Slow Food Kommentar: Was die neue Bundesregierung für das Klima tun muss!
Fakt ist, dass die vollmundigen Zusagen und die politische Realität der vergangenen Großen Koalition skandalös weit auseinanderklafften. Mit Sicherheit wird Deutschland sein CO2-Ziel für 2020 – eine Reduktion der Treibhausgase um 40 Prozent gegenüber 1990 – krachend verfehlen. Mit Zähnen und Klauen haben die angebliche Klimakanzlerin und ihr SPD-Koalitionspartner in der vergangenen Legislaturperiode die Braun- und Steinkohleverstromung verteidigt und bei rund 40 Prozent im Energiemix gehalten.
Industrielle Landwirtschaft – der Klimakiller schlechthin
Der Ausbau der Solarenergie ist eingebrochen, und auch der Windenergie wurden existenzgefährdende Flautejahre verordnet. Besonders fahrlässig agierte die Große Koalition in der Agrarpolitik. Die Landwirtschaft ist einer der größten Klima- und Umweltsünder überhaupt. Sie verursacht rund 40 Prozent der Kohlendioxidemissionen und den größten Anteil des Feinstaubs in Deutschland. Vergüllung, Nitratverseuchung, Artensterben oder Antibiotika-Missbrauch: Die bei uns vorherrschende Form der industriellen Landwirtschaft schadet Mensch, Tier und Natur.
Deutschland verstößt auch hier gegen seine Verpflichtungen. So eklatant, dass es jetzt von der EU auf Einhaltung der Vorgaben für Grundwasser- und Gewässerqualität verklagt wurde. Ähnlich bei der tödlichen Feinstaubbelastung in den Städten: Hier müssen die Bürger den mühsamen Weg über die Amtsgerichte gehen und die Abhilfe per Urteil erzwingen.
Die industrielle Ausbeutung von Boden und Tier ist vielerorts zu einem beherrschenden Wirtschaftszweig geworden. Wer sich einmal die Zeit nimmt und durch die schier endlosen Maislandschaften Niederbayerns fährt oder die düsteren Tierfabriken im Norden Deutschlands besucht, bekommt ein Gefühl für dessen Potenz. Die Agrarindustrie ist eine ökonomische Supermacht. Gegen ihre superschädlichen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt mochte Landwirtschaftsminister Schmidt nur wenig unternehmen.
Subventionen – teurer Witz auf Kosten der Steuerzahler
Klimaschutz, ja bitte! Und das Wohl der Tiere noch dazu. Schade nur, dass diese Themen im Bundestagswahlkampf 2017 so gut wie keine Rolle gespielt haben. Dabei böte sich der kommenden Regierung eine Chance, Großes zu leisten. Zum einen steht nach dem Brexit das gesamte Agrarbudget der Europäischen Union auf dem Prüfstand. Ohne die Briten fließt erheblich weniger Geld in Brüssels Kassen. Zum anderen signalisiert Präsident Macron in Frankreich, dass er gemeinsam mit Deutschland eine grundlegende Reform der Union anstrebt – und zu Kompromissen bereit ist.
Auch bei der Agrarpolitik? Die bisherige Subventionspraxis in der Landwirtschaft ist ein Relikt aus den Anfängen der Europäischen Einigung. Wer mehr hat, bekommt mehr. Dies ist ein teurer Witz auf Kosten der europäischen Steuerzahler. EU-Gelder darf es nur noch geben, wenn landwirtschaftliche Erwerbsprojekte das öffentliche Gemeinwohl in den Bereichen Umwelt-, Klima- und Tierschutz fördern. Hierzu gehören Flächenstilllegungen im großen Stil. Zwischen acht und zehn Prozent des landwirtschaftlich genutzten Bodens in Deutschland könnten naturnah brachfallen, ohne dass die Ernährung der Bevölkerung gefährdet wird.
Ökologische Kreislaufwirtschaft – Gebot des Klimaschutzes
Dies wäre ein substanzieller Beitrag für den Artenschutz bei Wildpflanzen und -tieren. Und mehr noch: Die Böden dieser Welt sind der größte terrestrische Kohlenstoffspeicher. Doch seit Beginn der Landwirtschaft vor etwa 12 000 Jahren wurden weltweit rund 130 Milliarden Tonnen Kohlenstoff aus den oberen zwei Metern der Bodenschicht freigesetzt. Leider unterstützen die EU-Subventionen die ungebremste Fortsetzung dieser Atmosphärenschädigung durch den Menschen.
Die Nutztierhaltung muss im Sinne von Klimaschutz und Tierwohl auf Weidehaltung und artgerechte Stallunterbringung umgestellt werden.Förderungswürdig ist eine ökologisch ausgerichtete Kreislaufwirtschaft. Nach Vorbild des europäischen Biosiegels sollte zudem ein verbindliches Tierwohl-Label eingeführt werden, gültig für alle tierischen Lebensmittel und verbunden mit der Einführung eines robusten Kontrollsystems.
Regionale Erzeugung – Förderung guter, fairer und sauberer Praktiken
Slow Food fordert eine radikale Wende in der Agrarpolitik. Zukunftsfähig wirtschaften und nachhaltig produzieren ist gleichbedeutend mit der Verankerung guter, sauberer und fairer Praktiken in der Lebensmittelherstellung. Dies betrifft uns schließlich alle, denn Essen ist eine politische Handlung. Wie wir unsere Nahrung erzeugen, hat Konsequenzen: Dreimal am Tag finden wir sie auf dem Teller vor. Die Förderung der regionalen Erzeugung und Versorgung auf Basis einer kleinteiligen Landwirtschaft löst die Probleme, die vor Jahrzehnten aufgrund falsch gestellter Weichen verschuldet wurden.
Selten waren die Umstände so günstig, das Projekt der Wende europaweit in Angriff zu nehmen!
Dieser Kommentar von Ursula Hudson ist im aktuellen Slow Food Magazin 5/2017 erschienen.
Foto: © Holger Riegel
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