Biozüchter in Österreich stoppen Kükengemetzel

5.6.2015 - Im Nachbarland Österreich wird die gesamte Bio-Eier-Erzeugung umgestellt. Die Branche einigte sich zudem auf einen Fahrplan, um das Töten der männlichen Eintagsküken zu stoppen. Das Zweinutzungshuhn wird obligatorisch. Ein Bericht von Manfred Kriener.

Österreichs Biobranche beendet Kükengemetzel

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Österreich geht voran. Im Nachbarland wird die Massentötung männlicher Eintagsküken zumindest im Biosektor beendet. Der Dachverband Bio Austria, Handel, Brütereien und Tierschützer haben sich darauf verständigt, die in der Legehennen-Produktion anfallenden männlichen Tiere, die naturgemäß keine Eier legen, nicht länger zu töten. Sie werden künftig in separaten Herden aufgezogen und zwei bis drei Monate lang gemästet. Die dabei entstehenden Mehrkosten sollen aus dem Eierverkauf gedeckt werden.

In Österreich werden jährlich 9,4 Millionen Küken geschreddert

In der Alpenrepublik werden bisher allein im Biosektor im Jahr etwa 600.000 männliche Küken direkt nach dem Schlüpfen getötet. Rechnet man den konventionellen Sektor dazu, sind es 9,4 Millionen Küken. Zum Vergleich: In Deutschland sterben jedes Jahr 45 Millionen Küken. Der Schredder mit seinen schnell drehenden Messern wurde in Österreich bisher nicht eingesetzt, die Tiere werden dort mit Kohlendioxid-Gas getötet. Die Tierschutz-Organisation „Vier Pfoten“ hatte den Küken-Skandal immer wieder thematisiert. Berichte in den österreichischen Medien erhöhten den Druck, vor allem auf die Bioverbände.

Im kleinen Rahmen ist die Aufzucht der männlichen Tiere bereits erprobt worden. Mit der österreichischen Initiative „Haushuhn und Gockelhahn“ wurde an einigen tausend Hähnen getestet, wie lange die Mast in Auslaufhaltung dauert, welche Zusatzkosten anfallen und wie sich das Fleisch am besten vermarkten lässt. Hähne aus den Legehennen-Zuchtlinien sind genetisch – im Gegensatz zu Masthähnchen – nicht auf schnellen Fleischansatz programmiert, sie sind relativ schlechte Futterverwerter, sie wachsen entsprechend langsam und entwickeln nur kleine Brustfilets. Ihre Aufzucht dauert doppelt so lange wie die eines Turbo-Hähnchen, das üblicherweise schon nach 35 Tagen geschlachtet wird.

Zweinutzungshuhn "Sandy" kommt aus Deutschland

Das Ende des Kükentötens ist in Österreich an die Einführung neuer Zuchtlinien gekoppelt. Der gesamte Biosektor wird künftig mit Legehennen aus einer neuen robusten Zucht versorgt. Wie die Brüterei Schlierbach, eine von zwei großen österreichischen Brütereien, mitteilt, habe sie bereits im Mai 3.000 Jungtiere des neuen Zweinutzungshuhns der gezüchteten Rasse „Sandy“ eingestallt, weitere werden folgen. Im Dezember sollen die ersten Küken aus der neuen Linie erbrütet werden. Ab 2016, so der Zeitplan, sollen dann pro Woche bereits 10.000 Legehennen-Küken und 10.000 Hahnenküken schlüpfen. Im April 2016 könnten die ersten Eier der Zweinutzungshühner in den Regalen der Supermärkte liegen. Die in Deutschland gezüchtete Legehennen-Linie Sandy ist zwar ebenfalls auf Legeleistung getrimmt, aber nicht so extrem, wie die derzeit genutzten Hochleistungshybriden. Und die männlichen Küken können offenbar mit vertretbarem Aufwand gemästet werden. Legeleistung und Fleischansatz sind im Erbgut der Hühner gegensätzlich angelegt. Hühner, die viele Eier legen, setzen weniger Fleisch an und umgekehrt. Das Zweinutzungshuhn ist immer ein Kompromisskandidat. Die Hennen der Sandy-Linie legen nach Auskunft der Brüterei Schlierbach zwar etwas weniger Eier, diese hätten aber eine höhere Qualität. Geschmack, Geruch und Schalenqualität seien „überdurchschnittlich“.
Die gesamte Umstellung soll in Österreich bis Juni 2017 dauern, dann, so die Hoffnung der beteiligten Akteure, sei das Kükenvergasen im Biosektor des Nachbarlands definitiv beendet.

