Neue Studie: Landwirschaft Hauptverursacher von Artenverlust
Neue Studie: Industrielle Landwirtschaft ist ein Hauptverursacher für Artenverlust
Während der Veranstaltung diskutierten Referenten aus unterschiedlichen Bereichen die Zusammenhänge zwischen der agrarindustriellen Landwirtschaft und dem Biodiversitätsverlust in Europas Agrarlandschaften. Die Artenerosion in Ökosystemen verschiedenster Art schreitet in den letzten Jahrzehnten weltweit mit rasantem Tempo voran, eine mittlerweile allbekannte Tatsache. Aber trotz beunruhigender Meldungen über die dramatischen Verluste von Arten und Lebensräumen bleibt eine konsequente Politik aus. Dies ist vor allem unverständlich, weil unser aller Leben von der biologischen Vielfalt abhängt: „Jede einzelne Art ist ein Knoten des globalen Ökosystems. Mit dem Verlust jeder Art schneidet man einen Knoten aus diesem Netz heraus, das mit jedem Mal in sich schwächer wird“, so der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/ Die Grünen im deutschen Bundestag, Anton Hofreiter.
Bild oben: Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) hat den Stieglitz (Carduelis carduelis) zum „Vogel des Jahres 2016“ gewählt. Mit ihm soll der fortschreitende Strukturverlust in unserer Kulturlandschaft ins Blickfeld gerückt werden. Der Bestand des Stieglitzes in Deutschland ist in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen. | © NABU/F. Derer
Folgen der Agrarindustrie unmittelbar in der Natur ablesbar
Die verschiedenen Ökosysteme sind durch unterschiedliche menschliche Eingriffe belastet: Während die Artenerosion bei Meeres-Ökosystemen unter anderem von Überfischung und Wasserverschmutzung hervorgerufen wird, so zeigt die von Stephan Börnecke verfasste Studie "Die (un-) heimlische Artenerosion in Europas Agrarlandschaften" die agrarindustrielle Landwirtschaft als dominierende Ursache für den Artenschwund bei Land-Ökosystemen auf. Die Studie zeigt anhand von markanten Zahlen den drastischen Rückgang der Tier- und Pflanzenwelt: Vor 50 Jahren waren die Äcker noch zu 40 Prozent von Wildkräutern bedeckt, heute sind es lediglich 4 Prozent. Heute gibt es in Europa 421 Millionen weniger Vögel als noch vor 30 Jahren. Die These „Wenn eine Tierart 'Feld' im Namen hat, dann hat sie schon verloren“ von Oliver Conz wurde auch anhand von Beispielen wie dem Feldhamster und dem Feldhasen bestätigt.
Ein System der fehlenden Wertschätzung für Lebensmittel, Ressourcen und menschliche Arbeitskraft
Wie konnte es soweit kommen? Wie sind wir zu einem System gekommen, indem das Endlebensmittel, die aufgewendeten natürlichen Ressourcen wie Wasser, Boden und Elektrizität, die vom Landwirten investierte Zeit und Geld nicht wertgeschätzt werden und ein Drittel aller Lebensmittel weltweit verschwendet werden statt auf dem Teller zu landen? Eine Antwort auf diese Frage gab Robert Habeck, Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und Ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein. Die Landwirte der Agrarindustrie haben die Verbraucher durch immer niedrigere Preise reich gemacht. Damit sei aber ein anderer Reichtum verloren gegangen, und zwar der Reichtum an Lebensmittelvielfalt. Alles, was nicht mit der Philosophie des „Wachsen oder weichen“ zu vereinen war, wurde systematisch verdrängt. Dieser Mentalität fielen unter anderem viele alte Tierrassen, Pflanzensorten, handwerkliche Lebensmittel, die Wertschätzung der Lebensmittel und der landwirtschaftlichen Arbeit, und auch der Respekt von Tieren zum Opfer. Nur in solch einem System sei es möglich, dass zum Beispiel ein Viertel an Schweinefleisch schon in der Produktionskette verschwendet werde, so Habeck weiter.
