Orangewein: Das Ende der nassen Socken
Der Wind hat sich gedreht. Als sich in diesem Frühjahr 20 Weinjournalisten in Nierstein über ein Verkostungspanel von Orangeweinen aus vier deutschen Anbaugebieten hermachten, hörte man zwar immer noch die üblichen Tiraden – „nasse Socken“, „Sauerkraut“, „Gammelwein“ –, aber am Ende war der Respekt vor dem neuen Terrain, das die Winzer seit einigen Jahren ausloten, doch größer als die Lust auf Hohn und Spott. Die Akzeptanz für maischevergorene Weißweine, so die Definition von Orangeweinen, steigt bei Kunden und Journalisten.
Bei den Sommeliers sind sie sowieso die Lieblingskinder, weil sie vom üblichen Standard-Weißwein abweichen und eine eigene Geschichte zu erzählen haben. Inzwischen scheint auch bei den „Gegnern“ der Orangeweine klar zu sein, dass Experimentierfreude eher zu den Tugenden zählt. Genau diese Lust am Ausprobieren war in der Weinbranche immer wieder Ausgangspunkt für interessante Entwicklungen. Als Anfang der 80er Jahre in Deutschland die ersten Weine ins kleine Holzfass (Barrique) gelegt wurden, war das Gegrummel zunächst ähnlich heftig. Die als „Holzsäfte“ verschrienen Weine mit ihren „Schreinereiaromen“ wurden zudem regelmäßig von der offiziellen Weinprüfung abgestraft und mussten als schnöder Tafelwein verkauft werden. Heute sind sie auch bei uns ein unverzichtbarer Bestandteil der Weinpalette.
Bild oben: Maischevergorener neuer Weißwein – der Orangewein.| © Bayerische Landesanstalt für Wein und Gartenbau
Die Weinprüfer zeigen sich gnädig
Beim Orangewein erhalten inzwischen immer mehr Gewächse bei der Weinprüfung eine AP-Nummer, sie werden damit als Qualitätswein amtlich anerkannt. Fast ein Jahrzehnt, nachdem in Deutschland die ersten orangefarbenen Weißweine auf die Bühne traten, hat ein Prozess der Normalisierung eingesetzt. „Viele Winzer befinden sich zwar noch in der Experimentierphase, aber das wird sich einspielen; lasst doch mal die Sturm- und Drangzeit vorübergehen, dann sehen wir, was am Ende dabei herauskommt“, rief Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut, der die Niersteiner Verkostung leitete, den versammelten Journalisten zu.
Für Helmut Gote, den bekannten Kölner Weinjournalisten, ist Orangewein „sicher kein normaler Wein und deutlich überhypt“, aber: „Er hat einen positiven Einfluss auf das generelle Weingeschehen.“ So gehören kurze Maischestandzeiten bei Weißweinen heute bei immer mehr Winzern zum ganz normalen önologischen Besteck. Die Moste müssen ja nicht gleich monatelang auf der Maische liegen wie bei den Orangeweinen. Schon ein paar Stunden reichen aus, um zusätzliche Aromen aus den Schalen heraus zu kitzeln. Auch die Säure kann durch den Maischekontakt und die damit intensivierte Kaliumextraktion etwas gepuffert werden.
Der „Eingeborene“ ist ein guter Novizenwein
„Indigenius“, der Ursprüngliche oder Eingeborene, heißt einer der beiden Orangeweine vom fränkischen Weingut Rothe in Nordheim. Manfred Rothe produziert diesen Wein seit 2011 aus der Rebsorte Silvaner. Nach der Oktoberlese wird der abgepresste Saft gemeinsam mit Schalen und Kernen vier Wochen lang maischevergoren. Nach der Gärung bleibt die Maische noch eine weitere Woche in der offenen Bütte stehen. Erst danach werden flüssige und feste Bestandteile getrennt und der Silvaner zieht um ins Große Holzfass, wo er ein ganzes Jahr lang reift und sich harmonisiert.
Der Indigenius ist eine gute Einstiegsdroge für Orangewein-Novizen. Er ist zwar alles andere als ein süffiges Kuscheltier, aber auch kein Extremwein, der sich so stark vom üblichen Geschmacksbild entfernt hat, dass ein Schluck schon zur Mutprobe gerät. Die leicht adstringierenden Gerbstoffe sind sicher gewöhnungsbedürftig, die Aromen von gelben Früchten, Nüssen und Kräutern bewegen sich aber innerhalb eines normalen Weißweinprofils. Vor allem ist der Wein sauber gemacht. Rothe: „Am Ende muss etwas im Glas sein, das Spaß macht, wir wollen niemand überfordern.“
Die Bezeichnung Orangewein oder Naturwein dürfe jedenfalls keine Ausrede sein für Weinfehler, sagt Michael Zänglein, Chefönologe an der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau in Veitshöchheim. Dumpfe und muffige Töne, Uhu- und Lacknasen, Überoxidation oder ein Mäuseln seien keine typischen Charaktereigenschaften maischevergorener Weine, sondern schlicht das Ergebnis unsauberer Arbeit. Auch starke Bitternoten sind kein Muss. Die hohe Dosis an teilweise bitteren Phenolen – das sind pflanzliche Inhaltsstoffe, die während der Maischezeit aus Schalen und Kernen in den Most wandern – können durchaus gebändigt und harmonisiert werden.
