Kommentar zur Agrarpolitik der Bundesregierung
Gentechnik: Deutschlands fataler Schlingerkurs
Nicht Männlein, nicht Weiblein, sondern etwas Drittes. Deutschland hat sich im Streit um die Zulassung des gentechnisch manipulierten Mais 1507 von Pioneer durch die EU-Kommission der Stimme enthalten. Schon beim ersten Härtetest, ob der im Koalitionsvertrag angekündigte Respekt vor der gentech-kritischen Haltung der Bevölkerung auch politisch umgesetzt wird, ist die neue Bundesregierung spektakulär eingeknickt. „Wir erkennen die Vorbehalte des Großteils der Bevölkerung gegenüber der grünen Gentechnik an“, heißt es im Koalitionsvertrag, und auf derselben Seite ist außerdem zu lesen: „Wo Verbraucher sich nicht selbst schützen können oder überfordert sind, muss der Staat Schutz und Vorsorge bieten.“ Genau das hat er jetzt nicht getan.
Kaum ist die Tinte trocken …
Die Chuzpe, mit der gegen den neuen Koalitionskonsens in Sachen Gentechnik verstoßen wird, kaum ist die Tinte unter dem Vertrag trocken, hat nicht nur die Bürger schockiert, sondern auch etliche Parlamentarier, vor allem in der SPD und CSU. Etliche empörte Sozialdemokraten wollen das Thema in der eigenen Fraktion noch einmal hochziehen. Unterdessen beeilt sich vor allem die CSU, sich aus dem Gentechnik-Chaos im Koalitionslager ohne große Blessuren herauszuwinden, um vor den Wahlen bei den eigenen Bauern wieder als politisch verlässlicher Kämpfer gegen die Einfallstore der Gentechnik dazustehen. Der inzwischen abhanden gekommene Landwirtschaftsminister Friedrich verwies sein irritiertes Wahlvolk mehrfach auf die vage Möglichkeit regionaler und nationaler Anbauverbote. Und der bayerische Landwirtschaftsminister Helmut Brunner gab eilig zu Protokoll: „Wir lehnen den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in Bayern generell ab. Denn die Gentechnik bringt unseren Landwirten keine Vorteile und ist von den Verbrauchern auch nicht gewollt.“ Da reibt sich mancher die Augen: In Brüssel machen Union und SPD durch dubioses Abstimmungsverhalten den Weg für die Zulassung von gentechnisch veränderten Organismen frei, um sie dann im eigenen Hinterhof wortreich verbieten zu wollen.
Erst europaweit zulassen – und dann im nationalen Alleingang verbieten
Links blinken und rechts abbiegen – das galt schon beim Monsanto-Mais 810. Auch im Zulassungsstreit um diese Maissorte hatte sich Deutschland enthalten, um später Anbauverbote auszusprechen. Dasselbe Prinzip gilt aber auch für die EU-Kommission selbst. Brüssel hat schon 2010 den Vorschlag präsentiert, dass die nationalen Regierungen über Anbauverbote im eigenen Land selbst entscheiden sollen, wenn sie zuvor für die schnelle Zulassung votiert haben. Auf Deutsch: Nur wenn ich in Brüssel „Ja“ sage und dort das Zulassungsverfahren für Gentech-Mais und für andere Turbopflanzen beschleunige, darf ich später in Berlin und München „Nein“ sagen. Beim Treffen der EU-Umweltminister hat EU-Kommissar Tonio Borg am 3. März erneut für diese Regelung geworben. Erst europaweit zulassen … und dann im nationalen Alleingang verbieten. Es sind genau diese schizophren anmutenden Winkelzüge, die die Politik nicht nur unberechenbar, sondern auch abstoßend machen. Wenn selbst die Schleimspur des Opportunismus zickzack fährt, wird es schwierig, noch den Überblick zu behalten.
