühlt. Und wer New York überlebt hat, der überlebt auch Sprockhövel. Aber im Ernst: Ich habe mich bewusst für den elterlichen Herd entschieden. Hier kann ich meine eigene Küche entwickeln. Allerdings haben mir die alten Gewohnheiten meiner Gäste am Anfang schnell die Grenzen aufgezeigt, da war ich schon sehr unglücklich.

Was hat sie da konkret behindert?

Die Gäste hatten anfangs die Erwartungshaltung, dass ich die Küche meiner Eltern mit dem Preisniveau der 50er Jahre fortsetzen würde. Die Küche und vor allem das Ernährungsbewusstsein haben sich seitdem aber stark verändert, allerdings nicht bei einigen meiner ehemaligen Stammgäste.

Das haben Sie inzwischen hinter sich gelassen, Sie haben auf eine moderne Regionalküche gesetzt. Welche Schwierigkeiten hatten Sie, um gute Produkte in der Region zu finden?

Ich bin losgezogen und wollte erst einmal Fleisch aus der Region einkaufen. Bei Schwein und Rind stand ich sofort vor großen Problemen. Das Bergische Land ist weder für die Schweine-, noch für die Rinderhaltung berühmt. Also haben wir erst mal mit Gemüse angefangen. Als sich die Slow Food Gruppe hier im Bergischen Land gründete, wurde ich auf selbstgemachtes Sauerkraut aufmerksam. Und es eröffnete sich langsam ein ganzes Netzwerk. Wir kamen mit Menschen zusammen, die nicht nur genussfreudig, sondern auch gut vernetzt sind und viele Kontakte haben.

Mit den Schweinen und Rindern hat’s dann doch noch geklappt?

Ein Landwirt erklärte sich tatsächlich bereit, auf Rinder zu setzen, die er uns dann angeboten hat. Und keine zehn Kilometer von uns entfernt, hat ein ehemaliger Gast Galloway-Rinder ins Naturschutzgebiet gestellt. Die Tiere haben eine hervorragende Fleischqualität, die sehr gut zu unserem Haus passt. Solche Kontakte entstehen eben über Netzwerke.

Wie sieht es bei Fischen aus? Sie haben Dorsch und gelegentlich auch Steinbutt auf der Karte. Was schwimmt in heimischen Gewässern?

Steinbutt haben wir nur sporadisch auf der Karte. Das Bergische Land hat eine hohe Dichte an Talsperren und viele Flüsse und Bäche. Hier gibt es Forellen und Lachsforellen, die wir anbieten. Miesmuscheln rheinischer Art sind ein sehr gutes regionales Produkt und haben hier eine mehr als 100 Jahre lange Tradition.

Zur Tradition gehört auch die „Potthucke“, ein uraltes Gericht. Das ist ja eigentlich eine Reste- und Arme-Leute-Küche. So arm sind wir heute aber nicht mehr dran. Ist das noch zeitgemäß?

Unsere kulinarische Armut ist manchmal bedenklich. Ich koche die Potthucke, weil die Identifikation mit einer Region gerade über die Küche funktioniert, über alte traditionelle Gerichte. Die muss ich nur modern interpretieren. Wir haben viele Traditionsgerichte in den Rezepten der Landfrauen gefunden. Henriette Davidis ist eine der bekanntesten Köchinnen mit wunderbaren Rezepturen. Sie hat Anfang des 19. Jahrhunderts eine bahnbrechende deutsche Küche gekocht. Sie hat hier in Sprockhövel gelebt. Natürlich lassen sich nicht alle Gerichte eins zu eins umsetzen. Manche sind es auch gar nicht wert, aber einige Rezepte sind durchaus aktuell.

Herr Altenhain, einerseits servieren Sie die gute alte Potthucke als uraltes Traditionsgericht, andererseits, so schreiben Sie auf der Homepage, wollen Sie auch die avantgardistische Molekularküche in ihr Konzept integrieren. Das klingt erst mal ziemlich abenteuerlich. Wie bringen Sie das zusammen?

Mit der Molekularküche habe ich mich seit vielen Jahren beschäftigt. Für mich liegt der Reiz darin, nach wissenschaftlichen Methoden die optimale Garmethode für ein Produkt zu finden. Die Texturgeber, die Schäumchen und Kügelchen, das alles interessiert mich nicht.

Sie könnten also auch die altehrwürdige Potthucke mit der modernen Gartechnik der Molekularküche zubereiten?

Richtig. Das schließt sich ja nicht aus. Wir dürfen die Molekularküche nicht immer nur aufs Schäumchen reduzieren. Garmethoden, Konservierungsmethoden – das sind ganz wichtige Kulturtechniken. Die Maillard-Reaktion, also das Anbraten von Eiweiß mit der Entstehung von Röstaromen, ist so alt wie die Kultivierung des Feuers durch den Menschen.

Zum Schluss noch ein Blick in Ihre Weinkarte. Der Raum Wuppertal ist eher Biertrinker-Land. Trotzdem haben Sie eine relativ ambitionierte Weinkarte. Mal ehrlich: Wie viele Fläschchen verkaufen Sie in der Woche?

Unsere Weinkarte listet immer mehr biozertifizierte Weingüter, das ist uns wichtig, sofern der Wein auch noch schmeckt. Unser Preisniveau ist wirklich fair. Die Großen Gewächse auf unserer Karte haben wir zum Extrempreis angeboten. Trotzdem haben wir sie am Ende alle selber ausgetrunken. Die haben wir jetzt von der Karte genommen. Ansonsten gibt’s viele deutsche Weine, aber auch Sekt von der Champagnerbratbirne und andere Besonderheiten.

Und wie kombinieren Sie die Potthucke?

Ich würde zur Potthucke mit Pilzragout einen feinen Weißburgunder servieren. Vielleicht auch den schönen Grauburgunder vom Weingut Rinklin.

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Landgasthof Auf dem Brink
Familie Altenhain
Elberfelderstr.100
45549 Sprockhövel
www.auf-dem-brink.de

Eintrag im Slow Food Deutschland Genussführer: ab der 4. Auflage, Seite 298.
(Aufgrund eines technischen Fehlers war der Landgasthof in den ersten drei Ausgaben nicht verzeichnet.)

Foto: © Slow Food Archiv

Mehr Informationen:

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Slow Food Deutschland e.V. (Hrsg.):
Slow Food Genussführer Deutschland 2014

ca. 344 Seiten, 12cm x 21,5cm
ISBN 978-3-86581-439-5
19.95 EUR, 20.60 EUR (A), CH 27.90
oekom verlag
Erhältlich auch als E-Book

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