95 Thesen für Kopf und Bauch: Zukunftsfähige statt agrarindustrielle Systeme ernäh-ren die Welt

16.5.2018 – Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „95 Thesen für Kopf und Bauch“, der kritischen Streitschrift für die "Reformation" unserer Ernährungswelt von Slow Food Deutschland e. V. und Misereor, fand am 10. Mai ein interkultureller Austausch in Münster statt. Von Sharon Sheets.

95 Thesen für Kopf und Bauch: Zukunftsfähige statt agrarindustrielle Systeme ernähren die Welt

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Bei „Bauer trifft Bauer“ traf der tansanische Kleinerzeuger und Convivienleiter von Slow Food Kilimanjaro, Frank Ademba, auf Jörg Schulze Buschhoff vom Gut Schulze Buschhoff. Gemeinsam mit der Slow Food Deutschland Vorsitzenden Ursula Hudson sowie Hermann Rupp von Misereor diskutierten sie, vor welche sozialen, kulturellen und ökologischen Herausforderungen die Agrarkonzerne die Lebensmittelproduktion stellt und wie eine zukunftsfähige Lebensmittelproduktion aussehen kann.

Wenn wir die Art, Lebensmittel zu erzeugen und zu konsumieren, zukunftsfähig gestalten wollen, geht kein Weg daran vorbei, sich mit den gegebenen globalen Verwobenheiten und Zusammenhängen zu beschäftigen. Denn durch das Exportaufkommen der Industrienationen und die Produktion von Lebensmitteln für den hiesigen Konsum beeinflussen wir die Produktionsbedingungen sowie ökologischen und ökonomischen Gegebenheiten in Drittländern. Ein interkultureller Austausch mit Erzeugern und Entscheidungsträgern aus dem globalen Süden ermöglicht, aus erster Hand zu erfahren, welche Hindernisse der Umsetzung eines nachhaltigen Lebensmittelsystems dort im Wege stehen. Slow Food Deutschland und Misereor nutzten den Besuch von Frank Ademba aus Tansania (Slow Food International Ratsmitglied, Leiter von Slow Food Kilimanjaro, Tanzania National Committee for Family Farming) anlässlich des Katholikentages 2018, um mit ihm über das globale Lebensmittelsystem ins Gespräch zu kommen. Während der Diskussion wurde erläutert, wie Agrarkonzerne aus Profitgründen nicht nur Lebensmittel sondern auch das agrarindustrielle Modell in Länder des globalen Südens "exportieren" und dabei einen enormen Schaden an Umwelt und den lokalen Produktionsbedingungen anrichten.

Bild oben: Hofführung mit Jörg Schulze Buschhoff

Tansania: Ernährungssouveränität und Umwelt zunehmend durch die Agrarindustrie beeinträchtigt

Frank Ademba aus Tansania beschrieb zu Veranstaltungsbeginn die aktuelle Lage der Landwirtschaft in Tansania. 80 Prozent der Bevölkerung leben in ländlichen Regionen und sind auf die Landwirtschaft angewiesen – zur Selbstversorgung sowie als Einnahmequelle. Beides sei dadurch gefährdet, dass Agrarkonzerne versuchen den Lebensmittelmarkt immer mehr zu dominieren, indem sie über immer mehr Land verfügen, welches sie industriell und unter Einsatz von Pestiziden bearbeiten.

Ademba berichtete, dass Agrarkonzerne in Tansania und in vielen weiteren afrikanischen Ländern den Markt zunehmend mit ihren Produkten wie Saatgut und Pestiziden überfluten. Mit dem Vorwand höherer Erträge versuchen sie Kleinerzeuger davon zu überzeugen, auf konventionelle Systeme umzusteigen und ihre Produkte zu kaufen. „Indem die Agrarindustrie kontrolliert was angebaut und gegessen wird, kontrolliert sie vor Ort auch die Menschen. Außerdem schaden Großkonzerne weltweit unter dem Vorwand der Welternährung der Umwelt und zerstören Ökosysteme. Die Kleinerzeuger sind dagegen die Lösung im Kampf gegen den Hunger, da sie respektvoll mit den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen umgehen und wohl in der Lage sind die lokale Bevölkerung zu ernähren. Sie sind es, die die Welt ernähren“, so Ademba. In ihnen sieht er die Zukunft der Ernährung, denn sie setzen auf Vielfalt, Fruchtfolgen und schaden nicht der Umwelt.

