Bitterstoffe im Essen
Das ist bitter!
Für Freunde knalliger Schlagzeilen war das richtig guter Stoff. „Sein Gesicht verfärbte sich gelb“, „Tod durch Zucchini“ und: „Das Gemüse hat ihm den Darm zerfetzt.“ In einem schwäbischen Dorf bei Heidenheim hatte sich ein 79-jähriger Rentner in diesem Spätsommer mit selbst gezogenen Zucchini vergiftet. Nach Aussagen der Ehefrau, die das Eintopfgericht überlebte, soll das Gemüse besonders bitter geschmeckt haben. Das Chemie- und Veterinäruntersuchungsamt Stuttgart gemahnte die Verbraucher sogleich zu verstärkter Wachsamkeit am Gaumen: Wenn etwa Zucchini und Kürbisse, die in der Regel nur schwach oder gar nicht bitter schmecken, sich plötzlich besonders grimmig verkosteten, könnten sie giftiges Cucurbitacin enthalten. Die Stuttgarter Magenwächter mussten allerdings einräumen, dass der tragische Zucchini-Zwischenfall seit Bestehen des Amts die erste tödliche Vergiftung dieser Art war.
Trotzdem bestärkte der toxische Eintopf die Igitt-Haltung vieler Verbraucher gegenüber Bitterstoffen. Ob Radicchio oder Chicorée, Artischocke oder Brokkoli, Grapefruit oder Kumquats – viele Esser verziehen schon beim Gedanken daran das Gesicht zur berühmten Leichenbittermiene. Dabei schmecken die als Bitterlinge gescholtenen Gemüse- oder Salatsorten heute gar nicht mehr so streng. Manche, wie etwa der Spargel, zeigen beinahe schon kindisch-süßliche Aromen, vor allem zu Beginn der Saison, wenn die bleichen Stangen im Gewächshaus gezogen werden. Bitterkeit und Süße hängen beim Spargel direkt mit der Anbaumethode und dem Wetter zusammen. Peter Paschold, über Jahrzehnte Fachgebietsleiter Gemüsebau in Geisenheim, sieht vor allem Stress als Auslöser für Bitternoten. Starke Temperaturwechsel mit kalten und warmen sowie trockenen und nassen Tagen seien häufig die Ursache für intensive Bitternoten. Die Spargelpflanze sieht sich dann bedroht und produziert zur Abwehr gegen Fraßfeinde verstärkt Bitterstoffe. Folienanbau und Gewächshäuser mildern solche Temperaturwechsel. Auch Gurken enthalten deutlich mehr Bitterstoffe, wenn sie unter Wetterkapriolen wie etwa Trockenheit leiden.
Bild oben: Zuchini bei einem Gemüsehändler. Diesen ist die bittere Geschmacksnote schon abgezüchtet worden. | © Barbara Assheuer
Pflanzen können nun mal schlecht weglaufen
Eine andere Ursache ist die „Ortsfestigkeit“ der Pflanzen. Sie können nicht weglaufen, wenn sich das Maul eines Tieres nähert, um das nahrhafte Gewächs aufzufressen. Zur Bestäubung und zum Samentransport brauchen die Pflanzen zwar tierische Unterstützung, sie müssen sich aber auch schützen. Deshalb produzieren sie Wirkstoffe, die den Räuber warnen, vertreiben, lähmen oder sogar töten. Viele dieser Abwehrsubstanzen schmecken bitter.
Die Besucher des „Bitterlabors“, einer Ausstellung des Berliner Künstlers Markus Binner in der Koch-Kunst-Galerie Zagreus, lassen sich auch von strammen Bitternoten nicht vertreiben und mümmeln tapfer ihren zur Vernissage gereichten Salat mit reichlich Bittergurke, Rucola, Radicchio, Chicorée und wildem Brokkoli. „Das Bittere schützt uns vor dem Irrglauben, alles in der Welt sei in Ordnung“, sagt die Kunstsachverständige Eva Sturm bei der Ausstellungeröffnung und transzendiert das Bittere damit auf eine höhere Ebene. Der Künstler Markus Binner konzentriert seine auf Plakate gedruckte Materialsammlung dagegen ganz bodenständig auf Messer, Gabel und Gaumen. Die Menschen hätten „die Geschmacksrichtung bitter aus unseren alltäglichen Essgewohnheiten weitestgehend verbannt“, steht da geschrieben. Dabei, so Binners Infotafeln, würden Bitterstoffe doch die Cholesterinwerte senken und die Verdauung unterstützen. Testesser würden zudem spürbar abnehmen, wenn ihre Kost mit bitteren Wildkräutern angereichert werde. Dennoch: Das Bittere wird ausgerottet, selbst klassisches Bittergemüse wie etwa Gurken, grüner Paprika oder Chicorée enthielten, so Binner, nur noch wenige Bitterstoffe.
Demeter-Pflanzenzüchter Dietrich Bauer, der in Bad Vilbel Saatgut herstellt, kann das nur bestätigen: „Chicorée schmeckt heute nach nichts mehr!“ Bei den Geschmacksselektionen der Züchter werden bitter schmeckende Aufzuchten systematisch aussortiert und nicht mehr weiter vermehrt. Damit, so Bauer, gingen als Nebenwirkung viele wertvolle Aromen verloren.
