Aldi Insektengift vom Grabbeltisch
Aldi schlägt zu: Literweise Insektengift vom Grabbeltisch
Viele Verbraucher und Verbraucherinnen werden sich verwundert die Augen reiben, wenn sie ab dem 20. April 2015 bei Aldi-Nord einkaufen. 2,5 Liter (!) Insektengift inklusive Sprühpistole wird zum Schnäppchenpreis von 7,99 Euro auf den typischen Grabbeltischen angeboten. Aldi-Nord preist das Mittel auf seiner Website folgendermaßen an „Für den Einsatz im Innen- und Außenbereich; wirksam gegen kriechende und fliegende Insekten; mit Sofort- und Langzeitwirkung bis zu drei Monaten“. Unterstützt wird die Werbeaktion mit einer Bilderserie, die offensichtlich erklären soll, wie das Mittel eingesetzt wird. Sie zeigen, wie die Sprühpistole (ohne Schutzhandschuhe!) auf eine gepflasterte Außenfläche und auf die angrenzende Bepflanzung gerichtet wird.
Ein Gift ist nicht weniger giftig, nur weil es anders vermarktet wird.
Verantwortungsbewusste Haus- und Kleingärtner sind irritiert, wissen sie doch, dass Insektengifte per Gesetz nur in verschlossenen Vitrinen angeboten und nur nach Beratung von sachkundigen Verkäufern erworben werden dürfen. Sie wissen auch, dass die Anwendung auf Wegen und Plätzen nur im Ausnahmefall erlaubt ist, um Stoffeinträge in die Gewässer über die Kanalisation zu verhindern. Auch die Tatsache, dass die Information fehlt, zu welchem Zweck das Mittel eingesetzt werden darf, verwundert.
Nur Fachleuten erschließt sich die Situation. Das Insektengift ist nicht als Pestizid zugelassen, sondern als sogenanntes „Biozid“ registriert (BAuA-Reg.Nr.: N-52166). Damit fällt das Mittel unter eine andere gesetzliche Regelung. Außerdem liegt eine amtliche Prüfung auf Wirksamkeit und Risiken noch nicht vor, ebenso wenig eine Zulassung. Zwar steht auf der Aldi-Website der für Biozide vorgeschriebene Warnsatz „Biozide vorsichtig verwenden ...“, allerdings ist vielen Verbrauchern nicht bekannt, dass es eine Unterscheidung von Insektiziden je nach ihrem Verwendungszweck im EU-Recht gibt und deshalb ein Insektizid strengeren Vermarktungs- und Verwendungsregelungen unterliegt als ein anderes mit dem gleichen Wirkstoff, nur weil letzteres als Biozid vermarktet wird.
Im Bild oben: Das Aldi-Insektengift wirkt gegen fliegende Insekten im Außenbereich. Da könnte es für den Drohn der Roten Mauerbiene ungemütlich werden. | © Katharina Heuberger
Bild links: Screenshot der Aldi-Nord-Website vm 20.4.2015.
Vorsicht: Dieses Insektengift darf nur gegen ganz bestimmte Schädlinge eingesetzt werden.
Relevant für die Unterscheidung sind nicht die eingesetzten Wirkstoffe, sondern einzig der Verwendungszweck. Genau darüber schweigen sich der Hersteller und Aldi-Nord aus. Mit der Werbung „für den Außenbereich“, den irreführenden Abbildungen auf der Aldi-Website und dem Verpackungshinweis „überall wo sich sonst Insekten aufhalten“ wird es den Verbrauchern faktisch unmöglich gemacht, das Nervengift gemäß den Vorschriften des Biozidrechts korrekt einzusetzen. So dürfen Biozidprodukte nicht gegen Pflanzenschädlinge im Garten, auf dem Balkon oder im Wohnraum eingesetzt werden, denn dann wäre das Mittel gemäß dem Pflanzenschutzgesetz zuzulassen. Das Mittel darf auch nicht wie beworben gegen Insekten eingesetzt werden. Biozid-Produkte dürfen nur gegen Schädlinge eingesetzt werden, die ein Problem für den Materialschutz, die Hygiene oder die Gesundheit darstellen. Aussagen wie „gegen Schadinsekten“ oder „bei Schädlingsbefall anzuwenden“ sucht man jedoch vergebens.
