Neuland-Interview

Neuland: „Wir entschuldigen uns bei allen Verbrauchern.“

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Jochen Dettmer, Bundesgeschäftsführer von Neuland e. V. | © Neuland e. V.

8.5.2014 - Die Krisensitzungen bei Neuland häufen sich. Nachdem die „Zeit“ aufdeckte, dass der größte Hähnchenlieferant jahrelang falsch deklarierte Ware verkaufte und die Bestandsobergrenzen ignorierte, steht der Verband für artgerechte Tierhaltung in der Kritik. Warum haben die Kontrollen nicht gegriffen? Warum musste erst die Presse den Skandal öffentlich machen? Und was hat es mit den vielen Ausnahmeregelungen für Neuland-Betriebe auf sich? Antworten von Neuland-Geschäftsführer Jochen Dettmer (links im Bild)  im Interview mit Manfred Kriener für slowfood.de.

Slow Food: Herr Dettmer, Ihr wichtigster Hähnchenlieferant hat offenbar fünf Jahre lang betrogen und mehr Hühner produziert als erlaubt und dann auch noch konventionelle Masthühner aus Massentierhaltung als Neuland-Hähnchen verkauft. Wann haben Sie zum ersten Mal davon gehört, dass dieser Betrieb nicht koscher ist?

Dettmer: Wir wissen nicht wie lange der Hähnchenlieferant betrogen hat, das klärt hoffentlich die Staatsanwaltschaft, bei der wir Strafanzeige gestellt haben. Aber es war auf jeden Fall viel zu lange. Dafür entschuldigen wir uns bei allen Verbraucherinnen und Verbrauchern. Unser Kontrollsystem basiert auf Lizenzverträgen zwischen Neuland e.V., den landwirtschaftlichen Betrieben und den Neuland-Vertriebsgesellschaften, in denen sich die Lizenznehmer verpflichten, die Richtlinien einzuhalten. Um das sicherzustellen, müssen die Vertriebsgesellschaften eigene Qualitätssicherungssysteme haben, die das garantieren. Neuland e.V. ist davon ausgegangen, dass dieses Qualitätssicherungssystem auch bei der Neuland-GmbH Bad Bevensen vorhanden ist und auch bei dem unter Betrugsverdacht stehenden Betrieb von Herrn L. funktioniert. Neuland e.V. lässt einmal im Jahr die landwirtschaftlichen Betriebe von einer externen Kontrollstelle unangemeldet kontrollieren, um im wesentlichen die Tierhaltungsstandards zu überprüfen.

Wann genau haben Sie den Betrieb kontrolliert?

Aufmerksam sind wir auf Herrn L. im Januar 2012 geworden, als wir ihn mit einer Abmahnung darauf hingewiesen haben, dass er die Bestandsobergrenzen nicht eingehalten hat und zu viel Hähnchen geschlachtet hat. Wir haben ihn aufgefordert, seinen Bestand zu reduzieren. Bei der Regelkontrolle im September 2012 haben wir dann auch nur eine leichte Überschreitung der Obergrenzen auf 6.500 Plätze, 6.000 sind vorgeschrieben, festgestellt. Da wir nicht vermutet haben, dass er betrügt, wurde keine Warenflussanalyse vorgenommen und die Vermarktungsgesellschaft hat offensichtlich auch keinen Bestandsvergleich vorgenommen. Wir haben erst nach der Regelkontrolle vom 2. Oktober 2013 erste Verdachtshinweise gehabt und daraufhin eine Sonderprüfung veranlasst und den Landwirt aufgefordert, dazu Stellung zu nehmen und Belege nachzuliefern. Nachdem die Stellungnahme bruchstückhaft gekommen ist, haben wir eine letztmalige Frist für den 9.Dezember gesetzt, der sich der Landwirt durch eigene Kündigung entzogen hat. An dem Tag wurde sofort jegliche Ware von dem Betrieb gestoppt.

In der Öffentlichkeit drängt sich der Eindruck auf, dass Neuland erst dann reagiert und die Öffentlichkeit informiert hat, nachdem die „Zeit“ den Skandal öffentlich gemacht hat.

