Klimawandel: Kühe sind keine Klimakiller
Klimawandel: "Kühe sind keine Klimakiller!"
20.10.2017 – "Nicht die Rinder an sich sind eine Gefahr für unser Klima", sagt die Veterinärin, Buchautorin und Slow-Food-Aktivistin Anita Idel im Interview. Viel mehr gelte: Der Klima-Killer ist immer der Mensch! Gefährlich ist das industrielle Agrarsystem – mit Zucht auf Höchstleistung, Lebensmitteln im Futtertrog, Gülle und synthetischem Stickstoffdünger.
Rinder können Gras verdauen und bei nachhaltigem Weide-Management die Böden und ihre Fruchtbarkeit sowie die biologische Vielfalt erhalten und fördern. So haben sie das Potenzial zum Klimaschützer auf der Weide.
Slow Food: Kühe sind Klimakiller, wird behauptet. Wie konnte unser Nutztier so in Verruf geraten?
Anita Idel: Tatsächlich rülpsen Kühe Methan, das 25-mal so relevant für das Klima ist wie CO2, während Geflügel, Schwein, Rind und Mensch ansonsten nur vergleichbar geringe Mengen an Methan pupsen. Seit Jahrzehnten führt unwissenschaftliches Design der Klimastudien zwangsläufig zu der Schlussfolgerung, Rinder seien Klima-Killer. Denn fast alle Studien messen nur Emissionen und dabei häufig nur Methan (CH4). Aber eine Rinderhaltung auf Spaltenböden und Beton statt auf der Weide stellt der Belastung der Atmosphäre durch Methan keine Entlastung durch Humusbildung mehr gegenüber. So ist der Klima-Killer immer der Mensch. Er verhindert, dass Rinder durch nachhaltige Beweidung zur Bildung von Humus und damit zur Speicherung von CO2 beitragen.
Seit mehr als zwei Jahrzehnten werden stattdessen Millionen für die Forschung ausgegeben, um ihnen – salopp formuliert – das (Methan-) Rülpsen abzugewöhnen. Hingegen verursachen weltweit Landnutzungsänderungen – Waldrodung und Grünlandumbruch – den größten Anteil am Klimawandel. Und innerhalb der Landwirtschaft bewirkt synthetischer Stickstoffdünger den Löwenanteil: Schon seine Herstellung, das Haber-Bosch-Verfahren, ist extrem energieaufwendig und setzt pro Tonne des benötigten Ammoniaks (NH3) circa fünf Tonnen CO2 frei. Den größten Beitrag der Landwirtschaft zum Klimawandel verursacht seine Anwendung auf dem Acker: Dabei entsteht Lachgas (N2O), das mehr als 300-mal so klimarelevant ist wie CO2. Freigesetzt werden jeweils zwei bis fünf Prozent – je mehr, desto verdichteter die Böden sind.
Rinder müssen dem Klima nicht schaden, sie können sogar zur Begrenzung des Klimawandels beitragen – wie das?
Auch in Europa liegen fruchtbarste Äcker auf Steppenböden. Denn wie die Prärie und die Pampa verdanken diese ihre enorme Fruchtbarkeit der jahrtausendelangen Ko-Evolution von Grasland und Weidetieren. Auerochsen besiedelten den Doppelkontinent Eurasien von der westeuropäischen Atlantikküste bis an die ostasiatische Pazifikküste – einschließlich Indien – und zudem Nordafrika. Um die weltweite Bedeutung von Dauergrasland zu verstehen, reicht es nicht, nur das oberirdische Wachstum wahrzunehmen; denn dann führt insbesondere der Vergleich mit Wald fast zwingend zu dem Glauben, Wald- und Ackernutzung seien grundsätzlich produktiver.
Die Kuh trägt zur Bodenfruchtbarkeit viel mehr bei, als Kot und Urin zu produzieren. Andere Pflanzen wehren sich gegen den sogenannten Verbiss, indem sie Bitterstoffe, Toxine oder Stacheln bilden. Aber das Gras benötigt die Kuh! Denn ohne Beweidung würde Gras erstens verbuschen und zweitens löst sie den nötigen Wachstumsimpuls und damit die CO2-Aufnahme durch Photosynthese aus. (Diese Effekte kann auch Mähen auslösen, nicht aber die Effekte hinsichtlich der biologischen Vielfalt.) Dauergrasland ist eine Permakultur mit besonders langer Vegetations- und CO2-Speicherperiode. Nicht nur der oberirdische, sondern auch der Zuwachs an Biomasse im Boden (Wurzeln) stammt überwiegend aus dem CO2 der Luft. Regenwürmer und andere (Mikro-)Organismen bilden dann aus verrottenden Pflanzenbestandteilen Humus: Die Wurzeln von heute sind der Humus von morgen. Er besteht zu mehr als der Hälfte aus Kohlenstoff. So entlastet jede zusätzliche Tonne Humus im Boden die Atmosphäre um 1,8 Tonnen Kohlendioxid (CO2). Und umgekehrt belastet jeder Schwund von Humus die Atmosphäre entsprechend mit CO2.
Und die Veganer – wie können sie ökologisch nachhaltig leben?
Tatsächlich verursacht die Massentierhaltung grenzenloses Tierleid sowie den größten Anteil der landwirtschaftlich bedingten ökologischen und klimatischen Schäden. Aber im Verzicht auf tierische Produkte liegt nur eine vermeintliche Lösung. Denn die Düngung der pflanzlichen Produkte erfolgt zu einem großen Teil mit der Gülle von Rindern und Schweinen oder Trockenkot von Hühnern aus der Massentierhaltung. Synthetischer Stickstoffdünger ist keine Alternative! Dieser weltweit wichtigste nicht tierische Dünger schädigt Gewässer, Bodenfruchtbarkeit, Gesundheit und das Klima. Bei seiner Ausbringung entsteht Lachgas (N2O), das mehr als 300-mal so klimarelevant ist wie CO2 und damit den größten Beitrag der Landwirtschaft zum Klimawandel darstellt.
