BMEL-Ernährungsreport 2017: Viel Getöse – worum eigentlich?
BMEL-Ernährungsreport 2017: Viel Getöse - worum eigentlich?
Das Jahr 2017 hat Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Christian Schmidt mit viel öffentlichkeitswirksamem Elan begonnen. Gleich in den ersten Tagen sorgte er mit drei Auftritten für mediale Aufmerksamkeit. Zunächst forderte er, veganen Produkten nicht mehr Bezeichnungen von Fleischprodukten zu geben, dann, in deutschen Schulkantinen wieder mehr Schweinefleisch auf den Tisch zu bringen und schließlich präsentierte er der Öffentlichkeit den Ernährungsreport 2017. Zum zweiten Mal hat der Minister das Meinungsforschungsinstitut Forsa beauftragt, rund 1.000 Bundesbürgerinnen und -bürger ab 14 Jahren zu ihren Einstellungen und Gewohnheiten zum Essen zu befragen. Der erste Ernährungsreport erschien vor einem Jahr im Januar 2016, darin enthalten sind die Umfrageergebnisse vom Oktober 2015.
Forsa wird sich gefreut haben. Aber auch der Minister hat sich wohl über die Studie gefreut, bestätigt sie ihm und anderen doch, dass seine Vorstöße, die auf der Bühne politischer Öffentlichkeit umstritten sind, von der Bevölkerung begrüßt werden. So begrüßt die Mehrheit der Befragten das Tierwohl-Label, das Verfallsdatum auf Lebensmitteln statt des Mindesthaltbarkeitsdatums, die flächendeckende Durchsetzung von Qualitätsstandards bei der Gemeinschaftsverpflegung junger Menschen und die Einführung des Schulfachs Ernährung – alles Lieblingsthemen der Schmidt’schen Ernährungspolitik, bei denen der Minister aber bislang relativ erfolglos blieb. Aber nun ist der wissenschaftliche Nachweis erbracht, dass dies alles im Sinne der Deutschen ist. Der Ernährungsreport verkommt damit zu einem Instrument populistischer Politik: Man nehme als Minister öffentliche Gelder und lasse sich damit bezeugen, dass das, was man bislang politisch nicht durchsetzen konnte, aber doch richtig ist.
Im Bild oben: Forsa-Chef Güllner (li.) und Bundesminister Schmidt (re.) bei der Präsentation des Ernährungsreports 2017 in der Bundespressekonferenz. | © Photothek Plambeck/BMEL
Informationen zur Umfragemethode fehlen
Auch die schriftliche Fassung des Ernährungsreports spricht eine deutlich populistische Sprache. Die knapp 30-seitige Broschüre mit vielen und großen statistischen Grafiken und wenig Text liefert ausschließlich die Grundauszählungen zu einer Reihe von Untersuchungsthemen. Informationen zur Stichprobe, Repräsentativität, Erhebungsverfahren, Menge und Größe der statistischen Einheiten, Formate der Items und Antwortkategorien usw. sind nicht zugänglich und verunmöglichen eine genauere Einordnung der Befunde. Wenn zum Beispiel mitgeteilt wird, dass 57 Prozent der Berufstätigen sich mittags mit Essen von Zuhause verpflegen, 21 Prozent in der Kantine essen, 15 Prozent in Bäckerei oder Imbiss, 5 Prozent im Restaurant und 18 Prozent gar nichts essen, dann addieren sich die Prozentwerte auf über 116 auf, was irritieren muss, solange eine Information zu den Antwortmöglichkeiten fehlt.
Der Report ist in seiner Einfachheit gut zugänglich für ein breites Publikum, aber eben auch wenig differenziert und seriös. Es kommt zu Simplifizierungen und Dramatisierungen, die fragwürdig sind. So werden leichte statistische Zahlenunterschiede im einstelligen Prozentbereich, deren Signifikanz zu bezweifeln ist, zu schwerwiegenden Differenzdiagnosen aufgebläht. Ebenso bedient man sich bei der Ergebnisdarstellung unsachgemäßer Säulendiagramme, die schwache statistische Unterschiede optisch größer erscheinen lassen.
