Kommentar: Plastik in Lebensmitteln – und drumherum
Slow Food Kommentar: Plastik in Lebensmitteln – und drumherum
Die Spargelzeit ist in voller Vorbereitung und bei der Fahrt durch seine Anbaugebiete stechen mir die riesigen Folienfelder immer wieder als befremdlich ins Auge. Wärme unter Plastikfolien – so ist das offenbar heute. Ja, der erste, der den Spargel auf den Markt bringt, macht das Rennen auf einem hart umkämpften Markt. Aufgrund der Tatsache, dass ich weniger nostalgisch als bockig auf nicht unter Folien gewachsenen Spargel warte, konstruiere ich mir zwar einen "inneren Wert" des eigentlich wunderbaren saisonalen Gemüses – aber ich warte halt noch lang.
Eine Welt voller Kunststoff
Mein Befremden und Bedenken wurde kürzlich sehr intensiviert durch die Kenntnisnahme der Forschungsergebnisse der FU Berlin zur Belastung unserer Böden durch Mikroplastik. Da wurde ich einmal mehr mit einem sorgenvollen und nachdenklichen Blick auf das "Phänomen Plastik" gestoßen – und das so gar nicht ohne Grund. Wir haben ein Plastikproblem, mit Mikro- ebenso wie mit Makroplastik. Es spielt sich unter Wasser ab und frisst sich durch unsere Böden. Plastik legt sich in Form von Verpackungen um unsere Lebensmittel, in kaum mehr erkennbaren Teilchen in unser Essen und wird für die Prozessoptimierung unserer Lebensmittelwertschöpfung eingesetzt.
Spargelzeit ist Folienzeit
Plastik trägt dazu bei, unser auf Geschwindigkeit, Effizienz und Profit getrimmtes Lebensmittelsystem funktionsfähig zu halten. Dazu gehört auch ein Mehr an Verpackungen, der Großteil davon aus Plastik. Und die Hersteller verpacken geflissentlich, um die hohen Standards an Lebensmittelsicherheit zu erfüllen. Nun sollten wir aber, analog zur Lebensmittelverschwendung, genau betrachten, wie groß bereits die Ressourcennutzung bzw. -verschwendung während der gesamten Wertschöpfung ist und nicht erst am Ende der Kette beginnen. Bereits in der Primärproduktion unserer Nahrung, in der Landwirtschaft und Lebensmittelweiterverarbeitung, spielt Plastik eine oft verkannte Rolle. Vorreiter ist hierzulande die Gemüseproduktion. Plastik in Form von Flachfolien auf den Äckern sowie als Gewächshäuser reguliert das Wachstum verschiedener Sorten und Arten. Wir nehmen damit künstlich Einfluss auf Start, Geschwindigkeit und Ende der Ernte. Das sichert höhere Erträge sowie für bestimmte Produktsparten die Konkurrenzfähigkeit unserer Landwirte gegenüber benachbarten Billiglohnländern. Und der Verbraucher erhält ein optisch einwandfreies Produkt.
Ein Musterbeispiel dafür ist aktuell Deutschlands Spargelernte. Um den Hunger nach Spargel aus heimischen Anbau zu stillen, lassen ihn die meisten Spargelbauern unter Plastik heranwachsen. Unter den Folien sprießt er gut vier Wochen früher und wächst lichtgeschützt, so dass sich seine Spitzen im Vergleich zum Freiland nicht lila färben. Dadurch braucht er nur ein- statt zweimal am Tag gestochen werden und der Kunde erhält seinen heiß ersehnten weißen Spargel. Währenddessen aber sind die Auswirkungen auf die Umwelt durch die Folienversieglung umstritten. Nicht nur, dass sie das Landschaftsbild verändert, Umwelt- und Tierschützer beklagen außerdem den durch sie eingeschränkten Lebensraum für Vögel und Insekten. Die Datenlage über die genauen Einflüsse der Folien auf die Biodiversität der Böden sowie auf das Ausmaß an Plastikmüll erfährt je nach Absender eine unterschiedliche Beurteilung.
Gegen den Verpackungswahn
Für mich schließt sich hier die grundsätzliche Frage an: Wie viel Plastik steckt in meinem täglichen Lebensmittel? Sei es durch Verpackung oder virtuell, durch zur Herstellung genutztes Material? Und ich merke ohne zu zögern, diese Frage möchte ich mir nicht stellen müssen. Und ein System, welches sie aufwirft, ist kein gesundes und überlebensfähiges. Doch wird es von den Verbrauchern weiterhin mitgetragen. Wir produzieren in Deutschland pro Einwohner deutlich mehr Plastikmüll als im Durchschnitt der Europäischen Union. Und jeder von uns steht damit in Wechselwirkung mit unserem Wirtschaftssystem und dessen Industrie – darunter die der Lebensmittel. Auch wenn das Problembewusstsein für das »Phänomen Plastik« gewachsen ist, so ist es meiner Meinung nach noch nicht stark genug und zeigt sich noch zu wenig in einem kritischen Verbraucherhandeln.
Deswegen möchte ich an Sie appellieren: Gehen Sie verantwortlich damit um, wie und was Sie an Lebensmitteln konsumieren. Mit einem vertieften Wissen über Herkunft und Verarbeitung von Lebensmitteln gewinnen wir unsere Souveränität über das, was wir zu uns nehmen, zurück. Bewusste Konsumentscheidungen tun nicht nur Ihrer Gesundheit und Ihrem Genuss gut, sie wirken sich auch unmittelbar auf die Umwelt aus. Denn sie schonen Ressourcen. Und erkennen Sie die Kreisläufe hinter Ihrem Handeln: Nutzen Sie Kosmetik mit Mikroplastik, so wissen wir jetzt, landen diese nicht sichtbaren Partikel auch in unseren Böden, auf denen 90 Prozent unserer Nahrungsmittel entstehen und von denen wir uns wünschen, dass sie uns und auch die nächsten Generationen noch ernähren.
Dieser Kommentar von Ursula Hudson ist im aktuellen Slow Food Magazin 2/2018 erschienen.
Foto: © Holger Riegel
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