Bündnis fordert Verbot von Glyphosat
Glyphosat: Nach neuer Studie Verbot in der EU gefordert
In ihrer Untersuchung hatten die Forscher Leber- und Nierenzellen von Ratten untersucht, die zwei Jahre lang Roundup in niedrigsten Dosierungen - 4 Nanogramm pro Kilo Körpergewicht - im Trinkwasser erhielten (Zur Studie auf www.ehjournal.net). Die Toxikologin Anita Schwaier hält die Studie für bahnbrechend, weil ein neuer, besonders problematischer Wirkmechanismus erkannt worden sei. "Glyphosat bewirkt Störungen bei der Ablesung des Erbguts, sogenannte epigenetische Veränderungen, die nicht reversibel sind und auf nachfolgende Generationen übertragen werden können. Dieser Wirkungsmechanismus ist eine Erklärung für die Vielzahl der Erkrankungen, die beim Menschen beschrieben wurden, einschließlich Missbildungen und Krebs", erklärt Schwaier, die die Studie des internationalen Wissenschaftlerteams ausgewertet hat. Das Fazit der Toxikologin: "Diese Studie dürfte das Ende von Glyphosat zumindest in Europa besiegeln". Schwaier zufolge beweist die Studie, dass Glyphosat zur Gruppe der endokrinen Disruptoren, den hormonartig wirkenden Substanzen gehört, deren Verbot nach EU-Recht jetzt bevorsteht. So wurden in der Studie bei den Versuchstieren auch Veränderungen im Hormonspiegel, unter anderem bei den für die Fortpflanzung wichtigen Hormonen Testosteron und Östradiol, registriert. Außerdem traten Veränderungen von Leber- und Nierenzellen sowie Funktionsstörungen dieser Organe auf. Schwaier weist die Vermutung des Bundesinstituts für Risikobewertung, dass möglicherweise nicht Glyphosat, sondern Beistoffe des Pestizids Roundup die toxischen Wirkungen ausgelöst haben könnten, zurück. "Eine Eigenwirkung der Hilfsstoffe auf das epigenetische System ist sehr unwahrscheinlich", so Schwaier.
"Wir fordern tiefgreifende Reformen bei der Zulassung von Pestiziden!"
Auch die Agrar Koordination, Slow Food und die Kampagne "Ackergifte? Nein Danke!" bekräftigen vor dem Hintergrund dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse ihre Forderung nach einem Verbot von Glyphosat. "Es ist höchste Zeit, dass die EU-Kommission Glyphosat vom Markt nimmt! Die kürzlich bekanntgegebene Verlängerung der Zulassung für Glyphosat bis Ende Juni 2016 ist angesichts der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht nachvollziehbar. Die Entscheidungsträger missachten damit das Vorsorgeprinzip und ihre Verpflichtung, die Menschen vor toxischen Chemikalien zu schützen", kritisiert Julia Sievers-Langer, Leiterin einer Glyphosat-Kampagne der Agrar Koordination.
"Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) ist verpflichtet, alle Erkenntnisse und Studien zur Einschätzung von Glyphosat zu berücksichtigen. Die Tatsache, dass die der Weltgesundheitsorganisation WHO unterstellte internationale Krebsforschungsagentur IARC Glyphosat als wahrscheinlich krebserregend einstuft, hätte eigentlich zu einem sofortigen Moratorium des Herbizids führen müssen. Doch die zuständigen Behörden erwecken leider den Eindruck, als hätten sie sich dem Lobbydruck der Pestizidindustrie unterworfen", so Ursula Hudson, Vorsitzende von Slow Food Deutschland e. V.
Auf Grund der IARC-Einstufung von Glyphosat ist ein Glyphosatverbot aus Sicht vieler Experten zwingend notwendig. Ein Bündnis von 12 Nichtregierungsorganisationen richtet darüber hinaus in einem heute veröffentlichten Positionspapier umfassende Forderungen an die Bundesregierung. Sie rufen dazu auf, die Bevölkerung durch ein Bündel an Maßnahmen besser vor Glyphosat und anderen Pestiziden zu schützen. "Der Fall Glyphosat offenbart grundlegende Defizite im System der Zulassung und Anwendung von Pestiziden. Wir fordern tiefgreifende Reformen des Zulassungssystems und eine verstärkte politische Förderung nicht-chemischer Pflanzenschutzverfahren", erläutert Sievers-Langer, die Koordinatorin der gemeinsamen Verbändepositionierung.
