Slow Food Deutschland Genussführer 2015: kulinarischer Kompass
Genussführer 2015: Der neue kulinarische Kompass
Blau ist er und ganz schön dick. Ein sattes Himmelblau ist die Leitfarbe des neuen Slow Food-Genussführers 2015. Ende September wird der neue „Jahrgang“ an die Buchhändler ausgeliefert. Am 18. September wurde er in acht verschiedenen Städten – Berlin, Bonn, Frankfurt, Hamburg, Köln, München, Nürnberg und Stuttgart – der Öffentlichkeit vorgestellt – mit guter Resonanz. Die zeitgleiche Präsentation an verschiedenen Orten wurde diesmal gegenüber der Vorstellung auf der Frankfurter Buchmesse bevorzugt. Das dezentrale Konzept steht für das Gemeinschaftswerk des Genussführers, dessen Testgruppen sich wie ein großes Netz über die Republik spannen.
Jetzt ist die Katze aus dem Sack, der Genussführer an die Journalisten verteilt. Und jetzt muss sich zeigen, ob der grandiose Erfolg des Erstlings mit 25.000 verkauften Exemplaren wiederholt werden kann. Der Umfang der neuen Ausgabe hat deutlich zugelegt und ist auf exakt 448 Seiten angewachsen. Mit 126 neu aufgenommenen Lokalen und 23, die herausgefallen sind, steigt die Zahl der empfohlenen Adressen auf 403 Lokale.
Erfolgreiche Fleckenentferner im Einsatz
Es geht aber nicht nur um die Arithmetik. „Wichtiger ist, dass wir viele weiße Flecken auf der Landkarte tilgen konnten“, sagt Wieland Schnürch, Leiter des bundesweiten Genussführerteams. Zu Recht war von den Lesern bemängelt worden, dass einige Regionen bisher nicht in angemessener Weise vertreten waren. Jetzt hat vor allem der Nordwesten der Republik kräftig zugelegt. Aber auch Nordrhein-Westfalen ist stärker vertreten und die bisher graue Hauptstadt Berlin präsentiert immerhin vier neue Lokale. Der Bodensee, im 2014er Führer noch weitgehend kulinarische Diaspora, ist mit elf neuen Lokalen durchgestartet. Das Saarland ist mit einem eigenen Länderkapitel vertreten und auch Nord- und Ostfriesland glänzen mit jeweils einem roten Punkt auf der großen Deutschlandkarte, auf der alle 403 Lokale markiert sind.
Der neue Preis ist der alte Preis
„Wir sind zufrieden und auch ein wenig stolz, dass wir jetzt mit einer deutlich erweiterten und komplett überarbeiteten Ausgabe herauskommen“, sagt Schnürch. Für Christoph Hirsch, Cheflektor beim Münchner Oekomverlag, ist der Genussführer „ein Schlüsselprojekt“ des neuen Verlagsschwerpunkts Ernährung. „Wir zeigen damit, dass wir nicht nur Problemfelder analysieren, sondern auch positive Ansätze genussvoll präsentieren – hier sind die Guten.“ Trotz der erheblichen Seitenerweiterung hat der Oekomverlag den Preis gehalten. Auch der Genussführer 2015 wird im Buchhandel wieder 19,95 Euro kosten.
Von den 300 Lokalen der ersten Ausgabe mussten 23 gestrichen werden. Dafür liegen unterschiedliche Gründe vor. Einige Häuser haben geschlossen, den Besitzer, die Küchenmannschaft oder das Konzept gewechselt. Einige fielen aber auch wegen verschlechterter Küchenleistung oder dem Einsatz von Geschmacksverstärkern auf. Schnürch: „Unsere Testgruppen nehmen Veränderungen in den Wirtshäusern relativ schnell wahr, weil sie vor Ort sitzen und die örtliche Gastronomie gut beobachten können.“ Hier tritt Slow Food allerdings nicht als Racheengel auf. Die Convivien und Testgruppen suchen das Gespräch mit den Wirten und helfen auch mal mit Empfehlungen, wenn die Gastronomen etwa für ihr Brotzeit-Angebot einen anderen Metzger suchen, der mit Zusatzstoffen sensibler umgeht. Oder wenn ein Wirt argentinisches Rindfleisch durch ein regionales Angebot ersetzen möchte.