Bild oben: Auch Orangewein muss Spaß machen: Frankenwinzer Manfred Rothe will niemand überfordern. | © Weingut Rothe
Nach neun Monaten Maischezeit ab ins kühle Grab
Schon 2006 begannen an der Landesanstalt erste Versuche mit Orangewein, seit 2011 werden sie regelmäßig abgefüllt. Die Maischezeit von anfangs sechs Monaten wurde inzwischen auf neun Monate ausgedehnt. Zusätzlich vergären die Weine in großen tönernen Amphoren (Kvevri), die nach georgischem Vorbild in der kühlenden Erde vergraben werden. Jetzt, zur Jahresmitte, werden die Amphoren geleert und der Wein wird in Flaschen gefüllt.
Für Zänglein ist die orangene, die vierte Farbe des Weins eine echte Bereicherung. Orangeweine seien gute Essensbegleiter, sagt er, sie hätten vor allem „ein unglaubliches Entwicklungspotenzial“. Inzwischen würden sich immer mehr Weintrinker mit ihnen anfreunden, die Umsätze steigen. Dass sie „richtig Asche kosten“, wie es ein Teilnehmer des Nierstein-Seminars formulierte, soll nicht verschwiegen werden. Die Preise der Weine aus dem Testpanel lagen zwischen 25 und 40 Euro. Der zusätzliche Aufwand und die nicht eben billigen Amphoren treiben die Preise.
Zängleins Landesanstalt dürfte mit daran schuld sein, dass Franken heute zu den führenden Anbaugebieten in Sachen Orange zählt. Die Studierenden, die in Veitshöchheim mit der neuen Weinbereitung konfrontiert werden, probieren es zuhause gleich mal aus. Ein anderer Grund ist die Rebsorte Silvaner. Die „gutmütige“ fränkische Hausrebe hat erstens Charakter und eine dicke Haut und sie ist zweitens weniger fäulnisanfällig und damit gut geeignet für Maischestandzeiten. Die Trauben müssen nämlich vollkommen gesund sein, selbst minimale Fäulnis würde durch den langen Kontakt der Schalen mit dem abgepressten Most den Wein verderben. Merke: Wer maischevergorenen Weißwein produzieren will, braucht – genau wie bei der Rotweinherstellung – kerngesundes, aber auch voll ausgereiftes Lesegut, nur die besten Trauben sind geeignet.
Die hohe Reife mit entsprechendem Zuckergehalt ist nötig, weil der Wein auf der Maische etwas Alkohol verliert. Inzwischen haben die deutschen Winzer Orangeweine auch als Verschnittpartner entdeckt. Warum nicht dem „normal“ ausgebauten Silvaner, Chardonnay oder Weißburgunder eine kleine Dosis aus der Amphore mit auf die Reise geben? Im besten Fall bekommt der Wein so mehr Komplexität und Individualität, mehr Struktur und eine längere Haltbarkeit. Bleibt die zugesetzte Verschnittmenge klein, probiert sich der Wein gewohnt geschmeidig, wird sie erhöht, erhält der Tropfen mehr Gripp und ein paar Ecken und Kanten, die ihn herausheben aus dem üblichen Angebot. Der Weinmacher kann gut damit spielen.
Bild oben: Ganz schön aufwändig – in der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau in Veitshöchheim wird eine Amphore in der kühlen Erde vergraben. Hier hat der Orangewein sein neues Zuhause. | © Bayerische Landesanstalt für Wein und Gartenbau
Ein großes Glas und bitte nicht zu kalt
Beim Trinken der Orangeweine sollten ein paar Regeln eingehalten werden. Zunächst: Der Tropfen darf nicht zu kalt serviert werden. Zehn, elf Grad sind besser als die kühlschranktypischen sechs bis sieben Grad, sonst treten die Gerbstoffe zu aggressiv hervor. Auch das Dekantieren wird von vielen Winzern empfohlen. Nach einigen Stunden kann man den Wein wieder zurück in die Flasche füllen und auf die Serviertemperatur herunter kühlen.
Außerdem gilt: Ein großes Rotweinglas bringt die Aromen besser zur Geltung als ein Weißweinglas. Wer die Flasche nicht gleich austrinkt, wird erstaunt sein, wie lange sich viele Orangeweine frisch halten. Nach vier, fünf Tagen im Anbruch probieren sie sich oft noch interessanter und komplexer. Die Orangewein-Kundschaft, die teilweise weite Wege in Kauf nimmt, um zu den einschlägigen Anbietern zu reisen, ist übrigens, nach Aussagen der Winzer, jünger und selbstbewusster als die üblichen Weintrinker. Mit Vergnügen registrieren die Anhänger, dass der übliche Weinsprech beim Beschreiben der neuen Gewächse mit ihrem ungewöhnlichen Bukett nicht mehr richtig funktioniert. Es sind eben Weißweine, die eher Rotweincharakter haben. Und mit Begriffen wie „stark phenolischer Auftritt“ kommt man ihnen aromatisch erst recht nicht auf die Schliche.
Die Weinjournalisten in Nierstein schnüffelten jedenfalls an den Orangenen deutlich länger herum als an allen anderen Weinen, die serviert wurden. Das eine oder andere „Sensationell-wie-der-hier-duftet“, war unüberhörbar. Auch wenn man nicht immer wusste, ob es Begeisterung oder schieres Entsetzen war.
Dieser Artikel ist im aktuellen Slow Food Magazin 5/2017 mit dem Titelthema Wein erschienen. Im Dossier des Hefts zum Wein finden Sie noch weitere spannende Artikel zum Thema.
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