Slow Food Genussführer: Eine Adventsreise
Slow Food Genussführer 2017/18: Eine Adventsreise nach "Bayerisch Sibirien"
Ein Samstagnachmittag im Advent. Wir sind unterwegs im nordöstlichen Oberpfälzer Wald. Aus dem neuen Slow Food Genussführer haben wir uns ein Bio-Restaurant mit dem seltsamen Namen „Weiherblasch“ irgendwo bei Schönsee als Ziel auserkoren. Die Anzeige am Tacho signalisiert minus drei Grad. Immer enger drängt sich der düstere Fichtenwald an die schmale Landstraße. In Schönsee ducken sich schiefergedeckte Häuser in den Abhang. Im Autoradio mischt sich plötzlich ein tschechischer Sender unter das Gedudel. Wir sind nur einen Katzensprung von der böhmischen Grenze entfernt im ehemaligen Niemandsland. Vom Waldrand flüchtet eine Herde Rehe vor unserem Motorengeräusch. Als uns das Navi einen kleinen Seitenweg hinunter in eine Talsenke lotst, wird uns bewusst: Ohne den Slow Food Genussführer wären wir nie auf die Idee gekommen, in dieser Gegend, in der sich buchstäblich Fuchs und Hase „Gute Nacht“ sagen, ein passables Gasthaus zu suchen.
Im Wiesengrund dann die ehemalige Mühle aus dem 17. Jahrhundert. Sie wurde von den Wirtsleuten Christel und Johann „Hannes“ Kraus in jahrzehntelanger Arbeit ausgebaut, erweitert und in ein kleines Juwel des nachhaltigen Genießens verwandelt. Neben dem Bio-Restaurant ist die Fischzucht das zweite Standbein. Über mehrere Ebenen ziehen sich die Teiche den Hang herab. Überall gluckert und blubbert es. Ein System von Röhren leitet das frische Wasser für die Forellen und Saiblinge von Becken zu Becken. Der Frost hat in einigen ruhigeren Ecken eine spiegelnde Eisschicht über das Wasser gebreitet.
Bild oben: Eingang zum Gasthaus Weiherblasch.
Piccata von der Lachsforelle
Bis nach Oberbayern liefern die Krauses ihre frischen, gebeizten oder geräucherten Fische in Bio-Qualität. Dafür nehmen Sie sich die halbe Woche Zeit. Das Restaurant wird nur von Donnerstag bis Sonntag geöffnet. Hannes Kraus zaubert dann in der Küche aus seinem Fang Gerichte wie die köstliche Edelfischsuppe mit Safranfäden oder eine cremige Forellen-Mousse. Eine Piccata von der Lachsforelle auf dünnen Bandnudeln erweist sich ebenso als gelungene Kombination wie der Saibling in Sesamkruste, der immer wieder auf der Speisekarte steht. Oder Kraus füllt Zucchiniblüten mit einer Fischfarce und frittiert sie goldbraun. Dazu reicht er selbstgemachte Kartoffelnudeln.
„Früher hat man uns hier in der Gegend als Spinner abgetan, als wir konsequent auf Bio gesetzt haben. Inzwischen haben wir uns ein Stammpublikum erkämpft. Die Leute kommen nun auch von weiter her aus Regensburg oder Nürnberg, weil sie die Küche meines Mannes zu schätzen wissen,“ verrät uns Christel Kraus, die souverän den Service meistert. Zwei nette Ferienwohnungen stehen den Gästen zur Verfügung, die nach abendlichem Mahl den Rückweg durch den finsteren Oberpfälzer Wald scheuen. Die kleine, aber gemütliche Gaststube wird in der wärmeren Jahreszeit durch einen hellen Wintergarten ergänzt – mit direktem Blick auf die Fischteiche des „Weiherblasch“.
Die ungewöhnliche Restaurant-Bezeichnung soll ein alter Kosename für die Möwe sein. Der Wandervogel steht dabei symbolhaft für das unbeständige Schicksal, das einen mal hierhin und mal dorthin treibt, schreibt Hannes Kraus in seiner Speisekarte. Beim Spaziergang vor Einbruch der Dämmerung erkunden wir die nähere Umgebung. Zwei zottelige gehörnte Vierbeiner blicken uns über den Zaun hinweg neugierig an. Ziege oder Schaf? Später erfahren wir, dass es sich um Kamerunschafe handelt, die als „Rasenmäher“ die Grasflächen rund um die Fischteiche sauber halten sollen. Da die Tiere nicht geschoren werden müssen, eignen sie sich bestens zur Pflege größerer Grünflächen. In der klirrenden Kälte kuscheln sich die beiden Tiere eng aneinander und widmen sich schließlich wieder der prall mit Heu gefüllten Krippe.
Bild oben: Piccata von der Lachsforelle aus restauranteigenen Gewässern.