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Das agrarindustrielle Modell ist nicht zukunftsfähig

Möchte man den Hunger bekämpfen und die natürlichen Ressourcen erhalten , so dass mit ihrer Hilfe auch künftig noch eine Lebensmittelversorgung möglich ist, dann ist das agrarin-dustrielle Lebensmittelsystem nicht das Richtige. „Die Agrarkonzerne propagieren mit dem Vorwand der Welternährung ein industrielles Lebensmittelsystem, das durch den Einsatz von Chemiekeulen und Hybridsaatgut höhere Erträge erzeugt. Verschwiegen wird jedoch, dass diese Art der Bewirtschaftung, die auf Monokulturen und Chemikalien setzt, Böden unfrucht-bar macht, Gewässer verunreinigt, den Klimawandel vorantreibt und Ökosysteme zerstört. Auch wenn die Großkonzerne ihr Handeln damit begründen, den Welthunger bekämpfen zu wollen, ist längst bewiesen, dass sie das in keinster Weise tun. Im Gegenteil, die Ernährungs-sicherheit sinkt und gefährdet die Lebensgrundlage der Kleinerzeuger vor Ort, deren Arbeit durch auf wenig Arbeitskraft setzende Großbetriebe überflüssig wird. Der zentrale Knackpunkt dabei ist, dass wir nicht mehr Essen produzieren müssen, denn schon jetzt werden genügend Kalorien für alle produziert, diese werden aber nicht gerecht verteilt und viele davon werden einfach verschwendet“, so Ursula Hudson.

Bild oben: Mobiler Hühnerstall auf Gut Schulze Buschhoff

Kleinerzeuger ernähren 70 Prozent der Weltbevölkerung auf vorbildliche Weise

Die Diskussionsrunde zum Thema Welternährung machte deutlich: wir müssen nicht nur darauf schauen, wie viel wir produzieren, sondern vor allem wie wir Lebensmittel erzeugen. Nur eine ökologisch nachhaltige Erzeugung, regionale Wertschöpfungsketten und ein erhal-tender Umgang mit den natürlichen Ressourcen wie Wasser und Boden ermöglicht die Welternährung, jetzt und vor allem in Zukunft. In diesem Kontext machte Hudson die Bedeutung von Kleinbauern für die Welternährung im Kampf gegen den Hunger deutlich: „Wir dürfen nicht vergessen, dass noch heute 70 Prozent unserer Lebensmittel von Kleinerzeugern produziert werden und dafür nutzen sie nur 30 Prozent der für die Landwirtschaft zur Verfügung stehenden Flächen. Die Agrarindustrie erzeugt nur 30 Prozent der Nahrung weltweit, verbraucht aber zum Beispiel 70 Prozent des weltweit verfügbaren Süßwassers und der Landressourcen. Das ist nicht zukunftsfähig. Menschen im globalen Süden werden entrechtet, sicher versorgt wird nur ein geringer Teil der Weltbevölkerung“.

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Umwelt und Welternährung profitieren von einer zukunftsfähigen Landnutzung

Hermann Rupp, Referent für Ernährungsfragen bei Misereor, hob hervor, dass Nachhaltigkeit in Bezug auf Landwirtschaft in Zeiträumen von Jahrhunderten und nicht von nur wenigen Jahren oder Jahrzehnten betrachtet werden muss: „Die industrielle Landwirtschaft kann angesichts der Folgeschäden, die sie nach sich zieht, einen solchen Zeithorizont nicht bieten. Landwirtschaft war bis vor einigen Jahrzehnten originär ökologisch ausgerichtet. Mangels umfänglicher Forschung in diesem Bereich werden ihre Potenziale jedoch nur unzureichend ausgeschöpft. So werden aktuell mehr als 99,6 Prozent der weltweiten Agrarforschung in konventionelle, agrarindustrielle Lösungen investiert und nur weniger als 0,4 Prozent in eigens auf die biologische Landwirtschaft zugeschnittene Lösungen. Allein diese Zahlen lassen vermuten welche Potenziale in einer auf ökologische Nachhaltigkeit ausgerichteten Landwirt-schaft schlummern. Eine Reihe von Beispielen zeigen zudem bereits, dass Biolandwirtschaft nicht nur nachhaltiger ist, sondern auch die Erträge von konventionellem Hochertragsanbau durchaus erreichen oder auch übertreffen können. Entsprechend lässt sich ganz klar sagen, dass die ökologische Landwirtschaft nicht nur die Welt ernähren kann, sondern auch langfristig alternativlos ist“, so Rupp.

Während der Diskussion kam auch Gastgeber Jörg Schulze Buschhoff zu Wort, der seine Vision für eine zukunftsfähige Landwirtschaft darlegte: „Wichtig ist, dass wir bodenschonend arbeiten, dass wir möglichst regional produzieren und auch verkaufen. Darüber hinaus geht es darum, dass wir fair mit unseren Mitarbeitern umgehen, dass wir vernünftig mit dem Land sowie verantwortungsbewusst mit den Ressourcen umgehen“, so Buschoff. Diese Vision hat auch Slow Food Deutschland und setzt sich deshalb für eine zukunftsfähige Lebensmittelpro-duktion ein, der eine ressourcenschonende und erhaltende Lebensmittelerzeugung zu Grunde liegt.

Bild oben: Bei "Bauer trifft Bauer" ging es um das Thema Welternährung und die Machenschaften der Agrarindustrie.

Mehr Informationen:

Veranstaltungsreihe "95 Thesen für Kopf und Bauch"

Slow Thema: Agrarpolitik – Informationen, Aktionen und Positionen

Alle Bilder: © Ingo Hilger

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