„Ein bisschen Bio geht nicht“

Ein bisschen Bio geht nicht“, erklärt dazu die Firma Schlierbach, „wer Bio-Eier kauft, darf sich künftig sicher sein, dass dafür keine Hahnenküken getötet werden.“ Die Mehrkosten für die Verbraucher halten sich in Grenzen. Kornel Cimer, Nutztierexperte von „vier Pfoten“ erwartet fünf bis maximal zehn Prozent Aufschlag je Eierpackung – angesichts der dafür beendeten Massentötung der Küken sei das ein geringer Preis. Billigimporte von Bio-Eiern etwa aus Deutschland sollen keine Chance haben, weil der Handel mit im Boot sitzt. Billig-Eier, an denen Blut klebt, „würden in den Regalen sofort auffallen“, hieß es dazu bei Bio Austria.
Das Fleisch der Hähne soll nach bisherigen Plänen vor allem als „Suppenhuhn“ genutzt werden. Auch für Chicken-Nuggets und für Geflügelwürste sei es gut geeignet, sagt Kornel Cimer. Möglicherweise könne es sogar als Gourmetprodukt vermarktet werden, denn der Geschmack der langsam gewachsenen Tiere sei ausgeprägter als der von normalen Turbo-Masthähnchen.

Die Keulen der hochbeinigen Hähne sind etwas gestreckter und besitzen einen guten Fleischansatz, während die Brustfilets relativ klein sind. Probleme macht auch die Schlachtung der Tiere, wie die Firma Schlierbach erklärt. Wegen des geringen Gewichts der Hähne seien bestehende Schlachtanlagen, die ganz auf normierte Turbohähnchen ausgerichtet sind, nicht geeignet. Deshalb müsse ein eigener Schlachthof speziell für die Sandy-Hähne errichtet werden.

Agrarminister Schmidt will technische Lösung – das kann dauern

Die Tierschutzorganisation „Vier Pfoten“ hofft, dass das Beispiel Österreich auch auf andere Länder ausstrahlt. „Wir sind guter Hoffnung, dass sich auch in Deutschland etwas bewegt“, sagt Nutztierexperte Cimer. Zuletzt hatte Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) wiederholt angekündigt, ab 2017 den Kükenschredder zu stoppen. Schmidt setzt auf die technische Lösung der spektroskopischen Vorab-Geschlechtsbestimmung im Ei. Doch die ist noch nicht alltagstauglich. Gegenwärtig dauert es bis zu 20 Sekunden, bis ein einzelnes befruchtetes Ei durchleuchtet und das Geschlecht des später daraus schlüpfenden Kükens bestimmt ist. In den großen Brütereien fallen aber Zigtausende von Eiern an. Zudem müssten dann die Hühnerembryonen im Ei getötet werden.

Reinhild Benning, Agrarexpertin beim BUND, begrüßt den österreichischen Vorstoß als ermutigendes Signal. Hier zeige sich, dass die Agrarwende machbar und finanzierbar sei. In Deutschland sei die Herausforderung auf Grund der um ein Vielfaches größeren Dimensionen der Eierbranche zwar gewaltig, „aber wir müssen da ran!“ Nach österreichischem Vorbild sollten einzelne Bundesländer und auch die staatlichen Versuchsanstalten Pilotprojekte auf den Weg bringen. Die Biobranche sei jetzt umso mehr gefordert, sie brauche aber auch staatliche Unterstützung. Jahrzehntelang sei die Industriealisierung der Tierhaltung staatlich massiv gefördert worden, jetzt müsse auch Geld fließen, um die schlimmen Fehlentwicklungen zu korrigieren und dem Biosektor zu helfen.

Slow Food-Vorsitzende Ursula Hudson sagte, das Beispiel Österreich zeige, dass die Massentötung der Küken beendet werden könne, wenn die beteiligten Akteure es auch wirklich wollen. „Jetzt gibt es jedenfalls keine Ausreden mehr“, erklärte Hudson, „dem Schredder muss endlich der Stecker gezogen werden.“ Nicht nur Landwirtschaftsminister Schmidt, auch die Bioverbände müssten jetzt Initiative, Mut und Verantwortung zeigen.

Bild: © Monika Spaeth

Weitere Informationen:
Slow Food Positionen zu Tieren in der Landwirtschaft

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