Kurs auf eine nachhaltige Fischerei halten – Podiumsdiskussion zur Gemeinsamen Fischereipolitik der EU
Mit der Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) 2013 hat sich die EU ein ehrgeiziges Ziel gesetzt. Bis 2015 sollten alle Fischbestände der Europäischen Union auf einem ökologisch vertretbaren Niveau, das heißt im Einklang mit dem größtmöglichen Dauerertrag, dem Maximum Sustainable Yield (MSY), bewirtschaftet werden. Jeglicher Überfischung sollte ein Riegel vorgeschoben werden. Aus sozioökonomischen Gründen jedoch sind Abweichungen für einzelne Bestände noch bis 2020 möglich. Slow Food Deutschland fordert, dass diese Nachfrist die letzte ist und sich die Europäische Union und damit auch die Bundesregierung an ihre eigene Gesetzgebung konsequent hält und die Reform umsetzt. Damit würde dem Lebensmittel Fisch die Wertschätzung entgegengebracht werden, die ihm gebührt. Mit gesunden Fischbeständen erhalten wir zugleich die soziale sowie kulturelle Bedeutung einer traditionell handwerklichen Fischerei, die zur Identität von Küstengemeinschaften gehört und eine lokale Lebensmittelversorgung sichert.
Was kann und muss die Politik tun, um das 2020-Ziel zu erreichen und wie kann der Stimme der Zivilgesellschaft, die das fordert, noch mehr Kraft verliehen werden? Zu diesen und weiteren Fragen diskutierten gemeinsam mit Slow Food: Hermann Pott aus dem Referat „Seefischereimanagement und Kontrolle, IWC“ des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), Ulrike Rodust als MdEP im Fischereiausschuss und Berichterstatterin der GFP-Reform, Steffi Lemke als MdB und Mitglied im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit sowie der Leiter des Thünen-Instituts für Ostseefischerei und einer der beiden deutschen Delegierten des ICES, Christopher Zimmermann. Ursula Hudson, Vorsitzende von Slow Food Deutschland sowie Nina Wolff, Fischerei-Expertin des Vereins, traten in den regen Austausch mit den Podiumsgästen sowie den Vertretern verschiedener Umweltschutzorganisationen, die der Einladung in das Europäische Haus in Berlin Mitte gefolgt waren – bereit dazu, über das Thema Fisch politisch zu reden. Tanja Busse moderierte.
Die reformierte GFP hat, darüber waren sich alle Diskutanten zunächst einmal einig, notwendige Prozesse und Maßnahmen für eine nachhaltige Fischerei in Europa auf den Weg gebracht. Sie hält wichtige Bestimmungen darüber fest, welche Mengen wo und in welcher Form gefischt werden dürfen. Grundlage dafür sind wissenschaftliche Empfehlungen auf der Basis fischereibiologischer Untersuchungen des Internationalen Rats für Meeresforschung (ICES). Der ICES ist offiziell beauftragt, die europäischen Fischbestände u.a. für die EU-Kommission einzuschätzen und Gutachten über mögliche Fanggrenzen zu erstellen. Christopher Zimmermann ist Mitglied in diesem Rat und resümiert: „Seit Inkrafttreten der Reform hat sich viel getan. Das zeigt sich am Beispiel des Nordostatlantiks. Von den hier rund 140 Fischbeständen lagen 2004 über 90 Prozent im roten Bereich. Heute sind es noch 40. In der Ostsee sind es von den 14 kommerziell genutzten Fischbeständen aktuell zwei, der Hering der westlichen Ostsee und der Dorsch der östlichen Ostsee, die uns Sorgen machen, weil wir sie bis 2020 definitiv nicht in den grünen Bereich bringen werden. Fest steht, dass wir trotz Fortschritten keinesfalls die Hände in den Schoß legen können oder sollten. Ganz im Gegenteil, stellen diese Zahlen doch unter Beweis, dass sich die Anstrengungen für ambitionierte Ziele lohnen. Denn Fischbestände haben die Fähigkeit, sich zu erholen“. Zimmermann, Rodust und Wolff machten in diesem Zusammenhang zugleich unmissverständlich klar, dass sich die positiven Entwicklungen auf die Nordsee sowie den Nordostatlantik beschränken. Sowohl im Mittelmeer als auch im Schwarzen Meer sehen die Ergebnisse hingegen deutlich düsterer aus.
Bild oben: Verschiedene Interessenträger beleuchteten am 6. September 2018, wie weit die EU damit ist, der Überfischung bis 2020 ein Ende zu setzen.
