EU-Fischereipolitik: Auf dem Prüfstand – Ist das Ende der Überfischung in Sicht?

8.12.2017 – Slow Food Deutschland fordert im Schulterschluss mit anderen Organisationen die EU-Entscheidungsträger auf, dem rechtlich festgelegten Ende der Überfischung bis zum Jahr 2020 nachzukommen.

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Am 11. und 12. Dezember 2017 treffen sich die EU-Fischereiminister in Brüssel, um die zulässigen Gesamtfangmengen für Fischbestände in Nordsee und Atlantik für 2018 festzulegen. Dieser Beschluss wird darüber entscheiden, ob wir dem in der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) vereinbarten Ziel eines nachhaltigen Fischfangs bis 2020 näher kommen oder nicht.

Slow Food Deutschland hat im Vorfeld zu diesem Ministertreffen zu einem Expertengespräch in Berlin eingeladen. Wo stehen wir aktuell bei dem Versuch, bis 2020 nachhaltige Fanggrenzen konsequent umzusetzen? Was sind die ökonomischen, sozialen und ökologischen Vorteile, die Überfischung ein für alle Mal zu stoppen? Welche Beiträge kann und muss die Politik leisten? Diese Fragen sowie die Chancen und Fallstricke der im Dezember anstehenden Entscheidung wurden zwischen den anwesenden Gästen am 27. November diskutiert. Dafür steuerten Markus Salomon vom Sachverständigenrat für Umweltfragen, Ralf Döring, Thünen-Institut für Seefischerei und Ursula Hudson, Vorsitzende Slow Food Deutschland anregende Impulsreferate bei. Udo Bünnagel von der Landesvertretung Schleswig-Holstein hob die wirtschaftliche, kulturelle und touristische Bedeutung von Fisch in seinem Bundesland hervor, welches gleich mit zwei Küstenregionen gesegnet ist. Moderiert wurde das Gespräch von Nina Wolff, blue dot Politik für die Meere.

Bild oben: Am 27. November lud Slow Food Stakeholder ein, um das Thema Überfischung im Vorfeld der EU-Fischereiministerkonferenz im Dezember 2017 zu diskutieren.

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Die Gemeinsame Fischereipolitik – eine zukunftssichere Fischerei?

Im Jahr 2013 einigten sich die Entscheidungsträger in der Europäischen Union auf eine weitreichende Reform ihrer Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP). Diese verpflichtet die EU rechtsverbindlich, die Überfischung zu beenden. Ziel ist es, die Fischpopulationen schrittweise wiederaufzufüllen und oberhalb eines Niveaus der Biomasse zu halten, das den höchstmöglichen Dauerertrag ermöglicht. Um das zu verwirklichen, wird der Grad der Befischung, der den höchstmöglichen Dauerertrag ermöglicht, soweit möglich bis 2015, und unter allen Umständen schrittweise für alle Bestände bis spätestens 2020 erreicht. Das Ziel bis 2020 ist damit die fischereiliche Sterblichkeit auf MSY-Niveau (Maximum Sustainable Yield) zu senken.

Dies ist Voraussetzung für die Erholung der Fischbestände, den Schutz der marinen Ökosysteme sowie für die Steigerung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzen der Fischerei in der EU. Trotz des Inkrafttretens der reformierten GFP Anfang 2014 nimmt die Biomasse der Bestände zwar generell zu, eine Erholung ist jedoch noch lange nicht in Sicht. Nur bei wenigen Beständen wurde eine ausreichende Erholung oberhalb des Biomasseniveaus und damit auf MSY-Niveau festgestellt. Die Fangquoten werden durch die politischen Entscheidungsträger weiterhin zu hoch angesetzt: 2017 liegen 55 Prozent oberhalb der wissenschaftlichen Empfehlungen. Die derzeitige Situation vieler Bestände ist damit weiterhin kritisch und die aktuellen Entwicklungen schaffen nicht die notwendigen Voraussetzungen dafür, dass die EU die Überfischung bis zum Jahr 2020 beendet. Es sei denn, in den nächsten drei Jahren werden signifikante Änderungen konsequent umgesetzt. „Diese Bestandsaufnahme zeigt ganz deutlich, dass der Fischereirat die GFP-Ziele ernst nehmen muss“, betonte Dr. Markus Salomon vom Sachverständigenrat für Umweltfragen. „Es dürfen keine Quoten festgelegt werden, die dem Ziel des höchstmöglichen Dauerertrags widersprechen“, so Salomon weiter. Bis 2020 ist die Festlegung von Fanggrenzen oberhalb MSY an die Voraussetzung gebunden, dass eine ernsthafte Gefährdung der sozialen und wirtschaftlichen Nachhaltigkeit der betroffenen Fangflotten dargelegt werden kann. Danach darf es nach der rechtlichen Festlegung der Grundverordnung der GFP keinerlei Ausnahmen mehr geben.