Weitere Informationen:
Zur Studie auf www.ehjournal.net
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Positionspapier als taz-Beilage
Glyphosat-Positionspapier vom 28. September 2015
Glyphosat, der meistverkaufte Pestizidwirkstoff weltweit, ist offenbar doch nicht so harmlos, wie lange behauptet. Dies macht die Einschätzung der International Agency for Research on Cancer (IARC), der Krebsforschungsagentur der WHO, deutlich. Die IARC stuft Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend für den Menschen“ und damit in die zweithöchste Gefahrenstufe ein. Zahlreiche wissenschaftliche Studien* deuten zudem darauf hin, dass von Glyphosat weitere gravierende Gesundheitsgefahren ausgehen.
Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), das im Auftrag der EU die humantoxische Risikobewertung für Glyphosat durchführte, hat diese wissenschaftlichen Erkenntnisse bislang noch nicht in seiner Bewertung berücksichtigt. Die Einschätzung des BfR, dass der Pestizidwirkstoff Glyphosat nicht humantoxisch sei, basiert fast ausschließlich auf Studien, die von Glyphosat-produzierenden Unternehmen selbst durchgeführt oder in Auftrag gegeben wurden. Das Zulassungsverfahren für den Pestizidwirkstoff Glyphosat offenbart aus unserer Sicht grundlegende Defizite bei der behördlichen Risikobewertung von Pestiziden.
Wir fordern daher die Bundesregierung auf, einzugreifen, um die kritikwürdige Bewertung des BfR zu korrigieren und sicherzustellen, dass das in der Pestizidgesetzgebung verankerte Vorsorgeprinzip angewendet wird.
Wir fordern die Bundesregierung auf:
- sich dafür einzusetzen, dass das BfR und die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) die Einschätzung der IARC bei ihren Schlussfolgerungen zur Toxizität von Glyphosat im Rahmen des aktuellen Zulassungsverfahrens berücksichtigen;
- sich auf EU-Ebene für ein Verwendungsverbot von Glyphosat und den besonders toxischen Zusatzstoff POE-Tallowamin einzusetzen;
- das BfR anzuweisen, alle Studien, die in Pestizidzulassungsverfahren eingereicht wurden, offenzulegen, um eine Überprüfung durch unabhängige Wissenschaftler zu ermöglichen. Bei Studien zur Toxizität von Glyphosat handelt es sich nicht um Geschäftsgeheimnisse, sondern um Informationen, auf die die Öffentlichkeit ein Anrecht hat;
- sich auf EU-Ebene für grundlegende Reformen des Systems der Risikobewertung, Zulassung und Kontrolle von Pestiziden einzusetzen.
Diese Reformen müssen u. a. folgende Aspekte beinhalten:
- Es muss sichergestellt werden, dass die Befunde aller unabhängigen wissenschaftlichen Studien der letzten 10 Jahre in die behördliche Risikobewertung einfließen.
- Durch eine tiefgreifende Änderung der Gesetzgebung auf EU-Ebene muss festgelegt werden, dass die notwendigen Zulassungsprüfungen nicht mehr von den antragstellenden Pestizidfirmen, sondern von unabhängigen wissenschaftlichen Instituten durchgeführt werden. Diese Studien müssen über einen Industrie-unabhängig verwalteten Fonds finanziert werden, der durch Gebühren von den antragstellenden Firmen gespeist wird. Die Pestizidhersteller dürfen grundsätzlich nicht an der Auftragsvergabe, der Konzipierung der Prüfverfahren und an der Auswertung der Studien beteiligt sein. Die Toxizitäts-Studien müssen grundsätzlich veröffentlicht werden.