19 EU-Länder stimmten gegen den Gentech-Mais
80 Prozent der deutschen Bevölkerung lehnen die genveränderten neuen Maissorten ab. Diese Haltung ist so stabil und eindeutig wie der Kurs der Politik unklar und wackelig ist. Selbst der Deutsche Bauernverband hat seinen Pro-Gentechnik-Kurs inzwischen korrigiert. Noch stärker fällt die Ablehnung der Grünen Gentechnik in den Bundesländern aus, wo einzig in Sachsen und Sachsen-Anhalt eine eher leidenschaftslose Rest-Unterstützung erkennbar ist. Und auch unter den EU-Staaten gibt es eine immer deutlichere Mehrheit gegen den neuen Gentech-Mais. 19 EU-Staaten – so viele wie noch nie bei einer Gentech-Entscheidung – haben gegen die Zulassung des Pioneer-Mais votiert, nur fünf waren dafür, vier haben sich enthalten. Diese große Mehrheit war dennoch nicht groß genug, um die Zulasssung auch tatsächlich zu stoppen. Es wäre aber eine Frage des demokratischen Anstands, die breite Ablehnung auf allen Ebenen im Abstimmungsverhalten des politisch wichtigsten EU-Landes auch entsprechend abzubilden. Stattdessen gab es die deutsche Stimmenthaltung, das Signal aus Berlin blieb aus.
Slow Food zeigt klare Kante in Sachen Grüner Gentechnik
Slow Food hat im internationalen und im deutschen Verband von Beginn an eine ablehnende Haltung zur Gentechnik eingenommen. Der Vormarsch der Konzerne à la Monsanto, die immer mehr Bauern in die Abhängigkeit treiben, das Vorsorgeprinzip gegenüber ungeklärten Risiken und die vielen negativen Erfahrungen mit gentechnisch veränderten Organismen in den verschiedensten Ländern – wie aktuell in Brasilien mit dem Pioneer-Mais – sind gute Gründe, den kritischen Kurs beizubehalten. Die haltlosen Versprechen, mit Hilfe der Gentechnik den Hunger zu besiegen, wirken beinahe zynisch angesichts der realen Entwicklungen.
"Kanzlerin Merkel chloroformiert das Land"
Man fragt sich, wer denn überhaupt noch für die Grüne Gentechnik und den Gentech-Mais eintritt? Die Antwort mag verwundern: Vor allem Kanzlerin Angela Merkel. Sie will diese Option auch mit Rücksicht auf die USA und deren Agrokonzerne offenhalten, und niemand fährt ihr dabei in die Parade, obwohl gerade Frankreich, ihr wichtigster Bündnispartner in der EU, vehement gegen die grüne Gentechnik agiert. Ihrer Beliebtheit scheint dieser Kurs nicht zu schaden. „Die Kanzlerin chloroformiert das Land“, analysiert in seinem neuen Buch der Hamburger Autor Roger Willemsen die Merkel-Politik, die ohne Streit und große Turbulenzen die Bevölkerung systematisch einlulle. Dass sich dies gerade bei der grünen Gentechnik ändern könnte, scheint zwar eher unwahrscheinlich. Doch der nachdenkliche Teil der Bevölkerung ist zumindest irritiert über die Gentech-Politik der Kanzlerin und ihrer Großen Koalition.
Keine Akzeptanz, aber auch kein Krieg in den Dörfern
Die EU-Zulassung des neuen Gentech-Mais 1507 von Pioneer dürfte nun also in diesem Frühjahr kommen. Sie wird das „Nein“ der Bevölkerung, der Agrar-Regionen und der Bundesländer aber kaum erschüttern. Akzeptanz für die Gentechnik ist mit politischer Ignoranz nicht zu ernten. Der befürchtete „Krieg in den Dörfern“ – unter Gegnern und Bewürwortern in der Bauernschaft – wird allerdings ebenso wenig ausbrechen, weil sich nur wenige Bauern finden dürften, die diesen Mais tatsächlich anbauen wollen.
Falls doch könnte die Politik notfalls wieder den Paragrapfen 23 zücken. Er erlaubt es den Nationalstaaten, bei „neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen“ zu den Gefahren von Gentech-Pflanzen die Reißleine zu ziehen und den Anbau zu verbieten. Die frühere Agrarministerin Ilse Aigner hatte diese Option 2009 beim Monsanto-Mais gewählt. Auch in Sachen Pioneer-Mais 1507 gibt es solche Studien, die eindringlich vor den Risiken warnen. Wenn es politisch opportun erscheint, weil das Wahlvolk murrt, könnte sich auch der neue Landwirtschaftsminister Christian Schmidt daran erinnern.
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Bild oben: Demonstranten auf der Kundgebung "Wir haben es satt!" in Berlin protestieren gegen Gentechnik. | © Luca Cosimato