Zu diesem Punkt wie allgemein ist eine mangelnde Transparenz der Entscheidungsfindung im Ministerrat zu beklagen: Größere Lücken in den EU-Fischereidaten, die von der Europäischen Kommission veröffentlicht werden, sowie mangelnde Transparenz des Verfahrens von EU-Kommission und Rat, mit dem die Fangquoten festgelegt werden, erschweren die Rückschlüsse auf den erzielten Fortschritt bei der Umsetzung der GFP. Die Entscheidungsträger können so nicht in die Verantwortung genommen werden.

„Um das Wohlbefinden der Meere und Ozeane sowie der von ihnen abhängigen Gemeinschaften zu gewährleisten, müssen die EU-Entscheidungsträger den Wandel konsequent umsetzen. Wissenschaftlich fundierte, nachhaltige Fanggrenzen im Einklang mit dem MSY müssen umgesetzt werden“, fordert Ursula Hudson zum Einstieg der Gesprächsrunde. „Hier geht es um die Einhaltung von Fristen, die in der EU-Gesetzgebung festgeschrieben sind. Und da hoffe ich für Mensch, Tier und Umwelt, dass die Verantwortlichen anstelle von Kurzschlussreaktionen in letzter Minute zu einem sehr viel klügeren Ende der Überfischung gelangen. Auch Mehrjahrespläne für einzelne Arten oder Meeresregionen müssen dafür auf den Weg gebracht werden“, so Hudson weiter. Unverzichtbare Voraussetzung hierfür ist die konstruktive Zusammenarbeit lokaler, öffentlicher und privatwirtschaftlicher Akteure mit Vertretern der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft, welche gleichwertig einbezogen werden, über regionale und nationale Grenzen hinaus. Werden Fischer von Beginn an in Verbesserungsstrategien für das Ressourcenmanagement eingebunden, so können sie die Umsetzung effizienter und rentabler ausführen. Einen solchen umfassenden Dialog plant Slow Food auch in Zukunft zu unterstützen.

Bild oben: Auf dem Podium saßen: Markus Salomon vom Sachverständigenrat für Umweltfragen, Ralf Döring, Thünen-Institut für Seefischerei, Nina Wolff von blue dot Politik für die Meere als Moderatorin, Udo Bünnagel von der Landesvertretung Schleswig-Holstein und Ursula Hudson, Vorsitzende Slow Food Deutschland (v.l.n.r.).

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Fischerei - ein Schlüsselthema für die Zukunft unseres Planeten und der Gesellschaft

Um Fischerei und Aquakultur so umzugestalten, dass sie umweltverträglich sowie wirtschaftlich und sozial tragbar sind, ist aus Slow-Food-Sicht die Förderung der handwerklichen Fischerei, die Vielfalt auf dem Teller sowie überregionale und globale Kooperation von zentraler Bedeutung. Es sind die handwerklich arbeitenden Fischer, welche die lokalen Ökosysteme und Bestände kennen. Sie verfügen über das Wissen, flexibel auf Änderungen in ihrer Region beispielsweise aufgrund des Klimawandels zu reagieren. Sie sind ein unverzichtbarer Faktor, wenn es um die Ernährungssicherheit in Küstenregionen geht. Die meisten Kleinfischer jedoch sind Zulieferer für Zwischenhändler, den Großhandel und Auktionen und haben wenig Einfluss auf Preismechanismen und die Wertschöpfungskette. Hier muss die Politik regulierend eingreifen, um die notwendigen Voraussetzungen für Direktvermarktung und Diversifikationsmaßnahmen zu schaffen. „Es ist eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, die Küstenfischerei langfristig zu erhalten. Diese leistet insbesondere an den Küsten einen Beitrag, der über den reinen Fischfang hinaus geht. In Zukunft sollten diese zusätzlichen Leistungen honoriert werden“, so Ralf Döring vom Thünen-Institut für Seefischerei.

Bild oben: Uwe Sturm von “Fisch vom Kutter” erläuterte die Bedeutung handwerklich arbeitender Fischer für die Küstenregionen.

Und wie steht es um die Vielfalt?

