Untergang der Teichwirtschaft

11.3.2014 - Die Aufzucht von Fischen in Aquakultur boomt und expandiert. Doch ausgerechnet die Jahrhunderte alte Teichwirtschaft, die nachhaltigste und fischfreundlichste Form der Aquakultur, geht in Deutschland stark zurück. Von einer Fachtagung in Loccum zum Thema Fischaufzucht berichtet Manfred Kriener.

Der Untergang der Teichwirtschaft

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Eine große geschlossene Halle mit vier Wasserbecken. Überall Rohre, schmale Stege und kühle Betonwände; weder Mensch noch Fisch sind zu sehen. Die Halle wirkt wie eine Kreuzung aus Schwimmbad und Öl-Raffinerie. Wir befinden uns, per Computeranimation, in der derzeit spektakulärsten Fischzuchtanlage Europas. In Völklingen-Fürstenhausen, 600 Kilometer von der deutschen Küste entfernt, werden Meeresfische im industriellen Maßstab erzeugt: Doraden, Störe, Wolfsbarsche und Yellowtail-Kingfische schwimmen in den Becken. Letzterer ist ein Exot, der jetzt zum ersten Mal in Deutschland angeboten werden soll. Die angepeilte Jahresproduktion in Fürstenhausen liegt bei 800.000 Kilo Fisch. Seit Jahresmitte 2012 ist die Großanlage für Aquakultur auf dem Gelände einer ehemaligen Kokerei in Betrieb. An Ostern werden die ersten Fische „geerntet“ und verkauft. Sieht so die Zukunft der Fischerzeugung aus? Aquakultur in landgestützten Kreislaufanlagen mit einem gewaltigen technischen und energetischen Aufwand? Betonhalle statt Nordsee, Futterautomat und Temperaturkontrolle statt Netz und Kutter?

Meeresfischerei ohne große Wachstumsperspektiven

Drei Tage lang diskutierten in der evangelischen Akademie Loccum Wissenschaftler, Teichwirte und Ernährungsexperten über die Entwicklung der Aquakultur – global und vor der eigenen Haustüre. Die großen Trends sind unübersehbar:

► In den Meeren ist kein großes Wachstum mehr zu erwarten. Die Wildfischerei dürfte allenfalls moderat auf eine jährliche Fangmenge von maximal 100 Millionen Tonnen Fisch anstiegen. Mehr ist aus dem Meer einfach nicht rauszuholen, selbst wenn sich einige angeschlagene Bestände wieder erholen.
► Die Aquakultur wird dagegen weiter expandieren. Zuchtfisch aus Netzkäfigen, Teichen, Becken und Tanks ist immer noch der am stärksten wachsende Zweig der Nahrungsmittelindustrie, auch wenn die Wachtumsraten zuletzt auf fünf Prozent zurückgegangen sind.
► Bei der Aquakultur verzeichnen vor allem die so genannten geschlossenen Kreislaufanlagen eine starke Zunahme. Die Fische werden in Becken und Tanks gehalten wie in großen Aquarien. Doch Wasserpflanzen, Steine oder einen kiesigen Grund sucht man hier vergebens. Das Habitat konzentriert sich auf die nackte Trias von Beton, Wasser und Fisch. Manchmal werden auch Stahl oder Hartplastik als Material für die Becken verwendet. Effizienz und Technik bestimmen die Haltungsform, das Tierwohl bemisst sich einzig an der Gewichtszunahme der Fische.

Auch Deutschland kann sich dieser Entwicklung nicht entziehen. Doch zwischen Nordseeküste und Bodensee lässt sich noch ein weiterer Trend ablesen: Die traditionelle Teichwirtschaft, oft noch von Klöstern angelegt und seit Jahrhunderten ein verlässlicher Lieferant für Süßwasserfische aus nachhaltiger Produktion, verliert dramatisch an Boden. Immer mehr Teichwirtschaften werden aufgegeben. Die Besitzer finden keinen Nachfolger, sie sind den Kampf gegen den Kormoran leid und die Auseinandersetzungen mit den Wasserbehörden, sie wollen nicht auf ewig an ihren Teich gebunden sein. Und es fehlt ihnen auch die Wertschätzung der Gesellschaft.