Wild aus dem Oberpfälzer Wald
Also weiter um die Teiche herum den Hang zum Waldrand hinauf. Seit der Klimawandel weiße Weihnachten zur Seltenheit werden lässt, fällt auch in diesem äußersten Zipfel von „Bayrisch Sibirien“ im Winter oft monatelang kein Schnee. Dem Zauber der winterlichen Mittelgebirgslandschaft tut dies jedoch kaum einen Abbruch. Die letzten Sonnenstrahlen stechen wie schmutzige gelbe Eiszapfen durch den dunstigen Himmel. Wie gezuckert glitzern die vom Raureif überzogenen Äste und Zweige der Bäume. Man traut sich kaum, mit dem Fuß die weißen Grashalme niederzutreten und das gefrorene Wunder zu zerstören. Also lieber auf dem schmalen Waldweg bleiben.
Im Spätsommer ist diese Gegend ein Eldorado für Pilzsammler. Selbst selten gewordene Sorten wie Reizker oder Parasol liegen dann in den Sammlerkörben. Die Ausbeute findet sich auch auf den Tellern des „Weiherblasch“ wieder. Ein vegetarischer Pfifferlingsstrudel wird zum opulenten Hauptgericht und den Grillteller mit viererlei Fleisch krönen gebratene Steinpilzscheiben. Advent im Weiherblasch – das bedeutet auch: Wildgerichte in allen Variationen. Hirsch und Reh stammen von Jägern aus der Region. Entsprechend verwöhnen Rehschnitzel, Hirschschlegel und andere Köstlichkeiten aus den Tiefen des Oberpfälzer Waldes den Gast. Seit kurzem unterstützt Tochter Andrea den Vater in der Küche. Der muss manchmal weit fahren, um alle Grundprodukte in Bio-Qualität zu bekommen, weil im abgelegenen Grenzgebiet nicht alles erhältlich ist, was ein Genussführer-Koch an sauberen Zutaten benötigt.
Bild oben: Ausflugsziel für Slow-Food-Genießer - der Oberpfälzer Wald an der Grenze zu Tschechien.
Lebensmittel aus der Nachbarschaft
Das Gros des Küchenmaterials kommt jedoch aus der unmittelbaren Nachbarschaft, der Fisch aus eigener Zucht, das Holzofenbrot aus Pleystein und Obst, Gemüse und Fleisch von Bio-Bauern aus der Umgebung. Und der fruchtbare Wiesengrund um den „Weiherblasch“ bietet fast das ganze Jahr über frische Kräuter in Hülle und Fülle. Daraus entstehen unter den Händen von Vater und Tochter Kraus wunderbare Gerichte wie Bachsaibling mit Sauerampferkruste, ein Rücken von der Färse mit Kartoffelgratin, eine Lammhüfte in Thymian oder auch einmal Bouchot-Muscheln in Riesling. So wird das Advents-Essen im Weiherblasch zu einem wahren Festmahl, das man zuletzt mit einem Zitronen- oder Basilikumsorbet als süßem Schlusspunkt abrunden kann. Oder dürfen es vielleicht flambierte Marillen in Palatschinken oder ein Halbgefrorenes von Blaubeeren mit Eierlikörtörtchen sein? Etwas Hochprozentiges aus der gut bestückten Digestif-Theke sorgt dann für die nötige Bettschwere. Wie gut, dass wir eine der beiden Ferienwohnungen gebucht haben.
Am Sonntagmorgen hat sich eine dichte Nebelschicht in den Talgrund geschoben. Man sieht keinen Steinwurf weit. Auch die Schafe sind hinter dem weißgrauen Vorhang verschwunden. Bei einem liebevoll angerichteten Frühstück blättern wir bereits wieder im Slow Food Genussführer, um ein Lokal für die Mittagsrast auf dem Heimweg auszukundschaften. „Der Genussführer hat uns tatsächlich viele neue Gäste gebracht“, resümiert Christel Kraus, die das Buch auch gleich am Eingang zur Gaststube ausgelegt hat. Wir wünschen ihr zum Abschied viel Erfolg auf ihrem kulinarischen Vorposten. Ein Blick zurück aus dem Autofenster zeigt uns statt Ochs und Esel die beiden Kamerunschafe, die die Krippe bewachen. Und statt des Sterns von Bethlehem bricht plötzlich ein erster Sonnenstrahl durch die Nebelwand. Weihnachten kann kommen.
Bild oben: Im Weiherblasch kommen die Fische direkt vom Wasser auf den Teller. Teichwirtschaft hat in der Oberpfalz eine lange Tradition.
Text und Bilder: © Wieland Schnürch
Slow Food Deutschland e.V. (Hrsg.)
Slow Food Genussführer Deutschland 2017/2018
Oekom-Verlag, München
ISBN 978-3-86581-809-6
24,95 Euro [D], 25,70 Euro [A]
Erhältlich im Online-Shop des Oekom-Verlags
Mehr Informationen zum Slow Food Genussführer Deutschland 2017/18:
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