Im Trend: Bittere Getränke
Wird unser Speiseplan also endgültig von kitschiger Süße dominiert? Nein, Plakatkünstler Binner hat eine Gegenbewegung entdeckt, ein heimliches Einverleiben der Bitterstoffe vor allem in flüssiger Form. Kräuter-Smoothies seien der neue Hit, dazu die Absinthwelle, die Aperol Spritz-Epidemie, Mate, Gin-Tonic, reichlich Bier und: „Bitte noch einen Espresso!“ Alles ganz schön bitter. Wobei der bissige Geschmack meist durch Beigaben gepuffert wird – der Zucker im Espresso und Kräuterlikör, das Malz im Bier. Beim bitteren Salat hilft die Vinaigrette. Der Ölfilm im Mund mildert die Eindrücke unserer Rezeptoren. Und der Essig sorgt für saure Geschmacksnoten, die das Bittere zurückdrängen. Auch die berühmte Bitter- oder besser Zartbitterschokolade wird durch Fett und Zuckeranteile, Vanille und andere Aromen milder gemacht.
Bitter, aber meist gesüßt - Espresso. | © Katharina Heuberger
Immer neue Bitterrezeptoren werden aufgespürt
Der Mensch ist übrigens ungewöhnlich gut mit Bitterrezeptoren ausgerüstet. Die Potsdamer Ernährungsforscherin Sophie Thalmann erinnert daran, dass unsere Zunge nur einen einzigen Rezeptortyp für die Süßwahrnehmung hat, aber gleich 25 fürs Bittere. Und unter den 25 Rezeptoren gibt es noch 150 verschiedene Subtypen, also genetische Variationen. Die Ausstattung variiert von Mensch zu Mensch, von Ethnie zu Ethnie – genau wie unsere Bitterwahrnehmung höchst unterschiedlich ist. Bei einigen Stoffen wie etwa PTC (Phenylthiocarbamide) ist das minutiös erforscht worden. Jede vierte Testperson hat bei PTC keinen Bittereindruck, während die große Mehrheit sich angewidert schüttelt. Bei anderen Bitterstoffen in der Nahrung gibt es die Dreiteilung in Sensitive, Über-Sensitive und Null-Responder, die nicht einmal einen Hauch von Bitterkeit wahrnehmen. Ob Chicorée-Hasser, -Liebhaber oder -Tolerierer, das ist auch eine Frage der genetischen Mitgift.
Bitterrezeptoren gibt es nicht nur im Mund, sondern auch im Magen-Darmtrakt, in Lunge, Bronchialsystem und – sogar im Hoden. Ständig werden neue entdeckt, ohne dass die Wissenschaft ihre Funktionen genau definieren könnte. Die Rezeptoren im Atmungssystem, soviel weiß man immerhin, sorgen dafür, dass Versuchstiere automatisch flacher Luft holen, sobald sie toxischen Dämpfen ausgesetzt sind.
Mensch und Tier sind also gut vor Bitterstoffen geschützt. Doch die meisten sind harmlos und so müssen wir im Laufe unseres Lebens lernen, das Bittere zu akzeptieren, es als bereichernde Geschmackskomponente vielleicht sogar zu mögen. Weinexperten schwärmen ja gern von delikaten Bitternoten; Biertrinker schätzen die „herb-männliche“ Note ihres Pils‘. Und was wäre eine köstliche Orangenmarmelade ohne die feinen Bitteraromen. Der französische Starkoch Alain Ducasse sagte einmal, eine gute und bekömmliche Küche werde am Herben und Bitteren gemessen. Womöglich hätte Ducasse seine Freude an der aktuellen Rucola-Mode. Die Rauke, wie sie auf Deutsch heißt, wird nicht nur allerorten wie Hagelzucker über die Pizza gestreut. Sie ist in manchen vegetarischen Restaurants geradezu zum Grundnahrungsmittel aufgestiegen.
Auch Gänseblümchen werden gern vernascht
Auch Wildkräuter haben trotz feiner bis explosiver Bitternoten ein positives Image, sie gelten als gesunde und besonders natürliche Kost. Wenn dann noch Naturschützer zur Wildkräuterwanderung rufen, von wichtigen Vitalstoffen und der Hausapotheke auf der Wiese schwärmen, ist die Bitterkeit am Gaumen kein Hindernis. Dann kommen Löwenzahn-Salat und Bibernelle-Würze zu Ehren, auch Gänseblümchen werden gern vernascht.
Wie viele Bitterstoffe muten eigentlich Berliner Sterneköche ihren Gästen zu? Fragen an Sebastian Frank vom Horvath: „Bitter ist schwierig, unser Urinstinkt sagt uns erst einmal, Vorsicht, das ist ungenießbar.“ Frank will das bittere Geschmacksuniversum aber keinesfalls aus seiner Küche verdammen. Er dämpft es ein wenig, legt Bittersalate, um sie etwas milder zu machen, ins Eiswasser, das er nach einiger Zeit komplett erneuert und er mischt Bitteres mit Süßem. Und auch Frank sagt: „Bitter muss man lernen!“
Doch spätestens wenn wir krank sind, schätzen wir den Bittergeschmack. Arzneimittel sollen bitter sein, gegen Erkältungen und Magendrücken schlürfen wir anstandslos und literweise herbe Kräutertees. Dann dürfen auch mal ein gallenbitteres Tausendgüldenkraut, ein Enziantee oder ein horribler Aufguss des Gemeinen Wermuts unseren Magenpförtner passieren. Kranke Affen machen das genauso. Sie suchen gezielt nach bitteren Pflanzen, um sich so ihre Medikamente zu verabreichen.
In der Berliner Galerie Zagreus (Brunnenstraße 9a) wird im Rahmen des Bitterlabors am 24. und 26. September noch einmal ein Menü mit Bitternoten serviert. Die Ausstellung endet am 30. September.
Bild oben: Bunt und bitter - das Gänseblümchen. | © Katharina Heuberger
Weitere Informationen:
Bitterlabor. Eine Ausstellung zu einem beunruhigenden Geschmack.