Bio-Kompost ist ein wichtiger Dünger, aber nur in begrenzten Mengen verfügbar und deshalb eher im Gartenbau einsetzbar. Das größte vegane Potenzial liegt in der Wiederinwertsetzung menschlicher Exkremente. Am bekanntesten ist die fruchtbare Schwarzerde (portugiesisch: Terra Preta) der Inkas: Geschaffen vor 500 Jahren auf den nährstoffarmen Böden im Amazonasregenwald – aus ihren Exkrementen, Bioabfällen und Pflanzenkohle. Dieses „Rezept“ ist keine Ausnahme: ob seit Jahrtausenden in Asien, über Jahrhunderte im Wendland oder heute in Westafrika und im Botanischen Garten in Berlin. Neben den Tabus ist angesichts der Rückstände von antibiotisch und hormonell wirksamen Medikamenten die verbreitete Skepsis sehr verständlich. Aber mit traditionellem Wissen und der Wissenschaft des 21. Jahrhunderts können Mikroorganismen, diejenigen Lebewesen, die bisher noch alle(s) überlebt haben, letztlich alles abbauen, was wir eliminieren wollen.
Wie muss ein anderes, nachhaltiges Agrarsystem mit einer klimaschonenden Tierhaltung aussehen?
Um die wahren Kosten des kranken Agrarsystems wahrnehmen zu können, müssen sie internalisiert werden: Denn billig ist nur scheinbar billig und nachhaltiges Bio nur scheinbar teuer. Wir brauchen Potenzialentwicklung statt Schadensbegrenzung! Das übliche weniger vom Schlechten ist keine Lösung! Es ändert nicht die falsche Richtung, sondern verzögert nur den Niedergang. Die Tier- und Pflanzenzucht muss sich auf Gesundheit und Widerstandskraft fokussieren. Der Konsum tierischer Produkte muss auf das Potenzial der Landschaften abgestimmt sein, statt Nahrungskonkurrenz zum Menschen zu verursachen.
Zur Düngung gilt es, tierische und menschliche Exkremente wieder in Wert zu setzen – mit Strohmist und Trockentrenntoiletten. Böden, die zum Ackern zu steinig, zu steil, zu trocken oder zu nass sind, bieten mit nachhaltiger Beweidung riesige Potenziale für die Lebensmittelversorgung und bestäubenden Insekten Lebensraum. Nachhaltig genutzte Weidelandschaften sind eine überlebenswichtige Ressource für die biologische Vielfalt und die Grundwassererneuerung. Zudem ist temporäre Beweidung der Schlüssel, um die Fruchtbarkeit von Ackerböden zu erhalten und erodierte Ackerböden wieder zu revitalisieren.
Meine Vision: Optimieren! Statt mit Konkurrenz und Monokulturen die Mengenleistung von Pflanzen und Tieren zu maximieren. Ob (Mikro-)Organismus, Pflanze, Tier oder Mensch: Win-win durch Kooperation zwischen den Bewohnern von Landschaften ist die Chance und Herausforderung in der Forschung und Praxis für Ernährungssouveränität im 21. Jahrhundert. Ob vegane, vegetarische oder omnivore Lebensweise: Nachhaltiger Konsum durch Denken und Handeln in fruchtbaren Landschaften.
Anita Idel
Anita Idel ist Tierärztin, Mitglied der Arche-Kommission von Slow Food Deutschland und Mediatorin in den Spannungsfeldern Landwirtschaft und Tierschutz sowie Landwirtschaft und Naturschutz. Außerdem ist sie als Lehrbeauftragte, Projektmanagerin und Beraterin für die Ökologisierung der Land(wirt)schaft tätig. Zu ihren herausragenden Leistungen als Autorin gehören der Schweisfurth-Forschungspreis 1993 für ihr Buch „Gentechnik, Biotechnik und Tierschutz“, ihr Beitrag als Lead-Autorin am UN-Weltagrarbericht (IAASTD) (2005 bis 2008) sowie der Salus-Medienpreis 2013 für ihr Buch "Die Kuh ist kein Klima-Killer! Wie die Agrarindustrie die Erde verwüstet und was wir dagegen tun können", 6. Auflage 2016.
Idel ist Mitbegründerin der Arbeitsgemeinschaft Kritische Tiermedizin AGKT (1982), des Gen-ethischen Netzwerks GeN (1986); der Gesellschaft für Ökologische Tierhaltung GÖT (1991), des Conseil Mondial des Elveurs (CME 1997) und des Forums für verantwortbare Landwirtschaft (2012). Ihre besonderen Interessen gelten der Kultur(Geschichte) des Mensch-Tier-Verhältnisses und der Bedeutung nachhaltiger Nutzung von Tieren unter der Devise „Denken und Handeln in fruchtbaren Landschaften“.
Bild oben: Anita Idel mit Rindern. | © Andreas Schoelzel
Mehr Informationen:
Publikationen unserer Partner: "Die Kuh ist kein Klimakiller!" von Anita Idel
Salus-Medienpreis geht an die Autorin Anita Idel (10.10.2013)
Slow Thema: Tiere in der Landwirtschaft
Vom 29. September bis 31. Dezember 2017 läuft die internationale Slow-Food-Kampagne „Menu for Change – mit Genuss und Verantwortung gegen den Klimawandel“. Mehr über die Kampagne und die Mitmach-Aktionen finden Sie unter Menu for Change