PAN Germany ist entsetzt über dieses Aldi-Angebot, durch das das Pflanzenschutzgesetz faktisch unterlaufen wird und zwar weil Hersteller und der Discounter Aldi-Nord die potenziellen Anwender über den Verwendungszweck im Unklaren lassen. Diese fatale Informationslücke schließt sich auch nicht mit einem genaueren Blick auf die Anwenderinformationen des Mittels. Zwar werden dort einige Insekten genannt, aber nur exemplarisch und darunter sogar Nützlinge wie Spinnen. Gepaart mit der verharmlosenden und irreführenden Werbung im Internet und den Aldi-Prospekten sind Fehlanwendungen vorprogrammiert.
Vor "vorsorglicher" Anwendung wird gewarnt!
Verharmlosende Werbebotschaften sind auch per Biozid-Recht verboten. Nach Auffassung von PAN Germany ist es eine Verharmlosung, wenn das Verdünnungsmittel Wasser in der Werbung besonders hervorgehoben wird, jedoch Informationen zu den enthaltenen Nervengiften unterbleiben. Des Weiteren entspricht es nicht der guten Praxis, Insektengifte vorsorglich, also ohne konkreten Anlass zu versprühen. Genau diese für Gesundheit und Umwelt besorgniserregende Form der „vorsorglichen Anwendung“ wird vom Hersteller und von Aldi angepriesen.
Das Mittel enthält ein Gemisch der Pyrethroide Permethrin und Esbiothrin. Es sind stark umweltgefährliche Nervengifte, die als Pestizide nicht mehr eingesetzt werden dürfen. Permethrin reizt Augen und Haut, reproduktionstoxische Effekte sind bekannt und der Wirkstoff steht unter dem Verdacht, das Hormonsystem von Menschen und Tieren zu schädigen. Laut Kennzeichnung ist das Mittel stark giftig für Wasserlebewesen und kann allergische Reaktionen auslösen. Es darf nicht in die Hände von Kindern und in die Umwelt gelangen, der Sprühnebel darf nicht eingeatmet werden und – apropos Handschuhe – eine Berührung mit der Haut ist zu vermeiden.
Als Pestizid nicht zulassungsfähig, Masseneinsatz als "Biozid" dagegen erlaubt?
PAN hat Beschwerde gegen die Werbung und den Verkauf des Mittels bei den zuständigen Überwachungsbehörden eingereicht. Der Verkauf wurde bislang fortgesetzt. PAN sieht aber nicht nur Hersteller und Anbieter, sondern auch den Gesetzgeber in der Pflicht, um solche Auswüchse am Rande der Legalität zukünftig zu vermeiden. Das bei Verkauf und Verwendung viel lascher und unzureichend geregelte Biozidrecht darf nicht dazu missbraucht werden, um über geschickte Desinformation Raum zu schaffen, nicht mehr zulassungsfähige Pestizide unter dem Begriff „Biozid“ anzubieten. Für die Anwender muss eindeutig und unmissverständlich bereits in der Werbung und auf der Verpackung klargestellt werden, bei welcher Art von Schädlingsbefall das spezielle Mittel eingesetzt werden darf. Die Einhaltung der Rechtsvorschriften müssen systematischer kontrolliert und Verstöße mit spürbar hohen Bußgeldern belegt werden. Außerdem sollten schnellstens die Vermarktungsregeln für Biozidprodukte denen für Pestizidprodukte angepasst werden wie das Verbot des offenen Verkaufs von Schädlingsbekämpfungsmitteln, die verpflichtende sachkundige Verkaufsberatung oder begrenzte Gebindegrößen für nichtprofessionelle Verwender. Den Zugang für nichtprofessionelle Personen zu Schädlingsbekämpfungsmitteln mit ausgewiesener Gefahrenkennzeichnung (wie in diesem Fall) sollte aus PAN-Sicht, gleich ob Biozid oder Pestizid, grundsätzlich ein Riegel vorgeschoben werden.
Text: Susanne Smolka, Dipl. Biol., PAN Germany
Quelle: Blog PAN Germany - Pestizid Aktions-Netzwerk e.V.