Dabei haben gerade die Teichwirtschaften, wie Bernhard Feneis, Präsident der deutschen Binnenfischer, unterstreicht, eine überragende Bedeutung für Ökologie und Landschaftsbild. Feneis wird richtig grantelig, wenn er den Niedergang einer Branche beschreibt, die eigentlich alle positiven Eigenschaften vereint. Die Teiche passen sich ideal in die Landschaft ein, sie bieten als Feuchtgebiete wertvolle ökologische Rückzugsräume, die Fische finden hier einen weitgehend natürlichen Lebensraum und sie kommen in extensiver Haltung oft ohne Zufütterung und Fischmehl aus. Von allen Aquakultur-Systemen ist die gute alte Teichwirtschaft sicherlich die fisch- und umweltfreundlichste. Und gerade sie hätte in Deutschland ein großes Wachstumspotenzial, weil geeignete Naturräume kaum genutzt werden. Doch die Zahl der Betriebe geht zurück.

Bild oben: Seit dem 12. Jahrhundert prägen Teiche die Landschaft im Landkreis Tirschenreuth in der Oberpfalz (Bayern).  | © Tourismusverband Ostbayern / Stefan Gruber

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Der Fischhunger des Kormorans ist ein großes Problem für Fischwirte.  | © Weltfischereiverband

Schießbefehl kann den Kormoran nicht stoppen

Ein zunehmend bedeutsamer Grund für die Resignation vieler Fischwirte ist der Kormoran. Netzbespannungen zur Abwehr der Vögel sind bei größeren Teichen zu teuer und zu aufwändig. Bleibt oft nur der Schießbefehl. Doch selbst das inzwischen behördlich erlaubte Töten der Fischräuber bringt offenbar keine Entlastung, wenn ganze Kormoran-Schwärme über die Teiche herfallen und sie leerfressen. Feneis: „200 Kormorane pro Teich sind durchaus normal.“

Während die Zahl der Teichwirtschaften zurückgeht, nehmen naturferne Intensivhaltungen in großen Becken und Tanks rasant zu. Beispiel Niedersachsen. Von 2002 bis 2012 hat sich die Zahl der Betriebe mit geschlossenen Kreislaufanlagen verdoppelt und ihr Ertrag vervierfacht. Neuer Liebling in den Wasserbecken ist der afrikanische Wels. Der dicke Brummer ist so robust, dass ihn auch die schlecht ausgebildeten Fischhalter, die meist aus landwirtschaftlichen Betrieben kommen und eher an die Schweinehaltung gewöhnt sind, nicht umbringen können. Selbst jämmerliche Wasserqualitäten und absurd hohe Besatzdichten werden von den Tieren noch toleriert. In den voll gepackten Becken drängeln sich bis zu 300 Kilo Fisch je Kubikmeter Wasser.

Da fühlt sich mancher Beobachter an die schlimmsten Zeiten der Hühnerbatterien erinnert. Doch die Fischexperten moderieren ab: Fische würden auch in Intensivhaltung niemals so elend aussehen wie die gerupften Hühner in den Legebatterien. Weil sie zuvor sterben.

Aquakulturen zwischen den Dreibeinen der Windkraftanlagen

Ein ganz anderes Fischhabitat beschrieb Bela Buck vom Alfred Wegener-Institut in Bremerhaven. Buck und seine Mitarbeiter erforschen Offshore-Anlagen für die Aquakultur an den Standorten von Windkrafttürmen auf See. Buck will Windkraft und Aquakultur miteinander verkuppeln, weil die Windparks ohnehin ständig von Schiffen angelaufen und vom Betreiberpersonal gewartet werden. Da könnte die Aquakultur nebenher gleich mit betreut werden. Weil sich an den Stahlkonstruktionen unter Wasser tonnenweise Muscheln und andere Meeresbewohner ansiedeln, hätte man einen Teil des Futters gleich parat. Buck: „Das ist richtig viel Biomasse, die dort geerntet werden kann.“ Probleme machen allerdings die hohen Wellen und Windgeschwindigkeiten und die kräftigen Strömungen. Die Netzkäfige für die Fische müssten deshalb in größerer Tiefe verankert werden, wo sie vor dem Wellengang geschützt wären.