Im Briefkasten sammeln sich die Bewerbungen
Von den Wirten und Pächtern der empfohlenen Adressen kommen freundliche Signale. Die Schnecke an der Wirtshaustüre sorgt in vielen Fällen für ein höheres Gästeaufkommen. Entsprechend wächst die Zahl der „Bewerbungen“ für den Genussführer, die sich im Briefkasten der Genussführer-Kommission sammeln. Aber: „Niemand kann sich in den Genussführer hineinschreiben“, sagt Schnürch, jeder Wirt habe indes das gute Recht, auf sich aufmerksam zu machen.
Es hat sich manches geändert im neuen Genussführer. Geblieben sind die Kriterien, die die Gastwirte erfüllen müssen, um aufgenommen zu werden. Wer mit frischen und saisonalen Lebensmitteln aus der Region kocht und auf lieblose Fertigprodukte pfeift, wer gutes Handwerk praktiziert und geschmackvoll würzt, statt Geschmacksverstärker und andere Helferchen einzusetzen; wer sich der kulinarischen Tradition seiner Region bewusst ist und im familienfreundlichen Preissegment bleibt, der hat gute Chancen auf eine Empfehlung. Die klassische gastronomische Trias muss allerdings ebenso erfüllt werden: Es muss vor allem schmecken, das Ambiente soll einladend sein und der Service freundlich und kompetent.
Die Nase vorn hat auch in der neuen Ausgabe die Südwestecke um Freiburg mit den meisten Empfehlungen. Aber auch der Odenwald imponiert mit hoher Wirtshausdichte im Genussführer. Hier haben sich die Wirte zusammengeschlossen und mit dem „Odenwald-Gasthaus“ eine eigene Marke erfunden, die sich selbst strenge Regeln auferlegt. Die Wirte empfehlen sich gegenseitig und sind an ein regionales Produzenten-Netzwerk angeschlossen. Hotspot ist die kleine Gemeinde Reichelsheim mit drei Adressen im Slow Food-Guide.
Zwei Sonderkapitel zu Bier und Fisch
Neu im Führer sind die beiden kleinen Sonderkapitel „Bayerische Bräustüberl“ und „Märkische Fischkaten“. Hier werden Adressen mit eingeschränktem gastronomischen Angebot empfohlen, die ganz auf ein Produkt konzentriert sind: Die Bräustüberl schenken selbstgebrautes Bier aus mit kleinen Happen dazu und die Fischbrater in Brandenburg servieren Fische aus den märkischen Seen.
Sorgenkind bleibt der Osten der Republik. Während Mecklenburg-Vorpommern stark vertreten ist und im 2015-Führer fünf weitere Adressen präsentiert, kommen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen nur wenige Lokale. Eine spezielle Taskforce-Ost von Slow Food soll sich jetzt verstärkt um diese Bundesländer kümmern. Gerhard Tremel, Mitglied des SF-Genussführerteams und Experte für Problemregionen, hofft, dass sich die insgesamt positive Entwicklung der ostdeutschen Gastronomie auch in diesen Bundesländern niederschlägt. Er verspricht: „Wir werden uns kümmern.“
2016 könnte die Genussführer-App kommen
Und wann kommt die Genussführer-App fürs Handy? Die Nachfrage nach einer elektronischen Ausgabe war bisher noch schwach, dennoch ist eine App für 2016 „angedacht“, so Wieland Schnürch. Allerdings zeigt auch der bescheidene Verkaufserfolg der E-Book-Version, dass das Slow Food-Publikum offenbar die analoge Sinnlichkeit des gebundenen Buches schätzt. Für das junge Publikum könnte die App allerdings eine attraktive Alternative sein. Ob mit oder ohne App: „Für Slow Food“, sagt die Vorsitzende Ursula Hudson, „ist der Genussführer ein echtes Gemeinschaftswerk, das die dezentrale Schlagkraft unserer Organisation aufs Schönste repräsentiert.“
Text: Manfred Kriener
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Publikationen: Slow Food Deutschland Genussführer 2015