Wie gesagt, wir haben unmittelbar reagiert, nachdem der Betrieb die Kontrolle verweigert hat. Wir haben es dann aber versäumt, eine Kontrolle gerichtlich zu verlangen, da wir zu dem Zeitpunkt immer noch nicht von einem Betrug ausgegangen sind, sondern von einer Überproduktion.

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Bundesweit gibt es über 200 landwirtschaftliche Erzeuger, die gemäß den Neuland-Richtilien Fleisch produzieren. Links im Bild: Das Neuland-Logo.

Der Betrieb von Herrn L. hatte offenbar großzügige Ausnahmeregelungen. Er durfte ältere Küken zukaufen, man müsste eigentlich Junghühner sagen, denn die waren schon drei Wochen alt. Die durfte er im großen Stil einstallen und noch drei Wochen weitermästen, um sie dann ganz legal als Neuland-Hähnchen zu verkaufen. Haben Sie mit solchen Ausnahmeregelungen nicht dem Betrug Vorschub geleistet?

Der Betrieb hatte keine alleinigen großzügigen Ausnahmeregelungen. In den letzten Jahren hat es sich als sehr schwierig dargestellt, überhaupt landwirtschaftliche Betriebe zu motivieren, Freilandgeflügel zu halten. Ein Engpass war dabei die Aufzuchtphase, für die besondere Haltungsanforderungen erforderlich sind. In der Aufzuchtphase, die bei extensiver Mast drei Wochen dauert, bis eine ausreichende Befiederung vorhanden ist, müssen die Tiere warm und trocken stehen. Ein Auslauf ist nur bei besonders günstigem Wetter möglich, sonst werden die Tiere krank. Daher gab es bei Neuland eine Zukaufsregelung, die vorsah, dass die drei Wochen alten Jungtiere, wenn sie befiedert sind, von bestimmten Betrieben zugekauft werden können. Der Zukauf durfte nicht aus intensiver Massentierhaltung erfolgen. Bei Neuland müssten die Zukauftiere noch drei bis vier Wochen extensiv weiter gemästet werden. Diese Zukaufregelung hat nichts mit dem Betrug zu tun, sondern war ein Kompromiss für den Aufbau von Freilandmast. Zukünftig werden wir davon aber keinen Gebrauch mehr machen, weil es schwierig zu erklären ist. Geschlossene Kreisläufe sind sinnvoller.

Von drei oder vier Wochen alten Hähnchen ist es dann nur noch ein kleiner Sprung zu fast ausgewachsenen Tieren, die man zukauft und umdeklariert.

Der Betrug lag offenbar darin, dass Tiere aus Intensivmast von einem anderen Betrieb zugekauft wurden und dann umetikettiert wurden. In wie weit fast ausgewachsene Tiere zugekauft wurden und dann weiter gemästet wurden, wissen wir nicht.

Wer hat eigentlich von den großzügigen Ausnahmeregelungen gewusst? Nach unseren Informationen war auch der Trägerverein informiert.

Die Ausnahmeregelung für den Zukauf war keineswegs großzügig. Sie wurde durch Neuland e.V. erteilt.

Der Trägerverband hat zumindest gewusst, dass die Obergrenzen überschritten worden sind. Das heißt, Tierschutzbund, BUND und AbL sind mitverantwortlich.

Die Trägerverbände sind nicht unmittelbar verantwortlich, da sie nicht über die jetzt offenbar gewordenen Kontroll- und Sanktionslücken informiert waren. Dafür trägt Neuland e.V. und die Vermarktungs-GmbH eine Mitverantwortung.

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Mit dem Lohman-Dual-Zweinutzungshuhn will Neuland nach Auskunft des Bundesgeschäftsführers Jochen Dettmer in Zukunft arbeiten. | © Neuland e. V.

Warum kauft Neuland immer noch Küken und Junghühner von konventionellen Betrieben ein, warum hat man nicht längst eigene Brütereien aufgebaut. Ein Brutschrank kostet ein paar tausend Euro, das kann es doch nicht sein?

Der Zukauf von Junghühnern wird künftig nicht mehr erlaubt. Es sollen jetzt eigene Aufzuchtkapazitäten aufgebaut werden. Eine Brüterei kann man aber nicht eben nebenbei betreiben in dem man einen Brutschrank kauft, dies erfordert ein hohes Maß an Fachkompetenz. Diesen Bereich wollen wir grundsätzlich neu aufbauen.