Es geht auch um Vertrauen in Europa
Eine bereits bekannte Schwachstelle in der GFP ist die, dass es seit Inkrafttreten der Reform immer wieder zu starken Diskrepanzen zwischen den wissenschaftlichen Empfehlungen des ICES und den tatsächlich beschlossenen Fangquoten kommt. Um ihrem politischen Willen, das Fischereimanagement ganzheitlich auf Nachhaltigkeit auszurichten, Nachdruck zu verleihen, hat die EU schon bald wieder Gelegenheit. In den kommenden Monaten entscheiden die EU-Fischereiminister in Brüssel über die Fangquoten 2019 für die Ostsee, die Tiefsee, die Nordsee und den Atlantik. Im Oktober fängt es mit der Ostsee an. Hier geht es um wenige Arten von wirtschaftlicher Bedeutung: den Dorsch, den Hering, die Sprotte, die Scholle, den Lachs. Während Sprotte und Scholle in einem guten Zustand sind, der eine nachhaltige Befischung erlaubt, bedarf es beim Hering und beim Dorsch umsichtiger Entscheidungen. Diese Bestände müssen schnellstmöglich und gemäß den wissenschaftlichen Erkenntnissen des ICES in einen guten und langfristig stabilen Zustand gebracht werden. Auch Steffi Lemke fordert die EU zu einem konsequenten Handeln auf, auch im Sinne der Demokratie. „Wenn es sich fortsetzt, dass Ziele vereinbart aber nicht eingehalten werden, können wir nicht erwarten, dass Bürger Vertrauen in das demokratische System haben. Und es wünscht sich mit Sicherheit keiner von uns, dass die Unterstützung für unser demokratisches System weiter bröckelt. Deshalb müssen wir am 2020-Ziel festhalten und uns dem Einhalten des Gesetzes bestmöglich annähern“, so Lemke.
Bild oben: Initiiert wurde der Austausch von Slow Food Deutschland e.V.
Nachhaltige Fischerei ist mehr als Quote
Für ein Fischereimanagement, welches ökologisch und ökonomisch, sozial und kulturell zukunftsfähig ist, müssen alle Instrumente der Gemeinsamen Fischereipolitik greifen und entschieden verfolgt werden. Doch gibt es weiterhin große Missstände. Nicht zufriedenstellend, so betont Rodust, sehe es weiterhin bei der Regionalisierung aus. Diese weist den Mitgliedstaaten mehr Verantwortung bei der Ausgestaltung der GFP in den verschiedenen Meeresregionen zu. Ziel sind langfristige Bewirtschaftungs- und Wiederauffüllungspläne, mit deren Hilfe sich die Bestände wieder vermehren können - angepasst an die jeweiligen Regionen. Der Erfolg der Regionalisierung hänge nicht zuletzt von den verschiedenen Mentalitäten und Fischereiinteressen sowie dem Selbstbewusstsein der Mitgliedsstaaten zur Durchsetzung ihrer Interessen ab, ergänzt Pott. Zusätzlich zu Rückzugsgebieten müssten auch die Meeresschutzgebiete deutlich ambitionierter vorangetrieben werden. „Gesunde Fischbestände haben nur in einer gesunden Meeresumwelt die Chance gesund zu bleiben. Ich denke, dass wir uns da einig sind. Die Mitgliedsstaaten sind zur Einrichtung solcher Schutzgebiete verpflichtet. Wenn da nichts oder nur zu wenig passiert, muss es eingeklagt werden. Da es im Europäischen Parlament keine entsprechenden Mehrheiten gibt, sehe ich diese Aufgabe bei den Nichtregierungsorganisationen“, so Ulrike Rodust. Die Bedeutung des Naturschutzes unterstreicht auch Steffi Lemke: „Naturschutzrecht in der Gesetzgebung darf nicht Recht zweiter Klasse sein“. Weiterer Nachholbedarf besteht bei der sogenannten Anlandepflicht, welche dazu verpflichtet, auch den unerwünschten Beifang an Land zu bringen. Während Rodust hier einheitlichere Kontrollen und Strafen bei Nichteinhaltung fordert, ergänzt Hermann Pott, dass es keine klare Regelungen gebe, was mit dem unerwünschten Beifang passieren müsse. Nach der aktuellen EU-Rechtslage könne der Fischer den Fisch rein theoretisch mit an Land bringen und ihn anschließend wieder in die See zurückwerfen.