Die Ursachen des Artenschwunds von der Politik nicht ernst genommen
Susan Haffmans vom Pestizid-Aktions-Netzwerk e. V. (PAN) Germany informierte über die Risiken und Folgen von Pestiziden für die biologische Vielfalt. Es seien klare Gefährdungen der Umwelt und Gesundheit von Mensch und Tier zu beobachten: Pestizidrückstände im menschlichen Organismus, im Grundwasser und in Kleingewässern sogar noch Jahre später, reduzierter Samenvorrat in Ackerböden, Rückgang von Beikräutern oder verringerte Bestäubungsleistung, um nur einige aufzugreifen. Das Unberechenbare an Pestiziden sei außerdem die Tatsache, dass ihre Wirkung sich weder auf den Zielort noch den Zielorganismus beschränkten, so Haffmans weiter. Statt diese Folgen ernst zu nehmen und den Gebrauch von Pestiziden und Herbiziden gesetzlich zu beschränken, komme von Seiten der Politik diesbezüglich nichts. Ganz im Gegenteil, PAN Germany konnte in Deutschland von 2002 bis 2014 eine Intensitätssteigerung von 32,9 Prozent im Gebrauch von Pflanzenschutzmitteln verzeichnen.
Martin Häusling beklagte in der Diskussionsrunde, dass in der EU trotz der maßgeblichen und erwiesenen Schuld von Pestiziden und Herbiziden am Biodiversitätsverlust in Europas Agrarlandschaften Faktoren wie die biologische Vielfalt und Umwelt bei der politischen Entscheidung zur Zulassung dieser toxischen Substanzen keine Rolle spielten. Er forderte deshalb das Überdenken der Zulassungsverfahren und die Definition besserer Ausschlusskriterien.
Die Konferenzsprecher waren sich einig: Die Folgen der agrarindustriellen Landwirtschaft dürfen nicht weiter unterminiert und eine zukunftsfähige Agrarpolitik auf EU-Ebene blockiert werden. In diesem Kontext gelte es zu überdenken, dass „im Bereich Landwirtschaft kein Verursacherprinzip gilt“, wie Maria Krautzberger, Präsidentin des Umweltbundesamtes, verlauten ließ. Slow Food kann sich hier nur der mehrmals angesprochenen Forderung nach realistischen Preisen anschließen, denn das aktuelle System, in dem die Folgekosten der agrarindustriellen Landwirtschaft durch andere getragen werden, ist unfair und nur aus einer profitorientierten Sicht nachvollziehbar.
Bild oben: Ackerblühstreifen. Aus der Studie: "Selbst eine stärkere Anlage von extensiv genutzten Ackerrandstreifen reicht daher nicht aus, um die Restbestände der Ackerwildkräuter dauerhaft zu schützen, haben Wissenschaftler erkannt." | © Katharina Heuberger
Die Arche des Geschmacks von Slow Food
Slow Food engagiert sich weltweit mit verschiedenen Projekten zum Erhalt der biologischen Vielfalt. In Deutschland geschieht dies zum Beispiel durch das internationale Projekt Arche des Geschmacks der Slow Food Stiftung für Biodiversität, das seit 1996 traditionelle Lebensmittel, Nutztierarten und Kulturpflanzen vor dem Vergessen und Verschwinden schützt, die unter den gegenwärtigen ökonomischen Bedingungen am Markt nicht bestehen oder "aus der Mode" gekommen sind. Die Passagiere der Arche des Geschmacks bringen Abwechslung auf den Teller und erhalten dabei die kulturelle und biologische Vielfalt der Regionen. Nach dem Motto Essen, was man retten will! ermutigt Slow Food alle Menschen, nach besonderen Pflanzen und Tieren Ausschau zu halten, diese als Arche-Passagier vorzuschlagen, und schützenswerte, regionale Erzeugnisse durch Verzehr, Ernte, Verarbeitung zu unterstützen. Indem wir denjenigen unter die Arme greifen, die sich die Mühe machen, alte Sorten und Rassen zu züchten oder zu halten oder ein handwerkliches Lebensmittel zu erzeugen, stellen wir sicher, dass zukünftige Generationen auch in dessen Geschmack kommen dürfen. In Deutschland gibt es aktuell 56 Passagiere an Bord der Arche des Geschmacks.
Bild oben: Die Schafrasse Moorschnucke wird geschützt im Slow-Food-Biodiversitätsprojekt Arche des Geschmacks. Hervorragend angepasst an das Leben in Moorniederungen sind Moorschnucken ein unverzichtbarer Partner bei der Renaturierung der Moore und sorgen im Rahmen von Naturschutz und Landschaftspflege für deren Erhaltung. Indem sie auch Baumschösslinge – zum Beispiel Birken – beweiden, halten sie die Landschaft offen und pflegen so einen Lebensraum für viele wilde, vom Aussterben bedrohte einheimische Tier- und Pflanzenarten. | © Stefan Abtmeyer
Mehr Informationen:
Studie: Die (un-) heimliche Arten-Erosion (PDF)
Artenschutzreport Deutschland 2015 des Bundesamts für Naturschutz (PDF)