Studie Monetarisierung externer Effekte in der Landwirtschaft
Industrielle Massentierhaltung: Der Preis ist zu hoch!
Was es mit den Folgekosten aufgrund von Antibiotikaresistenzen und Nitrat-/Stickstoffbelastung auf sich hat, das stellten die Wissenschaftler auf der Pressekonferenz am 15. September in München vor: "Bezüglich Antibiotikaresistenzen ist die Informationslage völlig unzureichend: Es gibt keine Meldepflicht, keine Transparenz: Wie viele mit multiresistenten Keimen aufgrund der Intensivtierhaltung Infizierte es tatsächlich gibt, kann niemand genau sagen – denn die Daten werden kaum erfasst", erläutert Paulina Simkin von der Universität Augsburg. Viele Infektionen bleiben unentdeckt, da für Risikogruppen mit landwirtschaftlichem Tierkontakt keine Untersuchung verpflichtend ist. Es war den Wissenschaftlern der Universität Augsburg nicht möglich, exakte Aussagen über die gesellschaftlichen Folgekosten von Antibiotikaresistenzen aus der industriellen Intensivtierhaltung zu treffen.
Im Bild oben: Rupert Ebner, Tierarzt und Mitglied im Vorstand von Slow Food München und Slow Food Deutschland, und Foodaktivistin Marlene Hinterwinkler von Slow Food München bei der Präsentation der Studie. | © Bernd Wackerbauer
"Antibiotika sollen Menschenleben retten – nicht Billigfleisch produzieren."
"Ein Skandal", findet Gerd-Ludwig Meyer, Humanmediziner und Mitbegründer der Initiative Ärzte gegen Massentierhaltung: "Factory Farming ist eines der größten Verbrechen in der Geschichte", titelte The Guardian vor einiger Zeit. Nach Veröffentlichung der letzten Verbrauchszahlen, insbesondere von Reserveantibiotika in der Massentierhaltung, stimme ich diesem Satz zu. Eine Zivilgesellschaft, die einen Kollateralschaden von 20.000 - 40.000 Toten als Preis für die Produktion von Billigfleisch toleriert, ist obszön und nicht mehr meine. Reserveantibiotika sind erfunden worden, um Menschenleben auf Intensivstationen zu retten und nicht, um Billigfleisch zu produzieren. Wir, die Ärzteinitiative gegen Massentierhaltung, fordern als erste Maßnahme ein sofortiges Verbot des Einsatzes von Reserveantibiotika in der Massentierhaltung!"
Auch beim Thema Nitrat-/Stickstoffbelastung gab es ein überraschendes Ergebnis: Den Berechnungen der Universität Augsburg zufolge ergeben sich für Deutschland allein durch die Nitrat-/Stickstoffbelastung externe Folgekosten von über 10 Milliarden Euro jährlich. Darunter fallen zum Beispiel die Kosten für die Reinigung des Trinkwassers oder Kosten des Gesundheitssystems durch Folgeerkrankungen. Dies ist, beispielsweise gemessen an der Bruttowertschöpfung der gesamten deutschen Landwirtschaft (17,40 Mrd. Euro in der Saison 2014/15), ein sehr großer Betrag.
"Ökonomischer Wohlfahrtsverlust durch Marktverzerrung"
Tobias Gaugler von der Universität Augsburg fasst zusammen: "Wenn die Folgekosten, insbesondere der konventionellen Nutztierhaltung, auch weiterhin unzureichend Eingang in die Preise finden, fördert das die Überproduktion sowie den Konsum hieraus resultierender Nahrungsmittel. Diese Form von Marktversagen lässt außerdem nachhaltig(er) erzeugte Lebensmittel teuer erscheinen und führt letztlich zu einem ökonomischen Wohlfahrtsverlust! Anders gesagt: Aus volkswirtschaftlicher Sicht handelt es sich um eine erhebliche Preis- und Marktverzerrung."
Laut Anita Idel, Tierärztin, Mediatorin und Lead-Autorin im Weltagrarrat, braucht es eine neue Vision des Landwirtschaftssystems, um diese negativen Folgen zu vermeiden: "Das Potential der Ökologisierung der Landwirtschaft ist noch weit größer! Aber jährlich fließen Millionen zur Schadensbegrenzung in die Forschung, die die weitere Intensivierung zementiert. Stattdessen gilt es, innovativ zu erforschen, wie Tiere aktiv in der Freilandhaltung zu einer natürlichen Düngung beitragen können. Genau so sind viele Böden entstanden!"