- Die Erfahrungen mit POE-Tallowaminen zeigen, dass Pestizidprodukte, die neben den Pestizidwirkstoffen auch zahlreiche andere Zusatzstoffe enthalten, um ein Vielfaches toxischer sein können, als der Pestizidwirkstoff allein. Die Risikoabschätzung im Rahmen der Produktzulassung muss daher dringend verbessert werden. Die Produkte eines Pestizidwirkstoffs, in der Kombination aller Inhaltsstoffe, müssen in geeigneter Form dahingehend überprüft werden, ob sie eine höhere Toxizität aufweisen als der Wirkstoff allein.
- Ebenso müssen innerhalb des Zulassungsverfahrens Kombinationswirkungen mit anderen häufig verwendeten Pestizidwirkstoffen mit abgeprüft werden.
- Zudem müssen die Transparenz der Zulassungsverfahren verbessert und eine vollständige Deklaration aller Inhaltsstoffe bei Pestizidprodukten zur Pflicht werden.
- Verbesserte Anwendungs- und Rückstandskontrollen sind notwendig für den Schutz der Bevölkerung. Pestizidhersteller müssen an den Kosten für Anwendungs- und Rückstandskontrollen beteiligt werden. Es ist nicht hinzunehmen, dass die Bevölkerung die externen Umwelt-, Gesundheits- und Kontrollkosten tragen muss.
- Für den Schutz von Menschen und Nutztieren ist es erforderlich, systematische und reguläre Überprüfungen importierter Lebens- und Futtermittel, bei denen Glyphosatrückstände zu erwarten sind (u.a. Soja, Getreide), einzuführen. Dabei müssen anders als bisher auch Tallowamin-Rückstände mit erfasst werden.
Darüber hinaus fordern wir die Bundesregierung auf, sich im Rahmen der Agrarpolitik verstärkt für eine Reduktion des Pestizideinsatzes in der Landwirtschaft einzusetzen. Dazu gehören folgende Maßnahmen:
- Agrarumweltmaßnahmen (AUM) der Bundesländer, bei denen Betriebe auf den Einsatz von Pestiziden verzichten, sollten entsprechend höhere Fördersätze erhalten. Auf allen ökologischen Vorrangflächen im Rahmen des Greenings sind Pestizide auszuschließen.
- Nicht-chemische Verfahren des Pflanzenschutzes und die Umstellung auf ökologische Landwirtschaft müssen verstärkt gefördert werden. Dafür muss die Verpflichtung der Bundesregierung aus der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie – 20 % Ökolandbau-Fläche in Deutschland – , die auch im Nationalen Aktionsplan zur Nachhaltigen Anwendung von Pestiziden (NAP) als Zielgröße steht, endlich mit zielführenden, ausreichend finanzierten Maßnahmen und einem Stufenplan versehen werden.
- Ackerbau ohne Glyphosateinsatz und nicht-chemische Verfahren des Pflanzenschutzes müssen verpflichtender Teil der landwirtschaftlichen Ausbildung-, Weiterbildung und Beratung werden.
- Unabhängige wissenschaftliche Arbeit und Forschung ist zugunsten nicht-chemischer Pflanzenschutzverfahren auszuweiten und angemessen zu finanzieren.
Zudem fordern wir die Bundesregierung auf, sich im Rahmen der internationalen (Entwicklungs-) Zusammenarbeit für ein Verbot von Glyphosat, POE-Tallowaminen und anderen hochgefährlichen Pestiziden einzusetzen. Damit verbunden ist die Bundesregierung aufgerufen:
- abzukehren von einer direkten Kooperation der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit mit Pestizidherstellern, um die Unabhängigkeit von privatwirtschaftlichen Interessen sicherzustellen.
- ökologische Anbauverfahren und die Abkehr von chemisch-synthetischen Pestiziden im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit zu fördern;
- vor allem in den vom Glyphosateinsatz besonders betroffenen Sojaanbaugebieten in Südamerika für einen wirksamen Schutz der Bevölkerung zu sorgen.
Wir appellieren an die Bundesregierung, ihrer Verpflichtung nachzukommen, Schaden von der Bevölkerung abzuwenden, indem sie die aufgeführten Maßnahmen zum Schutz vor gefährlichen Pestiziden umsetzt.
September 2015