Kommentierungen, Erläuterungen und die Einordnung der Befunde bleiben aus, sieht man von dem knappen Einleitungstext des Ministers ab, in dem er verspricht, dass er die im Ernährungsreport sichtbar gewordenen „Trends“ des Ernährungs- und Konsumverhaltens der Bevölkerung „aufnehmen“ wird und seine Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik so gestalten will, „dass sie auch in Zukunft Perspektiven für ein gutes Leben bietet“. Das klingt sympathisch, wirft aber eine Menge offene Fragen auf. Denn was sagen die Befunde letztlich aus und welche Politikmaßnahmen lassen sich ableiten?
Was macht das Ministerium mit den Ergebnissen der Umfrage?
Was fängt das BMEL denn mit den Befunden an, dass die große Mehrheit vegane Lebensmittel nicht für eine Modeerscheinung hält, dass sie bereit wäre, einen höheren Preis für Lebensmittel aus artgerechter Tierhaltung zu zahlen, oder dass mehr Frauen als Männer die schnelle und einfache Essenszubereitung bevorzugen? Ein Problem sind auch die ‚Container-Begriffe‘. Was bedeutet es z. B., wenn die Befragten sagen, dass ihr Essen schmecken und gesund sein soll, oder wenn sie angeben, wie oft sie wöchentlich kochen. Was verstehen sie in diesem Moment unter Kochen vor dem Hintergrund ihres individuellen Verpflegungsalltags? Gehört das Wärmen der Tiefkühlpizza oder anderer Fertigprodukte, die gut 40 Prozent der Befragten gerne mal essen, dazu? Welche Rolle spielt hier und auch bei vielen anderen Items die bekannte Neigung bei Befragungen, normativ Erwünschtes mitzuteilen?
Zu guter Letzt enthält der Report eine Reihe von Befunden, die in einer gewissen Spannung zueinanderstehen und es nicht so einfach machen, die in der Studie sichtbar gewordenen „Trends“ des Ernährungs- und Konsumverhaltens der Bevölkerung aufzugreifen, wie der Minister verspricht. So sind die Befragten einerseits zwar bereit, für Bio-Fleisch mehr zu bezahlen, andererseits achten sie aber beim Einkauf auf den Preis der Lebensmittel. Einerseits wird starkes Interesse am Tierwohl bekundet, andererseits ist aber die Fleischlust sehr groß. Einerseits wird die Distanz der Menschen zu ihrem Essen immer größer (nachlassendes Kochen, Neigung zu schnellem Essen, geringer Stellenwert von Markt und Hofladen als Einkaufsort, große Bedeutung von Internet und Siegeln als Informationsquellen zu Lebensmitteln), andererseits sind die Erwartungen an landwirtschaftliche Betriebe zu Tierwohl, Umweltschutz, fairer Entlohnung, betrieblicher Transparenz bei den Konsumierenden hoch. Einerseits wird gefordert, „Nachwuchs an den Herd“, andererseits wird aber nicht die Beteiligung von Schülerinnen und Schülern an der Verpflegungsarbeit in Schulen propagiert (danach wird offenbar auch gar nicht gefragt), sondern nur wieder das Schulfach Ernährung.
Fazit: ein belangloses Dokument
Sucht man nach Sinn und Zweck des Ernährungsreports 2017, stellt sich Ratlosigkeit ein. Als empirische Datenquellen wie auch als Dokument eines Politikprofils bleibt er belanglos. Was er schafft, ist öffentliche Aufmerksamkeit für Minister und Ministerium – für einen kurzen Moment, aber mehr auch nicht. Eine anhaltende, vitale, konsequente, auch kontroverse öffentliche Debatte dazu, welche Agrar-, Ernährungs- und Essenspolitik wir für „ein gutes Leben“ brauchen, wird er nicht anregen. Aber genau diese benötigen wir dringend.
Zur Autorin: Lotte Rose ist Professorin für Pädagogik der Kinder- und Jugendarbeit an der Frankfurt University of Applied Sciences und Mitglied der Kinderkommission von Slow Food Deutschland.
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