Es gibt über 25.000 genießbare Arten von Fisch. Davon werden weltweit aber nur rund 20 Arten verzehrt, was einen immensen Druck auf diese Fischbestände ausübt und dazu führt, dass Fische, die nicht nachgefragt werden und auf dem Markt nur wenig einbringen, als unerwünschter „Beifang“ tot ins Meer zurückgeworfen werden. Hier ist das in der GFP seit 2015 festgeschriebene „Anlandegebot“ für ausgewählte Fischereien in Ostsee, Nordsee und den nordwestlichen Gewässern ein Schritt in die richtige Richtung: Der Beifang muss an Land gebracht werden und kann dort allerdings nur zu Fischmehl und -öl weiterverarbeitet werden, womit wirtschaftliche Anreize vermieden werden. Die Einhaltung des Anlandegebots muss ebenfalls durch die Politik und Gesetzgebung deutlich besser kontrolliert, seine Weiterentwicklung vorangetrieben werden.

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Ursula Hudson rief zu konsequentem Handeln der EU auf, um der Überfischung ein Ende zu setzen.

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Christoph Hauser und Michael Köhle von Herz & Niere begeisterten die Gäste mit einem Mittagssnack aus nachhaltigem Fischfang.

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Unter anderem wurde Fisch mit Kürbis aus der Region garniert.

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Fischsuppe, zubereitet von Christoph Hauser, Herz & Niere.

Alle Bilder: © Slow Food Archiv

Der Termin klang bei einem gemeinsamen Mittagssnack aus. Christoph Hauser von dem Berliner Restaurant Herz & Niere bereitete Köstlichkeiten aus nachhaltiger Fischerei zu. Unter anderem gab es Fischsuppe mit Klößchen und gebeizter Lachsforelle.

Fischsuppe mit Klößchen und gebeizter Lachsforelle Fischfond:

ca. 1 kg Fischkarkassen, zu gleichen Teilen z. B. Karpfen, Lachsforelle, Scholle, Flunder, Steinbutt;
100 g Butter
4 Schalotten
100 g Lauch
1 Fenchel
150 g Tomaten
100 g Petersilienwurzel
4 Zweige Thymian
4 Zweige Rosmarin
3 Zehen Knoblauch
150 ml Weißwein
150 ml Anis wie Pernod
30 g Koriandersaat
30 g Anissaat
2 Lorbeerblätter
10 Pfefferkörner grün
50 g Crème frâiche
Estragon, Zitrone, Muskatnuss, Salz zum Abschmecken

Schalotten schälen, Lauch, Fenchel, Schalotten und Knoblauch in grobe Würfel schneiden und im Topf mit der Butter anbraten. Fischkarkassen mit einer Geflügelschere klein schneiden und im Ofen bei 150 Grad 30 Minuten rösten. Im Anschluss zum Gemüse in den Topf geben. Mit Weißwein und Anis ablöschen und Wasser dazu geben, bis alles bedeckt ist. Tomate in Würfel schneiden und mit den Gewürzen, Thymian und Rosmarin zum Fond geben. 1,5-2 Stunden langsam köcheln lassen, danach abpassieren. Den Fond nun auf ca. 400 ml einreduzieren. Mit Salz, Pfeffer, Zitronenabrieb und Muskatnuss abschmecken. Nach Wunsch mit Speisestärke abbinden. Vor dem Servieren mit Crème frâiche und gehacktem Estragon verfeinern.

Einlage:

Gemüseinlage:
1 Möhre
1 Petersilienwurzel (auch jedes andere Gemüse nach Geschmack)
Schälen, klein schneiden und in der Pfanne in Butter anbraten, würzen.

Klößchen:
200 g Karpfenfleisch ohne Haut
4 EL Semmelbrösel
3 Eigelb
gehackte Petersilie, Zitronenabrieb, Salz, Pfeffer zum Abschmecken

Karpfenfleisch im Fleischwolf fein zerkleinern und in eine Schüssel geben. Semmelbrösel und Eigelb zugeben und vermengen. Mit den Kräutern, Salz und Pfeffer abschmecken. Wasser aufkochen und salzen. Mit 2 Kaffeelöffeln kleine Klößchen formen und ins heiße Wasser geben. Nicht mehr Kochen sondern garziehen, am besten mit einem Klößchen ausprobieren: Wenn er zerfällt noch etwas Semmelbrösel zugeben.

Lachsforelle:
200 g Lachsforellenfilet ohne Haut Salz Lachsforelle in 4 gleichgroße Stücke schneiden. Die Filets mit 15 g Salz bestreuen und eine Stunde im Kühlschrank beizen.

Anrichten: Gemüseeinlage, Klößchen und die gebeizte Forelle in einen Suppenteller geben und mit der Fischsuppe auffüllen.

Rezept von Christoph Hauser, Küchenchef | Inhaber Herz & Niere Restaurant.

Weitere Informationen:

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