Die Schlacht im Veggie-Regal

14.10.2015 - Licht lockt die Motten. Rügenwalder, Wiesenhof und andere Fleischkonzerne haben den Veggieboom erkannt und produzieren verstärkt Fleischersatzprodukte – mit dem Beifall des Vegetarierbunds. Damit vertreiben die Großen die kleinen Veggie-Pioniere aus den Regalen der Supermärkte. Ein Bericht von Manfred Kriener

Einzelhandel: Die Schlacht im Veggie-Regal

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Frisst die vegetarisch-vegane Revolution ihre Kinder? Die Pionierfirmen der Branche werden immer heftiger vom Veggie-Angebot der alten Fleischkonzerne erdrückt. Rügenwalder Mühle, Wiesenhof und andere Firmen erweitern mit Hochdruck ihr Angebot und füllen die Supermarktregale mit fleischlosen Fleischwürsten, Schnitzeln oder vegetarischer Mortadella. Das geht zu Lasten der Kleinen: „Lord of Tofu“, ein Vorreiter-Unternehmen für vegane Lebensmittel, denkt bereits über Entlassungen nach. Auch andere Kleinhersteller müssen in den Supermärkten den Großen weichen.

Das Lörracher Unternehmen „Lord of Tofu“ erkennt „massiven Gegenwind“. Nach dem Einstieg der Fleischkonzerne habe sich die Konkurrenz erheblich verschärft, und: „Wir sind die ersten, die ausgelistet werden“, sagt Mitinhaberin Dörte Ulrich. Der Hersteller mit seinen 13 Beschäftigten ist biozertifiziert, verwendet nur heimische, gentechfreie Sojabohnen und versucht auch geschmacklich, möglichst natürlich zu bleiben und nicht in erster Linie den tierischen Gout zu imitieren. Trotz aller qualitativen Anstrengungen könnten jetzt personelle Einschnitte anstehen, so Ulrich.

Bild oben: Fleischersatzprodukte in einem Münchener Bio-Supermarkt. © Katharina Heuberger

„Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen“

Auch „Veggyfriends“, ein Pionier, der seit 2002 vegane Produkte anbietet, spürt die neue Konkurrenz. Das 22-köpfige Unternehmen unterstützt Tierschützer, strotzt vor Idealismus und engagiert sich seit Jahren für Kampagnen gegen Massentierhaltung. Jetzt bekommen sie von den Händlern immer öfter die rote Karte gezeigt. „Die sagen uns, dass unsere Produkte toll sind, aber sie müssten jetzt leider die Großen ins Regal nehmen, weil sie mit denen auch im Fleischsektor zusammenarbeiten“, sagt Firmengründerin Rosalie Wolff. Doch Wolff bleibt kämpferisch: „Ich wehre mich gegen die Opferrolle, wir müssen einfach noch innovativer und besser werden und dürfen uns nicht einschüchtern lassen.“

Was die kleinen Firmen besonders wurmt: Die Fleischkonzerne werden ausgerechnet von jenen Organisationen unterstützt, die sie zuvor bis aufs Messer bekämpft haben. Der Deutsche Vegetarierbund (Vebu) etwa labelt die Veggie-Linie des Fleischkolosses Rügenwalder Mühle. Und die Tierrechtskämpfer von Peta verhandeln derzeit mit dem Geflügelriesen Wiesenhof, um dessen fleischlose Produkte womöglich mit dem Peta-Emblem zu adeln. In den sozialen Medien wird der „Pakt mit dem Teufel“ heftig kritisiert. Wie könne man nur mit Unternehmen kooperieren, die „Millionen Tiere ermorden“, heißt es. Vom Hühnerschänder zum Kooperationspartner?

Austritte aus dem Vegetarierbund

„Lord of Tofu“ ist aus Protest aus dem Vegetarierbund ausgetreten und hält dem Vebu vor, seine ethischen Grundsätze verloren zu haben. Eine „relevante Austrittswelle“ habe es bisher aber nicht gegeben, hieß es auf Nachfrage. Der Vegetarierbund verteidigt die Unterstützung für den Fleischtitan Rügenwalder in einer langen Stellungnahme. „Wir sind überzeugt, so eine breite Masse für vegetarische und vegane Fleischalternativen gewinnen zu können.“ Ziel sei es, die Verfügbarkeit vegetarisch-veganer Produkte im konventionellen Lebensmitteleinzelhandel zu verbessern. Und: „Wir sind überzeugt, dass es ein Fortschritt ist, wenn jetzt sogar ein zuvor rein fleischverarbeitendes Unternehmen Veggie-Wurst und Veggie-Fleisch anbietet.“ Die Pioniere kontern: Warum würden sie nicht in gleicher Weise unterstützt?

Der Veggie-Boom sorgt unterdessen weiter für erstaunliches Wachstum. So ist im vergangenen Jahr der Umsatz für Fleischalternativen und pflanzliche Brotaufstriche auf 213 Millionen Euro gestiegen, 73 Prozent plus in fünf Jahren. Bei Rügenwalder haben die vegetarische Version des Schinkenspickers und die Veggiefrikadellen die Fleischsorten im Verkauf überholt. Und selbst beim Münchner Oktoberfest, einer Hochburg von Brathendl und Weißwurst, wurden dieses Jahr 18 vegane Hauptspeisen angeboten.

Zutatenliste vom Reißbrett

Sophie Herr, Leiterin des Teams Lebensmittel der Verbraucherzentrale Bundesverband, beobachtet die vegan-vegetarischen Turbulenzen mit ganz anderem Blick. Sie will die Aufmerksamkeit auf die oft kritischen Inhaltsstoffe der Fleischersatzprodukte lenken. So werde zum Beispiel in einigen neuen Produkten extrem viel Hühnerei verwendet. Da stelle sich die Frage, ob dies erstens gesund sei und zweitens dem Tierwohl diene.

Die Slow Food-Vorsitzende Ursula Hudson moniert darüber hinaus die "oft mit reichlich Chemie und Zusatzstoffen zusammengerührten" neuen Veggie-Lebensmittel. Hudson: "So sehr ich die Reduzierung des Fleischkonsums auch begrüße, aber die bloße Imitation von Fleischprodukten durch auf dem Reißbrett komponierte Lebensmittel mit einer abschreckenden Zutatenliste sind eine schlechte Alternative!" Diese künstlich anmutenden Lebensmittel hätten die vielen Menschen, die sich ernsthaft Gedanken über ihre Ernährung machen, nicht verdient.

Mehr Informationen:

Veggie-Wurst: Tierschützer verhandeln mit Wiesenhof

Slow Thema "Tiere in der Landwirtschaft"

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