Aktionsprogramm: Breites gesellschaftliches Bündnis fordert Existenzsicherung bäuerlicher Betriebe

30.9.2016 - Anlässlich des „Wir haben es satt!“-Kongresses, der heute in Berlin startet, for­dern mehr als 45 Organisationen der Kampagne „Meine Landwirtschaft“, zu denen auch Slow Food Deutschland e. V. gehört, einen Umbau hin zu einer sozial gerechten, tier- und umweltfreundlichen Landwirtschaft.
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„Mit dem Aktionsprogramm ‚Wert­schöpfung schaffen!‘ legen wir den verantwortlichen Politikern aus Bund und Ländern ein umfassen­des Konzept vor, mit dem Bauernhöfe eine wirtschaftliche Perspektive erhalten“, sagt der Leiter der Kampagne „Meine Landwirtschaft“, Jochen Fritz: „Im Aktionsprogramm enthalten sind konkrete So­fortmaßnahmen wie die Milchmengenregulierung und die Umschichtung von 500 Millionen Euro der Flächensubventionen in den Topf für tier- und umweltfreundliche Landwirtschaft. Zehntausende Höfe brauchen jetzt dringend Unterstützung!“ Neben den kurzfristigen Maßnahmen gegen das Höfester­ben setzt das Bündnis im Aktionsprogramm auf den nachhaltigen Umbau der Land- und Ernährungs­wirtschaft durch gezielte und wirksame Änderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Um diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen, werden am 21. Januar 2017 wieder Zehntausende bei der 7. „Wir haben es satt!“-Demonstration unter dem Motto „Agrarkonzerne, Finger weg von unserem Essen!“ in Berlin zusammenkommen.

Bild oben: Biologisch-dynamisch arbeitender Demeter-Reyerhof in Möhringen bei Stuttgart. Bio soll Leitbild zukünftiger Agrarpolitik werden, fordert das Bündnis Meine Landwirtschaft. | © Manuel Hilscher

Die Kernpunkte des Aktionsprogramms erläutern Vertreter des Bündnisses:

"Gewässer-, Klima- und Tierschutz muss gefördert werden!"

Martin Schulz, Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) for­dert eine Umwidmung der Gelder aus der EU-Agrarförderung in Deutschland: „Bund und Länder dür­fen nicht weiter tatenlos beim Höfesterben zuschauen. Um kleinere und mittlere Betriebe zu retten, muss umgehend in tiergerechte Haltung, Agrarumweltmaßnahmen, Weidemilchprojekte und den Ökologischen Landbau investiert werden. Wir fordern die Bundesregierung auf, die Gelder für Pro­gramme der ländlichen Entwicklung von bislang 4,5 auf die möglichen 15 Prozent aufzustocken sowie eine höhere Förderung der ersten Hektare vorzunehmen.“ Bisher nutzt Deutschland diesen Spielraum nicht aus und widmet nur 4,5 Prozent der Agrargelder um. Entscheidend bei der Umschichtung ist, dass das Geld zweckgebunden in Höfe investiert wird, die sich für Öko-Landbau, Agrarumweltmaß­nahmen, Gewässer-, Klima- und Tierschutz engagieren. Das ist aber nur der erste Schritt, langfristig muss die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik (GAP) grundlegend umgestaltet werden.

"Bio muss Leitbild der zukünftigen Agrarpolitik werden!"

Vor diesem Hintergrund schlägt Antje Kölling von Demeter vor, die Marktchancen von Bio-Erzeugung für die heimische Landwirtschaft und die Umwelt zu nutzen: „Immer mehr Menschen kaufen immer mehr Bio-Lebensmittel. Bio-Bauern zeigen jetzt schon wie umwelt- und tiergerechte Landwirtschaft funktioniert und mehr Wertschöpfung erreicht werden kann. Jeder konventionelle Landwirt, der Bio als Chance für seinen Betrieb sieht, sollte für seine Leistungen beim Gewässer-, Klima- und Arten­schutz auch honoriert werden. Es ist deshalb entscheidend, dass ausreichend Mittel für die Umstel­lung auf Öko bereitgestellt werden und Bio zum Leitbild der zukünftigen Agrarpolitik wird.“

