Kommentar: Mönsch, Aldi!
Ach Aldi! Jetzt bist Du doch richtig groß geworden, ohne die blöde Fernsehwerbung. Du bist sogar steinreich geworden nur mit billig, billig, billig und einfach die Paletten hinstellen und die Leute sollen sich ihr Zeug doch selber grabschen. Wozu schöne Läden, wenn es auch hässlich geht, wozu faire Preise für die Erzeuger, wozu hochwertige Lebensmittel, wozu rudelweise Personal? Du hattest das alles nicht nötig, Du warst ganz souverän das hässliche Entlein in der Lebensmittelkette, Du wolltest nie mehr sein als ein superbilliger Billigheimer. Und jetzt? Fernsehwerbung? Radiowerbung? Kinospots? Brauchst Du das wirklich, Aldi? Du willst irgendwie jünger und schicker werden, müssen wir im Spiegel lesen. Du engagierst schwer schokoladenbeschmierte Kinder mit schlecht geputzter Nase, die pausenlos von Erwachsenen aufgeschriebenes dummes Zeug reden? Mönsch Aldi, Du enttäuschst uns, ehrlich. Du willst nicht mehr nur billig, billig, billig, du willst jetzt „hip“ sein? Hast Du was Falsches gegessen? Vielleicht irrtümlich ins eigene Regal gegriffen?
Im Bild oben: Plakatwerbung im Rahmen der Aldi-Kampagne gegen Vielfalt bei Lebensmitteln. | © Katharina Heuberger
Offene Wunde und kein Blutstiller
Ach Aldi! Du holst schlecht angezogene Musikanten mit verkehrt herum aufgesetzter Kappe, die sich auf Holzbänke vor Gemüsegärten setzen und über „nutzlose Vielfalt“ jammern. Aldi, also wirklich, da müssen wir beinahe dem Stern recht geben: „Ganz schön hohl“ und „dämlich“. Aldi, hör mal, es tut uns wirklich sehr, sehr leid, dass Du Dir den Kopf an den Grenzen des Billigbooms gestoßen hast. Ehrlich jetzt. Offene Wunde und kein Blutstiller! Du bist einfach am Wachstumslimit angekommen, behaupten böse Menschen. Die Supermärkte machen Dir mit ihrem Vollsortiment das Leben schwer, die reine Pest.
Jetzt keine Panik, Aldi. Lass Dir deswegen bloß keine krummen Eier wachsen. Du musst wieder Deine Mitte finden. Und vor allem: Stampfe erst mal ganz schnell Deine Werbung ein. „Wir brauchen keine zehn Zitronensorten, wir brauchen nur Zitronen.“ Geht’s noch Aldi? Ist das Deine Idee von der Mission Markenauffrischung? Einfalt statt Vielfalt? Und bloß keine Auswahl? Mein lieber Aldi, da werden die hippen Massen aber strömen…
Rechtsdrehende Himalaya-Pasta
Und jetzt wird’s richtig furchtbar, Aldi. Du trötest herum, dass es bei Dir auch keine „rechtsdrehende Pasta aus dem Himalaya“ gibt. Sondern einfach nur Nudeln. Aldi, das macht uns jetzt wirklich fertig. Da ziehen ganz dunkle Wolken herauf, und da weinen wir alle bitterlich, wenn wir das lesen. Keine rechtsdrehende Himalaya-Pasta? Und auch keine linksdrehende aus Dinkelwachteleierkompott? Es reicht, Aldi. es reicht jetzt wirklich! Aldi, sag mal, Du schreibst, dass Du Dich „stets nach den Wünschen der Kundschaft“ richtest. Das ist gut, Aldi, das ist sehr gut. Ich kaufe mir jetzt für 0,99 Euronen ein Fläschchen Spitzenwein bei Dir. Dann bin ich nämlich Dein Kunde, Aldi. Und dann wünsche ich mir, dass Du Deine Werbeagentur-Fuzzis sofort bei Wasser, Brot und Aldizitronen in Deinen Warenkeller sperrst und erst wieder rauslässt, wenn ihre Phrasendiarrhöe abgeklungen und vollkommen ausgeheilt ist. Versprochen? So machst Du es, ja? Danke Aldi, danke!
Text: Manfred Kriener
Anmerkung zur Werbekampagne von Aldi
Das von Aldi engagierte Werbeteam hat sich für Filmaufnahmen mit dem Rapper Fargo ausgerechnet den Gemeinschaftsgarten Allmende-Kontor auf dem Tempelhofer Feld in Berlin ausgesucht. Dort haben viele hundert Gartenbegeisterte einen bunten Stadtacker angelegt mit Hochbeeten, Gemüsekisten, Blumen und Kunstwerken – ein wunderbar vielfältiges gärtnerisches Gemeinschaftswerk. In einer Stellungnahme des Gemeinschaftsgartens wird die Aldi-Werbekampagne nun scharf kritisiert: „Die Discounter Aldi-Süd und Aldi-Nord greifen in einem Werbespot eine ganze Bewegung an, die sich für vielfältige, gesunde, ökologische und fair produzierte Lebensmittel einsetzt. Sie benutzen dabei ohne unsere Zustimmung den Berliner Gemeinschaftsgarten Allmende-Kontor als Kulisse, um die Botschaft von einer vermeintlich „nutzlosen Vielfalt“ zu verbreiten. Der Gemeinschaftgarten stehe für das Gegenteil der Aldi-Kapagne, nämlich „für Vielfalt, statt industriell erzeugtem Einheitsbrei“.
Mehr auf der Webseite www.allmende-kontor.de
Mehr Informationen:
Biokulturelle Vielfalt: Slow-Food-Projekte
Wer sich über die Vielfalt bei Zitronen informieren möchte: Im Projekt Arche des Geschmacks der internationalen Slow Food Stiftung für Biodiversität werden beispielsweise alte italienische Zitronensorten mit besonderen Eigenschaften geschützt und gefördert:
Messina Interdonato | Sorrent | Verdello | Amalfi Sfusato
Im Bild: Tomatenauswahl von der regionalen Slow Food Messe "Nordhessen geschmackvoll!" in Melsungen am vergangenen Wochenende – biologische Vielfalt sieht nicht nur schön aus, sondern erfreut auch den Gaumen mit der Vielfalt des Geschmacks.| © Margaret Artzt