Kommentar: Der Weg in eine verschwendungsfreie Zukunft!

25.9.2016 - Der Markt für Lebensmittel versagt. Fehlanreize für Verbraucher und Erzeuger führen zu Verschwendung,  Artensterben und Vergiftung unserer Umwelt – Folgen eines erbarmungslosen Preiskampfes, der die wahren Kosten der Nahrungsmittelerzeugung ignoriert. Ein Kommentar von Ursula Hudson.

Kommentar: "Der Weg in eine verschwendungsfreie Zukunft!"

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Am Rande der Olympischen Spiele in Rio fand eine bemerkenswerte Aktion statt: Der brasilianische Gastronom und Slow-Food-Aktivist David Hertz bekochte ein Woche lang die Einwohner eines Armenviertels von Rio – ausschließlich aus den Lebensmittelresten des Olympischen Dorfes. Dabei halfen Hertz die Mitglieder seiner Organisation "Gastromotiva", die sich um benachteiligte Jugendliche aus den Favelas kümmert und sie zu Köchen ausbildet, sowie der italienische Stargastronom Massimo Bottura. Dies kluge und sehr medienwirksame Projekt machte weltweit Menschen auf das Problem des achtlosen Umgangs mit Lebensmitteln und deren ungerechte Verteilung aufmerksam.

Bild oben: Der brasilianische Gastronom und Slow-Food-Aktivist David Hertz (ganz links) und Dreisternekoch Massimo Bottura (Mitte, mit Brille) mit dem Gastromotiva-Team bei der Aktion in Rio gegen die Verschwendung von Lebensmitteln.  | © Gastromotiva / Angelo Dal Bo

Die EU diskutiert erstmals die Kreislaufwirtschaft.

Die ersten Slow-Food-Aktionen gegen Lebensmittelverschwendung in Deutschland fanden im Jahr 2010 statt. Seither ist im Verein viel aus der Beschäftigung mit diesem Thema entstanden: die Teller- statt-Tonne-Veranstaltungen und andere Aktionstage, die weltweit laufenden Schnippeldiskos von Slow Food Youth, die Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, das Schulprojekt Teller statt Tonne und viele Partnerschaften mit Landwirten, Schulen, politischen Entscheidungsträgern und anderen Nichtregierungsorganisationen. Ein großes, lebendiges Netzwerk wurde geschaffen. Unsere Aktionen waren Inspirationsquell für kreative junge Leute, sie haben Restaurants und Start-ups gegründet und die Vermeidung von Lebensmittelverschwendung zum unternehmerischen Leitbild gemacht. Auch politisch hat sich viel getan. Besonders deutlich bei der EU-Kommission: Sie diskutiert Kreislaufwirtschaft, die Abschaffung des Mindesthaltbarkeitsdatums, setzt Ziele zur Reduzierung des Lebensmittelmülls und formuliert Vorschläge für Maßnahmen gegen die ungeheure Verschwendung von Lebensmitteln.

Auch auf Länderebene tut sich etwas. Nach Frankreich hat sich nun Italien für eine Änderung im Lebensmittelrecht entschieden: Während die Franzosen ihren Supermärkten vorschreiben, unverkaufte oder abgelaufene Lebensmittel künftig kostenlos abzugeben, setzen die Italiener auf steuerliche Anreize. In Deutschland macht der Lebensmitteleinzelhandel durch Rettungsaktionen für Erzeuger auf sich aufmerksam. So nahm der Discounter Penny die Ernte französischer Aprikosenbauern ins Sortiment, deren Obst durch Wetterschäden unansehnlich und daher schlecht verkäuflich war. Die französische Supermarktkette Intermarché wiederum sammelt übriggebliebenes Gemüse und Obst ihrer Märkte und nimmt es, zu Suppen und Kompott verwertet, noch einmal ins Angebot. Deutsche Gastronomen reduzieren erfolgreich Portionsgrößen, vor allem beim Fleisch. Dies gelingt, weil sich das Bewusstsein vieler Verbraucher geändert hat.

Tierleid und Vergüllung haben leider keinen Preis.

In der Summe sind dies alles zweifellos Erfolge. Befinden wir uns als Gesellschaft also auf dem besten Weg in eine verschwendungsfreie Zukunft? Nein, meine ich. All diese genannten Maßnahmen und Aktionen sind wichtig, aber im Grunde zielen sie lediglich auf die Bekämpfung von Symptomen. Ursache der Verschwendung im Globalen Norden ist ein Wirtschaftssystem, das die wahren Kosten der Lebensmittelerzeugung erfolgreich auf Dritte abschiebt. Das ständige Überangebot, der grotesk rasante Warenumschlag und die damit einhergehenden ausbeuterisch niedrigen Erzeugerpreise sind nur deswegen möglich, weil das Marktgeschehen nicht die sozialen und ökologischen Folgekosten reflektiert. Ein konkretes Beispiel: Das tellergroße Riesenschnitzel mit Kartoffelsalat zum Kampfangebot von 4,50 Euro kann das Gasthaus um die Ecke nur solange anbieten, wie Tierleid und Vergüllung der Umwelt keinen Preis haben. Und da wir als Gäste so billig davonkommen, können wir es uns natürlich auch leisten, die Hälfte auf dem Teller übrig zu lassen.

In Deutschland kommen jährlich knapp 2 000 neue Lebensmittelprodukte in den Handel, davon verschwinden innerhalb eines Jahres bis zu 90 Prozent wieder – was bedeutet, dass der Markt eigentlich gesättigt ist. Was die landwirtschaftliche Produktion angeht, immer noch die Basis für einen Großteil unserer Lebensmittel, beginnt die Verschwendung bevor der Bauer seine Äcker bestellt: Denn er muss stets so großzügig planen, dass er seine Lieferverträge auch dann einhalten kann, wenn ihm etwa das Wetter einen Strich durch die Rechnung macht. Das Zuviel entsteht also bereits ganz am Anfang der Lebensmittelkette. Wenn es nach der Politik geht, dann soll der Verbraucher am Ende alles wieder richten – möglichst, indem er den ganzen Überschuss restlos verputzt. Mutet das nicht beinahe kabarettistisch an? Wir Verbraucher sollen schlucken, was das System an Überproduktion auftischt? Nein, das können wir gar nicht!

Gerechte Bezahlung bedeutet Einrechnung aller Kosten!

Unser Beitrag sollte ein anderer sein. Wir können lernen, mit unseren Lebensmitteln klug, wertschätzend, genießend und im Schulterschluss mit Erzeugern und handwerklichen Weiterverarbeitern umzugehen. Wir können unser Essen aus den bestehenden Alternativen zum dominanten System beziehen. Und wir können darauf achten, einen gerechten Preis für unsere Lebensmittel zu bezahlen – erst dann machen wir uns auf den Weg in eine verschwendungsfreie Zukunft!

Dieser Kommentar der Slow Food Deutschland Vorsitzenden Ursula Hudson ist im Slow Food Magazin 5/2016 erschienen. Jetzt am Kiosk!

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