Kommentar Schokolade

24.11.2015 - Gäbe es Schokolade nicht, man müsste sie erfinden. Kaum ein anderes Genussmittel besitzt eine ähnlich verführerische Aromenvielfalt. Doch leider mischen viele Hersteller diesem vollkommenen Naturgeschenk Stoffe bei, die dort nicht hineingehören – zum Schaden von Mensch und Umwelt. Ein Kommentar von Ursula Hudson, Vorsitzende von Slow Food Deutschland.

Schokolade: Billiger Genuss, teuer bezahlt

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Die Weltraumbehörde NASA lässt zwei ständige elektronische Beobachter um die Erde kreisen, die sich „Terra“ und „Aqua“ nennen. Die beiden Satelliten funken regelmäßig Daten über die Veränderungen in den weltweiten Ökosystemen, vieles davon nahezu in Echtzeit abrufbar im Internet. Was Terra und Aqua derzeit aus Indonesien berichten ist niederschmetternd: Von Januar bis Ende Oktober zählten ihre Messapparate rund 120 000 einzelne Wald- und Torfbrände in dem Inselstaat. Schon jetzt sprechen Experten von der größten Brandkatastrophe dieses Jahrhunderts (siehe Link unten).

Ein Exportschlager wird zum Umweltkiller.

Deren Ursache: Bauern auf Borneo oder Sumatra fackeln immer größere Teile des Regenwalds ab, um dort Palmöl-Plantagen zu errichten – mit absehbar desaströsen Folgen für das Weltklima. Die Brände dieser Saison haben bereits mehr Klimagase freigesetzt, als die Industrienation Deutschland in einem Jahr ausstößt. An 38 Tagen im September und Oktober waren die Emissionen sogar größer als die der USA.

Palmöl ist ein indonesischer Exportschlager. Seit Anfang des Jahrhunderts hat die Nation konkurrierende Länder wie Malaysia in der Produktion weit hinter sich gelassen. Die rücksichtslose Rodungspolitik drückt den Weltmarktpreis. Kein Wunder, dass Palmöl zum Schleuderangebot nahezu ubiquitär Abnehmer findet. Die Kosmetikindustrie setzt es in Salben und Cremen ein, die Reinigungsmittelhersteller verwenden es für Seifen und Waschmittel (Tenside) und bei Lebensmitteln kommt es von der Margarine bis zum Analogkäse zum Einsatz.

Fünf Prozent Palmöl in der Schokolade sind fünf Prozent zuviel!

Leider verwenden auch Schokoladenhersteller gern Palmöl, es macht die Kakaomasse cremiger und fülliger, zudem verkürzt es den Prozess zeit- und kostensparend. Bis zu fünf Prozent lässt die Europäische Union als Zusatzstoff bei der Fabrikation zu. Aus der Sicht von Slow Food sind dies fünf Prozent zu viel. Palmöl hat in einer guten und vor allem sauberen Schokolade nichts zu suchen, denn hochwertiger Kakao enthält genügend eigene Fette und mehr als 500 Aromen, die dieses wunderbare Naturprodukt eben zu jenem „Gottesgeschenk“ (Theobroma) machen, als das es von dem schwedischen Botaniker Carl von Linné schon vor dreihundert Jahren bezeichnet wurde!

In der Herstellung ersetzt das billige Palmöl schlicht die viel teuerere, aber hochwertige Kakaobutter – schon sind fünf Prozent gespart. Für diesen Trick sind sich auch viele sogenannte Edelhersteller nicht zu schade. Uns Schokoliebhabern bleibt da nichts anderes übrig, als genauestens die Liste der Inhaltsstoffe auf dem Etikett zu studieren und die guten Anbieter von den schlechten zu trennen. Der Gesetzgeber hat hier übrigens für Klarheit gesorgt:  Seit Dezember 2014 muss Palmöl auf der Verpackung ausgewiesen werden und darf sich nicht mehr hinter dem Begriff „Pflanzliches Fett“ verstecken.

Ähnlich klimabelastend und mindestens genauso überflüssig ist ein anderer Liebling der Schokoladenhersteller: das Sojalecithin. Bei diesem Zusatzstoff handelt es sich um einen sogenannten Emulgator, ein Helferlein, das von der Lebensmittelindustrie gerne eingesetzt wird, wenn es darum geht, nicht mischbare Flüssigkeiten wie beispielsweise Wasser und Öl miteinander zu verbinden. Dem Schokolade-Konsumenten gaukelt Lecithin eine höhere Produktqualität vor: Sein Einsatz führt zu einem angenehmen Mundgefühl, verleiht dem Produkt einen cremigeren Schmelz und einen höheren Glanz.

Erst ohne Zusatzstoffe zeigt sich wahres handwerkliches Können.

Die Europäische Union lässt Sojalecithin auch im Bio-Bereich zu. Und weil es spottbillig ist, verwundert es nicht, dass kaum ein Hersteller darauf verzichten mag. Ist es für die Herstellung hochwertiger Schokolade notwendig? Wie bei Palmöl heißt die Antwort: nein. Dies beweisen Anbieter mit einer ganz anderen Produktphilosophie wie beispielsweise Naturata oder Bonnat, die in ihrem kompletten Schokoladen-Sortiment ohne Lecithin auskommen. Der gewünschte zarte Schmelz, ein appetitlicher Glanz und leckerer Geschmack lassen sich nämlich auch ganz ohne Hilfs- und Zusatzstoffe durch traditionelle Herstellungstechniken wie das ausreichend lange Conchieren der Kakaomasse erzielen.

Warum also den Konsumenten dazu zwingen, Stoffe zu sich zunehmen, die er in seiner Schokolade gar nicht vermutet? Zumal Soja weltweit immer stärker gentechnisch verändert angebaut wird und eine Garantie, dass keine Spuren von veränderten Organismen in die Schokolade gelangen selbst bei Verwendung von Bio-Soja kaum mehr möglich ist. Der Soja-Anbau erfordert zudem Platz – vor 15 Jahren wurde die Bohne in Argentinien auf einer Fläche von einer Million Hektar angebaut. Inzwischen sind es 18 Millionen Hektar. In Brasilien führt die Ausdehnung der Soja-Monokulturen zu einer ähnlich katastrophalen Abholzung des Regenwalds wie die Palmölproduktion in Indonesien. Wenn der Wald verschwindet, wird Kohlendioxid freigesetzt – das weltweite Abholzen von Bäumen (nicht nur durch Brandrodung) trägt maßgeblich zum Klimawandel bei.

Einfache Bauern sind die Verlierer der industriellen Produktion.

Die Palmöl- und Sojaproduktion ist weder sauber noch fair. Die riesigen Monokulturen führen zur Vergiftung der Böden, die Profite landen bei wenigen großen Konzernen, die den Markt weltweit beherrschen. Einfache Bauern und Landarbeiter sind die Verlierer des industrialisierten Anbaus.

Eine Tafel Schokolade wiegt in der Regel nur 100 Gramm. Jedes einzelne sollte, wenn wir es uns auf der Zunge zergehen lassen, den Slow-Food-Kriterien „gut, sauber und fair“ genügen. Schließen wir also durch bewussten Einkauf aus, dass aus dem Gottesgeschenk eine bittere Hypothek für den Planeten wird!

Dieser Kommentar ist erschienen im aktuellen Slow Food Magazin 6/2015.

Bild oben: © Elisabetta Cane

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