Weinlese 2014
Weinlese 2014: "Wie ein Ritt auf der Rasierklinge"
Das Tierchen ist drei Millimeter lang, rotäugig, mit orange-braunem Körper. Hübsch anzuschauen. Die Männchen tragen am Ende ihrer transparenten Flügel einen schwarzen Punkt, an dem die Art gut zu erkennen ist. Gestatten: drosophila suzukii, die Kirschessigfliege. Die Weinlese des Jahrgangs 2014 wird komplett von dem Insekt überschattet. In fast allen Anbaugebieten hat sich der Schädling massiv breit gemacht. Anders als die einheimische „normale“ Essigfliege bohren die Suzukii-Weibchen statt fauligen auch kerngesunde Beeren an und legen dort 300 bis 400 Eier ab, aus denen sich nach einer guten Woche neue Fliegen entwickeln. Vor allem Rotweinlagen sind befallen, teilweise mussten die Trauben schon vor der Reife per Notlese auf die Kelter gebracht werden.
Auch der Champion wird heimgesucht
Philipp Kuhn, gerade zum neuen deutschen Riesling-Champion gekürt, meldet im nordpfälzischen Laumersheim zwar gute Resultate bei seinen bisher gelesenen Rotweintrauben, aber auch „teilweise hohen Befall“ der neu eingewanderten Fliegenart. Weil die Suzukii lichtempfindlich ist, haben Kuhns Helfer in der Traubenzone alle Blätter rausgeschnitten und die Früchte freigestellt.
Intensive Weinbergsarbeit sei bei diesem schwierigen Jahrgang mit seinen Wetterkapriolen ohnehin notwendig, sagt Kuhn. Der in vielen Anbaugebieten feuchte August war Gift für die Reben und auch Mitte September kamen neue Regenfronten auf die Winzer zu. „Es ist wieder ein Ritt auf der Rasierklinge“, bilanziert Kuhn, „aber noch sieht‘s gut aus, jetzt muss es aber trocken bleiben.“
Im Kaiserstuhl hat sich Fritz Keller, Sohn der badischen Winzerlegende Franz Keller, bei befreundeten Winzern aus Südtirol informiert. Dort war die Kirschessigfliege schon ein Jahr früher eingewandert. 2008 war das in Asien beheimatete Insekt erstmals in Europa (Spanien) entdeckt worden, 2011 kam es nach Deutschland, wo es zunächst aber kaum Schaden anrichtete. In diesem Jahr ist der extrem milde Winter für die starke Ausbreitung verantwortlich. „Der Boden war nicht richtig durchgefroren“, sagt Friedrich Louis vom Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinpfalz in Neustadt an der Weinstraße, so hätten die Fliegen gemütlich überwintert. „Bei knackigem Frost stirbt der Großteil ab, dann haben wir im Frühjahr ein ganz anderes Ausgangsniveau.“
Heavy Metal gegen die Suzukiis
Während die Winzer auf Hilfe der Wissenschaft warten – Keller: „Wir brauchen jetzt Fachleute!“ – haben die Kulturpflanzenforscher des Julius-Kühn-Instituts erst mal Infoflyer gedruckt und eine Krisenhomepage eingerichtet. Es gibt auch eine Hotline. Doch die Bekämpfung ist schwierig, weil mitten in der Lesezeit keine Insektizide gespritzt werden dürfen. „Vielversprechend“ sei die akustische Paarungsstörung, heißt es auf der Drosophila-Homepage. Weil bei der Partnerfindung der Drosophiliden akustische Signale eine große Rolle spielen, könnten Störbeschallungen helfen. Heavy Metal gegen lästige Schädlinge? Oder doch lieber Mozart?
Wespen als natürliche Feinde wären hilfreich, aber es gibt zu wenige. „Ablenkungsfrüchte“ könnten ausgebracht werden, vielleicht einige Eimer Zwetschgen unweit der Reben verteilen. Auch nach attraktiven Duftstoffen wird geforscht, um Fliegenfallen für den Massenfang zu bestücken. Doch letztlich bleibt drosophila suzukii eine große kleine Unbekannte, über die man noch zu wenig weiß. Als Notlösung, so wird geraten, sollen die Winzer die Blätter der Traubenzone entfernen und alle befallenen Früchte abschneiden. Die dürfen aber nicht kompostiert werden. Sie kommen in einen transparenten Plastiksack, den der Winzer anschließend in die Sonne stellt, damit die Schädlinge per „Solarisation“ umgebracht werden. Sonnenschein ist also doppelt nötig: Um die Oechslegrade weiter zu puschen und um Suzukii zu meucheln.
Weißweinreben werden bisher verschont
Fritz Keller hat die Lage „einigermaßen im Griff“, aber der Schädling, sagt er, habe das Potenzial, ganze Ernten zu vernichten. Jetzt freut sich der Kaiserstuhl-Winzer erst mal über aromatische Trauben und schöne Mostgewichte bei den bisher gelesenen Partien, ein Drittel der Ernte sei drin. Dagegen hat die Rieslinglese an Mosel, Nahe und im Rheingau gerade erst begonnen. Dort richtet die Kirschessigfliege weniger Schaden an, weil sie auf dunkle Früchte spezialisiert ist. Von den Weißweinreben sind nur Grauburgunder und Traminer, die sich bei voller Reife leicht rotbraun färben, minimal befallen.
"Dem Viech gefällt's bei uns!"
Besonders kritisch ist die Lage im großen Rotweinanbaugebiet Württemberg. „Dem Viech gefällt‘s bei uns!“ kommentiert Spitzenwinzer Rainer Schnaitmann die Invasion der Suzukiis. Das Tückische sei ihre rasend schnelle Ausbreitung. Schnaitmann: „Du siehst absolut nichts und drei Tage später ist alles befallen.“ Das Dilemma: Die von den Larven angeknabberten Beeren sind Einfallstore für Essigbakterien. Wer die befallenen Früchte nicht rausschneidet holt sich die Essigfäule. Manche Genossenschaften konnten befallene Traubenpartien wegen Essigstichs schon nicht mehr verarbeiten. Schnaitmanns Bilanz: ein schwieriges Jahr, aber es könnte trotz allem noch was werden, wenn das Wetter jetzt mitspiele. Die nächsten zehn Tage entscheiden.
Paul Fürst vom Weingut Rudolf Fürst in Franken ist der coolste der von uns befragten Winzer. Es gebe angesichts der neuen Plage zwar berechtigte Zukunftsängste unter den Winzerkollegen, aber er habe sich intensiv um den neuen Jahrgang gekümmert und sei mit dem Ergebnis durchaus zufrieden. Mittlere Mostgewichte, gute Säurewerte und aromatische Trauben. Der Suzukii-Jahrgang 2014 wäre demnach gar nicht so schlecht.
Text: Manfred Kriener
Fotos: Tauberschwarz-Trauben und Rebstöcke. | © Stefan Abtmeyer
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