Im Bild oben: Die Tierärztin, Mediatorin und Lead-Autorin im Weltagrarrat Anita Idel sprach bei der Vorstellung der Studie. Idel engagiert sich auch bei Slow Food Deutschland, unter anderem als Mitglied in der Arche-Kommission. Die Arche des Geschmacks ist ein internationales Projekt der Slow Food Stiftung für Biodiversität. | © Andreas Schölzel
Die Studie im Überblick: "Monetarisierung externer Effekte in der Landwirtschaft"
Im Rahmen der Studie waren die Wissenschaftler der Frage nachgegangen, was Lebensmittel wirklich kosten. Denn die Preise, die Verbraucher bezahlen, spiegeln die wahren Kosten nur unzureichend wider. Soziale, gesundheitliche und ökologische (Folge-) Kosten der Nahrungsmittelproduktion sind in den aktuellen Marktpreisen oftmals nicht enthalten.
In der Augsburger Studie wurden zwei von mindestens einem Dutzend Folgekosten-Faktoren der konventionellen und ökologischen Landwirtschaft – Antibiotikaresistenzen und Nitrat-/Stickstoffbelastung – sowie ihre Auswirkung auf die Preisentwicklung von Lebensmitteln berechnet.
1. Multiresistente Keime: "Das bringt uns noch um" – und keiner tut etwas
Antibiotika zählen zu den wichtigsten Medikamenten auf der Welt. Durch fehlerhaften Einsatz können sich antibiotikaresistente Krankheitserreger bilden, gegen die keine Antibiotika mehr wirken. Ursache für die Resistenzbildung ist sowohl der Einsatz in der Human- als auch in der Tiermedizin – mit dem Unterschied, dass die Verabreichung von Antibiotika in der Tierhaltung vermieden bzw. drastisch reduziert werden kann, wenn die Rahmenbedingungen der Tierhaltung verändert werden – weg von industrieller Intensivtierhaltung hin zu artgerechter, Haltung: die Vorgaben der ökologischen Landwirtschaft weisen den Weg.
Im Fokus der Augsburger Studie stand das antibiotikaresistente Bakterium LA-MRSA, das seinen Ursprung beim Nutztier hat. Besonders betroffen davon sind Landwirte und Tierärzte, denn jeder vierte Mensch, der beruflich mit Schweinen und Hühnern zu tun hat, ist LA-MRSA-positiv. Das Risiko einer Erkrankung in Regionen mit hoher Viehbesatzdichte ist sogar acht Mal höher, als in Regionen mit durchschnittlicher Besatzdichte.
2. Nitrat-/Stickstoffbelastung: Nitrathaltige Düngemittel kosten Deutsche mindestens 10 Milliarden Euro
Bei der Düngung landwirtschaftlich genutzter Böden entstehen häufig reaktive Stickstoffüberschüsse, die dem Ökosystem, dem Klima und der Gesundheit des Menschen schaden. Die daraus resultierenden Kosten entstehen häufig erst zeitlich versetzt. Deshalb ist es schwierig, sie dem Verursacher des Stickstoffproblems zuzuschreiben, so dass sie der Allgemeinheit auferlegt werden. Den Berechnungen der Universität Augsburg zufolge ergeben sich für Deutschland durch den Stickstoffeintrag externe Folgekosten von über 10 Milliarden Euro jährlich. Darunter fallen zum Beispiel die Kosten für die Reinigung des Trinkwassers oder Kosten des Gesundheitssystems durch Folgeerkrankungen.
"Ökologisch erzeugte Lebensmittel sind volkswirtschaftlich billiger."
Auf die Lebensmittelpreise umgelegt, entspräche das einem Preisaufschlag von fast zehn Prozent für konventionell-tierische Lebensmittel; für biologisch-tierische Nahrungsmittel lägen die Mehrkosten bei nur vier Prozent. Die Studie nimmt nur zwei Faktoren der möglichen Folgekosten in den Blick. Bereits die Untersuchung dieser beiden Faktoren macht die Richtung deutlich: Würden alle negativen Folgen der industriellen Landwirtschaft für Mensch, Tier und Umwelt auf den Preis unserer Lebensmittel aufgeschlagen, würde das Preispendel sehr schnell zugunsten der ökologisch erzeugten Lebensmittel ausschlagen.
Stephanie Weigel vom Aktionsbündnis "Artgerechtes München" dazu: "Die Landeshauptstadt München ist mit ihren Kinderbetreuungseinrichtungen, Krankenhäusern und städtischen Institutionen, eigenen Kantinen und Großveranstaltungen Großverbraucherin. Sie hat großen Einfluss und damit auch große Verantwortung, sowohl was die Nachfrage anbelangt, als auch was die politische Signalwirkung angeht. In Kürze stehen zwei Stadtratsentscheidungen dazu an. Als Aktionsbündnis Artgerechtes München fordern wir, dass die Landeshauptstadt in ihrem Wirkungskreis nur noch Produkte aus artgerechter Tierhaltung zulässt!"
Quelle: Pressemitteilung von Artgerechtes München vom 15. September 2016
Mehr Informationen:
Slow Food Positionen zur Agrarpolitik
Slow Food im Aktionsbündnis "Artgerechtes München"