Slow-Food-Kuttelgespräch: Deutsche Krabbenfischer auf Nachhaltigkeitskurs
Slow-Food-Kuttelgespräch: Deutsche Krabbenfischer auf Nachhaltigkeitskurs
Slow Food International und Terra Madre rufen den Monat Oktober zum Fischmonat aus. Nichts lag also näher, Krabbe und Auster direkt aus der Nordsee für das vierte Slow Food Kuttelgespräch mit Ursula Hudson, nachhaltigen Fischereiexperten und Slow Food Mitgliedern zu diskutieren – und zwar, je anschaulicher desto besser, mit Krabben pulen und Austern sammeln!
„Fisch als eines der essenziellen Grundnahrungsmittel der Menschen gerät weltweit zunehmend unter Druck, unter anderem durch Überfischung, großflächige Aquakulturen oder degenerierte Zuchtfischerei!“, so Ursula Hudson, Vorsitzende von Slow Food Deutschland. Auch Francisco Marí von Brot für die Welt äußerte sich beim vierten Kuttelgespräch in Bremen: „Der große Hunger nach Shrimps führt in Lateinamerika und Asien zu großen Shrimps-Farmen mit unakzeptablen Zuchtbedingungen. Die Lebensbedingungen vieler Menschen in Entwicklungsländern ist eng mit den wirtschaftlichen Interessen in den Industrieländern verknüpft: Indigene Völker leiden unter der Plünderung ihrer Ressourcen, ungerechte Handelsregeln zerstören Existenzen, unmenschliche Produktionsbedingungen gefährden die Gesundheit. Wir sollten unseren eigenen Konsum überdenken!“
Bild oben: Krabbenfischer beim Entladen.
Ein Watt für Feinschmecker
Auf flunderplatter Strecke fuhr man bereits am frühen Dienstagmorgen von Bremen bis ins 140 Kilometer entfernte Hafenstädtchen Neuharlingersiel. Zum Austernsammeln braucht man lediglich einen Plastikeimer, gutes Schuhwerk, eine wetterfeste Jacke – und einen kundigen Führer wie Kai Wätjen, Meeresbiologe und Vorstand von sustain seafood, Verein zur Förderung einer nachhaltigen Fischerei aus Emmelsbüll. Sofort stolperte die Slow Food Gruppe im seichten Wasser entlang der Mole über Austern, die man mit beherztem Griff ernten, ins Eimerchen legen oder direkt vor Ort verzehren durfte – Austernsammeln ist hier Jedermannsrecht!
Bild oben: Austernsammeln im Watt.
Miese Zeiten für Miesmuschel und Krabbe?
Die Population der Nordsee-Auster im friesischen Wattenmeer ist eigentlich eine Laune der Natur. „Die Auster ist aus den Aquakulturen Sylts und Hollands ‚ausgebüchst’!“, so Kai Wätjen. Seit Anfang 2000 vermehrt sich die sogenannte „Pazifische Auster“ hier schnell, da sie keine Fressfeinde hat. Ist die Fremde nun Fluch oder Segen? Zunächst befürchtete man, dass sie der heimischen Miesmuschel Lebensraum und Nahrung rauben könnte. „Miesmuscheln haben schnell gelernt, bei Austern anzudocken“, erzählte Kai Wätjen. So wie an Felsen oder Steinen finden sie ein festes Fundament, eine perfekte Symbiose, die das Ökosystem des Wattenmeers obendrein verbessert. „Eine Auster filtert und reinigt bis zu 240 Liter Wasser pro Tag“, sagte der Meeresbiologe.
Um den Bestand der „Wilden Auster“ macht man sich keine Sorgen. Dagegen fehlen in dieser Saison die Mengen für Nordsee-Krabben. „Schuld daran ist der Wittling!“, so Günter Klever, Vorstand der Erzeugergemeinschaft der Küstenfischer Tönnig, Eider, Elbe und Weser w.V. beim Kuttelgespräch. Der Wittling ist ein kabeljauartiger Fisch, der den Krabben-Bestand hier dezimiere. Das sei weder voraussehbar noch planbar. Dieses Jahr sei es besonders schlimm. Es gebe Krabben nur noch im flachen Küstenwasser, dort wo der Krabbenräuber nicht hinkomme.