Auch auf anderen Sektoren, also bei Schweinen und Rindern, vor allem beim Ferkelaufkauf, gibt es offenbar immer wieder Ausnahmeregelungen für die Betriebe. Können Sie mir sagen, wie viele Ausnahmen das ungefähr sind?

Ausnahmeregelungen werden bei Schweinen und Rindern nur in besonderen Fällen erlaubt. Das betrifft den Absetzerzukauf und Ferkelzukauf aus Betrieben, die dafür extra anerkannt werden. Momentan überprüfen wir diese Betriebe. Genaue Zahlen können erst später genannt werden, da diese mit der Kontrollstelle noch abgeglichen werden müssen.

Welchen Sinn macht es, sich strenge Richtlinien zu geben und diese dann durch die Hintertür mit Ausnahmeregelungen immer wieder auszuhebeln?

Das würde keinen Sinn machen, ist auch nicht bei Neuland praktiziert worden. Wir erarbeiten gerade ein Konzept, um Kontrollen und Ausnahmeregelungen transparent zu machen.

Jetzt sind die Verbraucher und Neuland-Kunden stark verunsichert? Was wollen Sie tun, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen?

Wir haben eine Mitverantwortung für die jetzt offenbar gewordenen Kontroll- und Sanktionslücken eingestanden, werden alles zur Aufklärung beitragen und unser Kontrollkonzept ändern.

Der unter Betrugsverdacht stehende Werner L. hat erklärt, dass er mit sauberen Methoden und der Einhaltung der Bestandsobergrenze nicht hätte überleben können. Hat er recht? Konventionelle Massentierhalter haben mehrere hunderttausend Hähnchen in ihren Monsterställen.

Die Abrechungspreise für Hähnchen und andere Tiere werden nicht durch Neuland e.V. vorgegeben. Dafür sind die Neuland-Vermarktungseinrichtungen zuständig. Die sind so kalkuliert, dass eine faire Entlohnung möglich ist. Die Bestandsobergrenzen sind nicht so gesetzt, dass man alleine davon leben kann, sondern unter Tierschutz-, Umwelt- und strukturpolitischen Aspekten festgelegt worden. Neuland-Betriebe haben mehrere Standbeine zum Überleben. Herr L. hätte auch mit den erlaubten Hähnchenplätzen eine angemessene Entlohnung seiner Arbeit bekommen. Ein Journalist lebt ja auch nicht von einem Artikel oder einer Zeitung.

Der Preisabstand zu den „normalen“ Hähnchen aus der Massentierhaltung darf nicht zu groß werden, das wird immer wieder gesagt. Hängen Sie da nicht mit Gedeih und Verderb am Tropf desjenigen Systems, das sie durch die Neuland-Gründung ja bekämpfen oder zumindest umgehen wollten. Wie kommt man raus aus dieser Zwickmühle?

Je höher der Preisabstand zwischen Intensivmasthähnchen und Freilandhähnchen ist, umso schwieriger wird es, Kunden zu bekommen, die hochpreisig einkaufen. Das ist ein psychologischer Aspekt. Will man den Marktanteil für Freilandgeflügel ausbauen, muss man die weitere Industrialisierung der Geflügelhaltung stoppen, zum Beispiel durch ordnungsrechtliche Maßnahmen wie Tierschutzgesetz, Baurecht etc. Außerdem müsste der Lebensmitteleinzelhandel bereit sein, Industriemasthähnchen nicht mehr zu listen, sondern eine Qualitätsdifferenzierung vorzunehmen, wie sie auch das Tierschutzlabel des Deutschen Tierschutzbundes vorsieht.

Ein normales Telefoninterview hat Neuland abgelehnt. Wir mussten unsere Fragen stattdessen schriftlich einreichen und sechs Tage auf die Antworten warten. 

Das Interview führte Manfred Kriener.

Mehr Informationen:

Slow Thema "Tiere in der Landwirtschaft"

"Hühner wollt ihr ewig legen? Vom braven Haustier zur gequälten Kreatur." Manfred Kriener über die Geschichte der Geflügelzucht.

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