Bild oben: U.a. diskutierten (v.l.n.r.) Christopher Zimmermann (Leiter des Thünen-Instituts für Ostseefischerei und einer der beiden deutschen Delegierten des ICES), Ursula Hudson, Vorsitzende von Slow Food Deutschland und Ulrike Rodust als MdEP im Fischereiausschuss und Berichterstatterin der GFP-Reform. Tanja Busse moderierte den Abend.
Vermeintliche Nebenschauplätze nachhaltiger Fischerei
An diesem Abend wurden auch die mit den GFP-Instrumenten einhergehenden Zielkonflikte diskutiert, die tendenziell eher im Hintergrund gären, aber durchaus politischen Druck auf die Fischereipolitik ausüben. Auch dafür braucht Europa konstruktive Lösungen. Es betrifft unter anderem die Auswirkungen für die handwerkliche Fischerei - besonders, wenn aufgrund von Fangbeschränkungen oder Schutzgebieten die gesamte Fischerei innerhalb eines Bereichs theoretisch eingestellt werden muss oder das Limit für die Abgabe im Direktverkauf weiter beschränkt wird. Dazu Uwe Sturm vom Arbeitskreis Fischerei der Aktivregion Ostseeküste: „Einige Maßnahmen der Fischereipolitik, welche massiven Einfluss auf die Kleinfischerei nehmen, werden oftmals zu undifferenziert operationalisiert. Das ist beim Limit für die Abgabe im Direktverkauf der Fall. Diese soll im Rahmen einer Reform der europäischen Fischereikontrollverordnung auf fünf Kilogramm pro Fischer begrenzt werden. So wäre eine Direktvermarktung unrentabel mit der Folge, dass der direkte Austausch zwischen Erwerbsfischern und Verbrauchern verloren ginge und wir die kulturelle Bedeutung von Fischerei nicht mehr vermitteln können“. Der Arbeitskreis entwickelt aktuell gemeinsam mit dem NABU ein Projekt, wie Kleinfischerei und Umweltschutz Hand in Hand gehen können, Beifänge vermieden sowie Schon- und Ruhezeiten für Bestände eingehalten werden können.
Ein weiterer, in der Öffentlichkeit teils verkannter Interessenskonflikt betrifft die Berufs- und Freizeitfischerei. Letztere bringt erhebliche Mengen ausgewählter Fischarten an Land, für welche Berufsfischer den Fangquoten unterliegen. 2015 hatte die Anglerfischerei beispielsweise dieselbe Menge Dorsch aus der westlichen Ostsee herausgeholt wie die Berufsfischer, deren Fangquoten immer weiter gesenkt worden waren. Als der Bestand des westlichen Dorschs zusammenbrach, war klar, dass die Angelfischerei ebenfalls begrenzt werden muss. Der europäische Ministerrat folgte dieser Empfehlung der Wissenschaft und begrenzte die Angelfischerei durch die Festlegung von Tagesfangmengenbegrenzungen. Aber auch das ist eine Gratwanderung und ein Austarieren. Dazu Zimmermann: „Angel- und Freizeitfischerei ist mehr als ein Hobby. Sie ist ein echter Wirtschaftsfaktor mit erheblichen positiven Effekten, insbesondere in strukturschwachen Küstenregionen. Wir wollen sie an den Maßnahmen zur Erholung beteiligen, zugleich aber so wenig wie möglich behindern“. Rodust unterstrich, dass die Mehrheit des Deutschen Anglerverbands die Maßnahmen zur Beteiligung in Form einer Tagesfangmengenbegrenzung unterstützte.
Nina Wolff hob dabei die Chancen von Gebietsschließungen hervor. In diesen Laich- und Aufzuchtgebieten können sich Fischbestände saisonal und geographisch begrenzt erholen. „Dieses Instrument wurde und wird weiterhin zu wenig in Anspruch genommen. Es gab beispielsweise eine Schließung für den westlichen Dorsch, die aber laut Vorschlag der EU-Kommission 2019 nicht weitergeführt werden soll. Dabei wäre es eine Chance, den Bestand langfristig aufzubauen“, so Wolff. Auch aus wissenschaftlichen Gründen sollten diese Maßnahmen fortgeführt werden, ergänzte Zimmermann. „Wir bräuchten mindestens fünf Jahre, um sagen zu können, wie effektiv sich diese Laichschonzeiten auswirken“, so Zimmermann. Zugleich betont er, dass Nullnutzungszonen im Rahmen von Natura 2000 nicht zu Fischereimanagement-Zwecken ausgewiesen würden, sondern zum Schutz anderer dort vorhandener Schutzgüter. Diese Gebiete seien in der Regel viel zu klein, um einen messbaren Einfluss auf den Zustand von Fischbeständen zu haben.