Deutsche Krabbenfischer auf Nachhaltigkeitskurs
Insgesamt befinden sich derzeit 180 deutsche Krabbenkutter im MSC-Zertifizierungsverfahren. Durch die Zertifizierung der Fischer und der gesamten Lieferkette soll gewährleistet werden, dass Fisch mit dem MSC-Siegel weltweit lückenlos bis zu jeder Fischerei zurückverfolgt werden kann. In der Pressemitteilung vom Januar 2016 des Verbandes der deutschen Kutter- und Küstenfischer e. V. wird der Trend bestätigt: „Der Anteil der nachhaltig bewirtschafteten Nordseefischerei-Bestände steigt weiter an!“ Exemplarisch stehe dafür der Nordsee-Kabeljau, der im Laufe des Jahres die Schwelle zur vollständig nachhaltigen Befischung überschreiten würde. „Dadurch verbessern sich die Rahmenbedingungen der natürlichen Fischbestände weiter“, heißt es dort.
Die deutschen Krabbenfischer, so Klever, setzen ein Zeichen und wollen ihren Beifang minimieren, indem sie die Netzmaschenweite erhöhen – und zwar über das gesetzlich geforderte Maß hinaus: 2016 auf 22 Millimeter, 2017 auf 24 Millimeter und 2018 auf 26 Millimeter Maschenweite. Kleine Fische, aber auch kleine Krabben würden geschont. Der Einsatz von Sortiernetzen und eine begrenzte Fangzeit, 200 Tage im Jahr, sind weitere beispielhafte Maßnahmen, an die sich die Krabbenfischer halten. Damit nähme man den Druck vom Bestand, obwohl die Reproduktion der Nordsee-Krabbe sehr schnell ginge. „Eine Überfischung von Nordsee-Krabben gibt es an sich nicht!“, stellte Günter Klever fest.
Bild oben: Krabbenkutter fährt in den Hafen von Neuharlingersiel ein.
Krabbenpulen – zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen!
Der deutsche Krabbenfang beläuft sich jährlich auf etwa 11.000 bis 12.000 Tonnen. „80 Prozent des deutschen Fangs gehen nach Marokko, Polen und Weißrussland und werden dort von Hand gepult!“, so der Experte. Im Inland wäre das händische Pulen viel zu teuer, (Beispiel: 1 Kilogramm Krabbenpulen: 10,50 Euro in Deutschland / 6,50 Euro in Marokko). Ulrich Frohnmeyer vom Koordinationsbüro der Geschmackstage äußerte sich dazu: „Es wäre sehr zu wünschen, dass Nordsee-Krabben als hochwertiges regionales Produkt in viel höherem Umfang frisch und ohne Umwege direkt in der Gastronomie und beim Endverbraucher landen!“
Ein Drittel Krabbenfleisch, zwei Drittel Schale – wie aufwändig Krabbenpulen ist, konnten die Slow Food Gäste beim Kuttelgespräch selbst erfahren. Knapp eine Stunde dauerte das Pulen. Die Schalen verwertete Jens Witt, von Wackelpeter – ökologisches Essen für Kinder in Hamburg, zu einem Fond für seine ukrainische Soljanka-Suppe mit Sauerkraut vom Demeterhof Schoof aus Ditmarschen, Gemüsestreifen und Krabben. „Das säuerliche Kraut der Suppe und die süßen Krabben finde ich eine schöne Kombination!“, sagte der Slow Food Chef-Alliance-Koch. Als Vorspeise servierte Jens Witt die am Morgen „geerntete“ Wilde Auster vom Neuharlingersiel, gegart mit Olivenöl direkt aus dem Ofen, dazu frisch gebackenes Sauerteigbrot vom „Der Holzofenbäcker“ aus Kiel.
Bild oben: Verkostung von Nordseekrabben bei der Veranstaltung. Sie wurden mit Soljanka-Suppe serviert.
Text und Bilder: Rose Schweizer
Weitere Informationen:
Einladung zum vierten Slow Food Kuttelgespräch: Lust an Shrimps & Co?