Eines der von Buck vorgestellten Konzepte sieht vor, Netzkäfige mit Meeresfischen zwischen den dreibeinigen Fundamenten (Tripots) zu installieren, auf denen die Windkraftanlagen stehen. Auch so genannte Langleinen, an denen Miesmuschelkulturen siedeln, könnten an den Windkraftanlagen befestigt werden. Deutschland ist nach Bucks Einschätzung führend in der Forschung von Offshore-Aquakulturen in Windparks. Inzwischen hätten viele andere Länder Interesse angemeldet.

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Lachsfarm in Nesseby in Norwegen| © Creative Commons /Marius Fiskum /www.fototopia.no

Raubfische werden zu Vegetariern umerzogen

Bucks Konzepte werden allerdings – wenn überhaupt – frühestens in vier bis fünf Jahren umsetzbar sein. Ganz aktuell ist dagegen die Umerziehung der Raubfische zu Vegetariern. Hauptproblem der Aquakultur ist nämlich der hohe Verbrauch an Fischmehl. Vor allen bei der Aufzucht von Lachsen und anderen Raubfischen wird massenweise wertvoller Meeresfisch verfüttert, meist in Form von Fischmehl aus Anchovis, Makrelen und anderen Schwarmfischen, die vor der südamerikanischen Küste gefangen werden. In den besten norwegischen Lachsfarmen wird derzeit 1,8 Kilo Wildfisch verbraucht, um ein Kilo Lachs zu erzeugen. In vielen anderen Aquakulturen ist das Verhältnis deutlich schlechter. Bei der Tunfischmast etwa wird bis zu 20 Kilo Fisch verfüttert, um ein Kilo Tun zu erzeugen.

Carsten Schulz, Leiter der Gesellschaft für Marine Aquakultur, berichtete von den intensiv betriebenen Versuchen, Fischmehl im Futter durch pflanzliche Proteinkonzentrate zu ersetzen. Schulz hat vor allem mit Rapsproteinen experimentiert. Der Rapsanbau für die Biodiesel-Produktion liefert große Mengen Rapsschrot, aus denen Protein für Fischfutter gewonnen wird. Mit Hilfe von Pflanzenproteinen sei der Fischmehleinsatz für Lachs und Forellen auf 3 bis 8 Prozent der Futtermasse reduziert worden, rechnete der Kieler Wissenschaftler vor. Weil die Raubfische Pflanzenfutter aber nicht gut vertragen, muss das Protein aufwändig isoliert und mit Aminosäuren gemixt werden. Trotzdem werden die pflanzlichen Futterpellets von den Fischen eher ungern gefressen. Da muss dann der Einsatz von Miesmuscheln als Geschmacksträger helfen, wie Schulz berichtet. Derart aromatisierte Kost wird dann von den Fischen besser akzeptiert. Derzeit sind die pflanzlichen Hochproteinkonzentrate aber noch deutlich teurer als Fischmehle. Sollte der Fischmehlpreis weiter ansteigen, wird sich auch die Futterzusammensetzung noch stärker verändern. Schon jetzt werden dem Fischfutter pflanzliche Nährstoffe aus Soja, Erbsen, Bohnen, Mais und Weizen zugesetzt.

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Norwegische Biolachsfilets aus ökologischer Aquakultur im Kühlfach eines Münchner Biomarktes. | © Katharina Heuberger

Nahrungskonkurrenz zwischen Lachs und Mensch

Dass die Raubfische der marinen Aquakultur in direkter Nahrungskonkurrenz zu den Küstenbewohnern in vielen Entwicklungsländern stehen, machte Francisco Mari von Brot für die Welt deutlich. In den fischreichen Entwicklungsländern werde der Fang geteilt: Die Edelfische würden in die reichen Industrieländer exportiert, für die einheimische Bevölkerung blieben nur die als minderwertig angesehenen Schwarmfische übrig. Die werden auch gern gegessen. Doch gleichzeitig werden sie in großen Mengen zu Fischmehl verarbeitet. Die große Frage: Wer wird künftig die Fänge der kleinen Schwarmfische verspeisen – die südamerikanische Bevölkerung oder die norwegischen Lachse? Derzeit bleibt der einheimischen Bevölkerung etwa ein Fünftel der Beute.

Mehr Informationen:

Slow Food Positionen zur EU-Fischereipolitik

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