Kommentar: Kluge Kooperationen sind gefragt

30.1.2018 – Über meine Wahlheimat Großbritannien mag man politisch denken, was man will. Während es in weiten Teilen der politischen Spitze alles andere als zukunftsweisend zugeht, tut es dies vereinzelt sehr deutlich bei der Lebensmittelversorgung. Ein Kommentar von Ursula Hudson, Vorsitzende von Slow Food Deutschland.

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Das erfuhr ich erneut, während ich mich einige Wochen in meiner süddeutschen Heimat aufhielt. Während es mir in Großbritannien gelingt, den konventionellen Einzelhandel nur für vereinzelte Hygieneartikel aufzusuchen und meine Lebensmittel fast nur direkt beim Erzeuger oder in kleinen eigentümergeführten Läden zu kaufen, musste ich feststellen: In meinem deutschen Zuhause ist das schlichtweg kaum mehr möglich. Hierzulande sind über Jahrzehnte Rahmenbedingungen geschaffen worden, welche den Verbraucher seinen täglichen Bedarf unkompliziert bei großen Einzelhandelsunternehmen oder in Discountern decken lassen. Sie sind die Vertriebskanäle Nummer Eins und besetzen als solche rund 90 Prozent des Marktes.

Diese Firmenriesen profitieren von dem gesellschaftlichen sowie dem infrastrukturellen Wandel der Landwirtschaftspolitik. Denn um kurze Wertschöpfungsketten für Lebensmittel in einer Region zu halten, fehlt es an Produktionsstätten, Netzwerken und Vertriebsstrukturen. Klein- und mittelständische Einzelhändler und Erzeuger sowie Lebensmittelhandwerker haben den Preiskampf vielerorts aufgegeben. Ladenlokale stehen leer, Handwerksbetriebe sind geschlossen. Der Online-Handel für Lebensmittel krempelt das System weiter um. Viele Verbraucher haben sich an das zu jeder Jahres- und Tageszeit allumfassende Produktsortiment zu günstigen Preisen gewöhnt. Zu wenige von ihnen unterstützen regionale Ernährungskreisläufe oder wissen über sie Bescheid.

Kleine Nischen tun sich auf

Die klassischen Supermarktketten befeuern einen Konsum, welcher der Slow-Food-Philosophie »gut, sauber, fair« sowie der Vorstellung, dass Verbraucher durch direkten Erzeuger- und Handwerkerkontakt zu Ko-Produzenten werden, zuwiderläuft. Umso mehr überraschen einen dann doch die kleinen Nischen, die sich mancherorts in diesem System auftun: Ja, es gibt vereinzelt Entscheidungsträger, die Dinge in unserem Sinne bewegen möchten und langfristig denken. Sie haben verstanden, dass die Ressourcen unserer Erde verheizt sind, es ein »Weiter wie bisher « nicht geben wird. Sie wenden sich klein- und mittelgroßen ökologischen Erzeugern ihrer Region zu, fördern Anbau und Vertrieb alter Gemüse- und Obstsorten sowie artgerechte Tierhaltung. Ein Beispiel dafür findet sich in einer kleinen Supermarktfiliale in der Oberpfalz, in der man aus dem Nichts vor einem Rohmilch-Automaten steht.

Das zeigt, es sind kleine unterstützenswerte Schritte in die richtige Richtung, die hier getan werden. Aber ich möchte sie nicht verherrlichen. Natürlich reagieren Unternehmer damit auch auf veränderte Konsumentenbedürfnisse. Diese möchten vermehrt wissen, wo und wie ihre Nahrung hergestellt wird. Und Bedürfnisse zu stillen, bietet immer neue Absatzchancen. Trotzdem oder gerade deshalb können sich Kooperationen zwischen Erzeugern und dem konventionellen Einzelhandel positiv auf die bäuerlich-ökologische Landwirtschaft einzelner Regionen auswirken. Denn am Ende hat der Lebensmittelhandel das Potenzial, die Macht und die gesellschaftliche Aufgabe, den Wandel sinnvoll voranzutreiben.

Unternehmer sind Kooperationspartner von Slow Food.

Für Slow Food, dessen oberstes Ziel es ist, das Lebensmittelsystem zu verändern, stellt sich damit eine Grundsatzfrage: Können und sollten Unternehmer, die zukunftsweisende Wege einschlagen, unsere Gesprächs- oder gar Kooperationspartner sein? Als Vorsitzende von Slow Food Deutschland beantworte ich das klar mit »Ja«. Eine Zusammenarbeit ist unabdingbar, wenn wir unser Lebensmittelsystem langfristig wandeln möchten. Dafür brauchen wir Reichweite und das Gros der Verbraucher hinter uns, ebenso wie kluge strategische Partnerschaften, ein breites Bündnis – auch mit der Wirtschaft. Verschließen wir uns dem, arbeiten wir an der Realität vorbei und kommen nicht aus einer museal werdenden Nische heraus.

Einzelhändler sind Multiplikatoren.

Wir können es uns nicht leisten, nur einen kleinen Teil der Bevölkerung zu überzeugen. Dieser Anteil, zu dem hoffentlich auch Sie gehören, ist Gold wert und unsere Wurzel. Von hier aus aber müssen wir wachsen. Projekte zwischen dem Einzelhandel und uns, welche langfristige Veränderungen in unserem Interesse zum Ziel haben, müssen wohl überlegt sein und können aber gemeinsam gelingen. Zeigen wir uns offen gegenüber einem klugen Schulterschluss auch mit potenziellen Partnern, die wir per se nicht als solche erkennen, die aber zentral sind, weil sie die Macht und Möglichkeiten haben, Hebel umzulegen! Gewinnen wir Einzelhändler als ernstzunehmende Multiplikatoren, können wir auf Dauer eine veränderte Nachfrage beim Verbraucher schaffen und diese in einer Infrastruktur verankern, welche regionale Ernährungskreisläufe ermöglicht. Hier liegt das Potential, kleinbäuerliche Erzeuger sowie klein- bis mittelständische Einzelhändler wieder zum Vertriebskanal unserer Grundnahrungsmittel zu machen.

Dieser Kommentar von Ursula Hudson ist im aktuellen Slow Food Magazin 1/2018 erschienen.
Foto:
© Holger Riegel

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