Der Umbau der Landwirtschaft kann nur gelingen, wenn das Tierwohl berücksichtigt wird. Daher müssen Fehlanreize abgeschafft werden und eine tiergerechte Nutztierhaltung konsequent gestärkt werden. Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, erläutert hierzu: „Erst wenn Landwirte angemessene Erlöse für ihre Produkte erhalten und eine gesellschaftlich erwünschte Tier­haltung mit öffentlichen Geldern gefördert wird, kann ein hohes Tierschutzniveau etabliert werden. Wenn die Politik jetzt umsteuert und die entsprechenden Anreize schafft, dann sind der Einsatz robus­ter Rassen, mehr Platz im Stall, Auslauf und eine intensive Tierbetreuung kein Ding der Unmöglichkeit mehr.“

"Der Stickstoffüberschuss aus der Landwirtschaft gehört zu den größten Umweltproblemen unserer Zeit!"

Der Vorsitzende des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Hubert Weiger, kriti­sierte die Auswirkungen steigender Fleischproduktion für die Tiere und die Umwelt: „Obwohl unser Fleischkon­sum sinkt, wird Deutschland immer mehr zur globalen Fleischfabrik. Die Überproduktion in Megaställen verursacht ein fortgesetztes Höfesterben, verschlechtert den Tierschutz und belastet die Gewässer. Zum Schutz der Umwelt und der Tiere brauchen wir einen Kurswechsel in der Agrarpolitik. Die Fleischproduktion in Deutschland muss dringend reduziert und die Tierhaltung wieder an die Flä­che gebunden werden.“ Weiger forderte insbesondere die Verringerung des Gülleeinsatzes: „Der Stickstoffüberschuss aus der Landwirtschaft gehört zu den größten Umweltproblemen unserer Zeit. Die EU-Kommission hat bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, da die Nitratrichtlinie nicht ausreichend umgesetzt und die Überdüngung geduldet wird. Bundesagrarmi­nister Christian Schmidt muss endlich strengere Regeln für die Ausbringung, für die Lagerung und den Transport der Gülle auf den Weg bringen.“

In der Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen sieht die Kampagne „Meine Landwirtschaft“ die einzige Chance für kleinere und mittlere landwirtschaftliche Betriebe, damit diese im Wettstreit mit der Agrarindustrie nicht unter die Räder geraten. Die Anwesenden richten daher einen dringenden Appell an Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt, jetzt endlich die notwendigen Reformen einzuleiten. Diese sind jedoch nur ein erster Schritt hin zu einer Agrarwende, die nicht nur Bauern, sondern auch Konsumenten hilft.

Hintergrund

Die Situation auf den Höfen ist alarmierend, die Landwirtschaft steckt in einer tiefen Krise. In den letzten zehn Jahren haben über 100.000 Bauernhöfe aufgegeben, alleine 2015 mussten in Deutsch­land 3.200 Milchviehbetriebe schließen. Schuld daran ist maßgeblich die zunehmende Intensivierung und starke Exportorientierung der Landwirtschaft, welche von der Politik in Berlin und Brüssel in den vergangenen Jahrzehnten massiv vorangetrieben wurde. Die Folge: Es entstanden riesige Produkti­onsüberschüsse, die zu einem massiven Verfall der Preise führten – und so zum Ruin vieler Bäuerin­nen und Bauern. Die Kampagne „Meine Landwirtschaft“ ist ein breiter gesellschaftlicher Zusammenschluss von über 45 Organisationen aus den Bereichen Landwirtschaft, Umwelt-, Natur-, Tier- und Verbraucherschutz sowie Entwicklungszusammenarbeit.

Die Kampagne veranstaltet vom 30. September bis zum 3. Oktober den 2. „Wir haben es satt!“-Kongress. Dort werden hunderte Engagierte rund um die Themen „Landwirtschaft Macht Essen“ die globalen Machtverhältnisse im Agrar- und Ernährungssektor diskutieren und Alternativen zu Höfesterben und Milchkrise erörtern.

Quelle: Presemeldung der Kampagne "Wir haben es satt" vom 29. September 2016


Mehr Informationen:

Aktionsprogramm „Wertschöpfung schaffen!“:
Als PDF herunterladen

„Wir haben es satt!“-Kongress:
www.wir-haben-es-satt.de/kongress

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