Bild oben: Steffi Lemke, MdB und Mitglied im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit betont, dass es mehr Debatte über nachhaltige Fischerei brauche.
Fischerei verdient dieselbe Aufmerksamkeit wie Landwirtschaft
Der Verlauf der Diskussionsrunde verlieh der Aussage Steffi Lemkes Nachdruck: „Der Fisch und die Fischereipolitik fliegt bislang unter dem Radar der meisten Menschen hindurch. Wir brauchen mehr Debatte dazu“. Diese beinhaltet nicht nur, der Fischereipolitik mit derselben Aufmerksamkeit wie der Agrarpolitik zu begegnen, sondern auch deren Wechselwirkung zu erkennen und zu verstehen. Denn die Gülle und das Nitrat, welches etwa durch die Landwirtschaft in die Ostsee gespült wird, nehme hier unmittelbaren Einfluss auf die marinen Ökosysteme, so Lemke. Völlig außer Frage blieb zum Schluss auch, dass diese Debatte, zu der Slow Food eingeladen hat, fortgesetzt werden muss. Nina Wolff sagte dazu, sowohl als Slow-Food-Vertreterin als auch als Europäerin: „Die beste Nachricht des Abends ist, dass wir an dem 2020 Ziel grundsätzlich festhalten. Wenn wir uns auf die Gebiete konzentrieren, in denen Deutschland Fischfang betreibt, das heißt Ostsee, Nordsee und westliche Gewässer, ist das Ziel ja nicht unbedingt unrealistisch. Und wir fordern das Europäische Parlament ebenso wie den Bundestag dazu auf, ihre Kontrollfunktion wahrzunehmen“.
Bild oben: Ursula Hudson hob hervor, dass Wissen und Wertschätzung die Chancen auf einen "guten" Fischverzehr erhöhen.
Fisch – eine köstliche, doch zugleich hochkomplexe Angelegenheit
Wie aber steht es aus Sicht von Slow Food mit dem eigentlichen Genuss von Fisch? Denn Fisch gehört zu den Lebensmitteln, welches Verbraucher, wenn sie nicht gerade an der Küste oder an einem See wohnen, im eigenen Kontext kaum mehr kennen. Alleine, dass Fisch ein saisonales Lebensmittel ist, ist vielen nicht bekannt. Die ursprüngliche Slow-Food-Frage, wissen woher das Lebensmittel kommt, muss für den Fisch erweitert werden: Wie und wo wurde er gefangen? Das, so Ursula Hudson, lässt sich bislang nur bis zu einem gewissen Grad transparent beantworten und macht Verbrauchern einen Fischverzehr im Sinne von Slow Food unglaublich kompliziert. „Eigentlich braucht es den Fischer in der Nähe, dem man all die Fragen stellen kann. Und natürlich braucht es grundsätzlich die eigene Wertschätzung gegenüber dem Fisch als Lebensmittel. Wenn das beides zusammentrifft erhöht es die Chance auf ‚guten‘ Fischkonsum“, so Hudson. Natürlich seien grundsätzlich auch Siegel ein Orientierungsinstrument für den Einkauf. „Die Problematik eines jeden Siegels aus Sicht von Slow Food jedoch ist, dass es versucht, eine Problemstelle für den Einkauf punktuell zu lösen. Das ist nicht verkehrt, macht auf Dauer aber blind und den Verbraucher unmündig. Es verleitet ihn dazu, Verantwortung abzugeben und über das eigentliche Problem, welches hinter dem Siegel liegt, nicht mehr nachzudenken“.
An diesem Abend machte Christoph Hauser von Herz & Niere in Berlin den Fischgenuss für die Gäste leicht und zeigte, dass es saisonal und regional geht. Es gab Karpfen von den Zielfischern aus Brandenburg mit Kürbis. Uwe Sturm brachte Scholle, Steinbutt und Lachsforelle aus handwerklicher, regionaler Fischerei der Ostsee für Fischeintopf ein.
Bild oben: Christoph Hauser und Michael Köhle von Herz & Niere in Berlin zeigten, wie nachhaltiger Fischgenuss gelingen kann.
U.a. gab es Karpfen von den Zielfischern aus Brandenburg mit Kürbis.
Während des Buffets setzten die Teilnehmer ihre rege Diskussion fort.
Alle Bilder: © Ingo Hilger
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