Slow Food fordert Nachbesserung des Reformvorschlags zur Gemeinsamen EU-Agrarpolitik

6.7.2018 – Am 1. Juni 2018 hat die Europäische Kommission den Gesetzesvorschlag für die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) vorgestellt, der die Grundlage für die europäische Landwirtschaft von 2021 bis 2027 sein soll. EU-Landwirtschaftskommissar Phil Hogan nannte den politischen Entwurf „ehrgeizig, ausgewogen und realistisch". Slow Food hat den Text vorab unter die Lupe genommen und sieht darin einen weniger ambitionierten Ansatz. Dem neuen Gesetzesvorschlag fehlt der Ehrgeiz, den Weg zu einem zukunftsfähigen Lebensmittelsystem zu ebnen, und er überträgt den Mitgliedstaaten die Verantwortung für die Zukunft der europäischen Landwirtschaft, vor allem was soziale und ökologische Ziele angeht.

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Aus diesem Grund hat Slow Food in einer Stellungnahme die wichtigsten Problembereiche des aktuellen EU-Vorschlags zur anstehenden Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik analysiert und sich mit kritischen Fragen und Verbesserungsvorschlägen an EU-Kommissar Hogan gewandt.

Mit der aktuellen Stellungnahme (PDF, Englisch) spricht Slow Food vor allem EU-Landwirtschaftskommissar Hogan an, um eine konstruktive Debatte um unser Lebensmittelsystem anzuregen und den Gesetzesvorschlag zu verbessern. Den Problemstellen stellt Slow Food in der Stellungnahme Empfehlungen für eine Gemeinsame EU-Agrarpolitik entgegen, die gut für Mensch, Tier und Umwelt sind und die Nachhaltigkeitsziele der UN im Blick haben. Ziel der Überprüfung des Reformvorschlags ist es, eine Debatte unter den Gesetzgebern anzustoßen, nämlich dem Europäischen Parlament und dem Rat, die über den endgültigen Wortlaut der künftigen GAP entscheiden werden.

EU-Kommission delegiert Verantwortung an Mitgliedsstaaten

Der vorgeschlagene Reformplan der EU-Kommission delegiert die Verantwortung rund um eine nachhaltige Entwicklung der europäischen Lebensmittelproduktion an die Mitgliedstaaten und macht nur vage Vorgaben. Der Vorschlag zur GAP-Reform legt zum Beispiel keine EU-weit gültigen sozialen und ökologischen Ziele für die Landwirtschaftspolitik fest, sondern fordert die Mitgliedstaaten auf diese selbst für sich festzulegen. Wenn man keine Minimalauflagen festsetzt, die Eu-weit gelten, kann auch nicht sichergestellt werden, dass auf EU-Ebene ein gewisser sozio-ökologischer Standard erreicht wird. Wenn Mitgliedsstaaten die Prioritäten bei zu verteilenden Zuschüssen in ihren GAP-Strategieplänen auf der Grundlage der von ihnen vorgenommenen Bedarfsbewertung selbst festlegen können, ist zu befürchten, dass soziale und ökologische Ziele hinten angestellt und wirtschaftliche Ziele vorgezogen werden.

Vorgaben müssen EU-weit gelten und von der EU vorgegeben werden

Ein klarer europäischer Rahmen wäre jedoch wichtig, wenn man sicherstellen möchte, dass die Nachhaltigkeitsziele auch innerhalb der EU umgesetzt werden. So ist den Mitgliedsstaaten im aktuellen Gesetzesvorschlag alle Freiheit darüber gelassen, was sie beispielsweise als „kleinen" Betrieb sowie als „echten" oder „jungen" Landwirt ansehen. Je nach Definition wären dann mehr oder weniger größere Betriebe förderungswürdig für die GAP-Mittel. Slow Food ist deshalb darüber besorgt, dass die Definition der Betriebsgröße auf Staaten-Ebene zu Gunsten der Industrie und zu Lasten der Kleinerzeuger entschieden werden könnte. In der Stellungnahme hat Slow Food EU-Kommissar Hogan deshalb darauf hingewiesen, dass es nicht danach aussieht, als wäre der neue Gesetzesvorschlag in der Lage, eine einheitliche Gleichstellung der Landwirte in der gesamten EU zu gewährleisten. Der fehlende Mut Betriebsgrößen zu kategorisieren und sich dadurch für die Kleinerzeuger auszusprechen verdeutlicht, dass die EU-Kommission sich jeglicher Verantwortung entzieht der Lebensmittelindustrie ein klares Signal zu senden und dadurch den dringend nötigen Wandel hin zu einem ganzheitlich zukunftsfähigen Lebensmittelsystem einzuleiten.

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Mindeststandards im Bereich Tier- Umwelt-, Ressourcen- und Klimaschutz setzen

Ein wesentlicher Bestandteil der vorgeschlagenen GAP-Reform ist außerdem der Übergang zu einem ergebnisorientierten Ansatz: Bis jetzt gab es Vorgaben, die es von allen Mitgliedsstaaten und unterschiedlichen landwirtschaftlichen Betrieben gleichermaßen umzusetzen galt, auch wenn diese durch unterschiedliche regionale Bedingungen und Umstände eigentlich nicht über einen Kamm geschert werden können. Angeblich wird dieser Ansatz nun durch ein „flexibleres System mit mehr Freiheiten für die EU-Länder bei der Entscheidung, wie sie die gemeinsamen Ziele am besten erreichen können", ersetzt. Ein ergebnisorientiertes und an die nationalen Bedürfnisse angepasster Ansatz ist prinzipiell gut, aber nur dann, wenn gemeinsame, konkrete Ziele festgelegt werden, die es im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung von allen zu erreichen gilt, vor allem in den Bereichen Tier- Umwelt-, Ressourcen- und Klimaschutz sowie Erhalt der biokulturellen Vielfalt.

Slow Food muss jedoch feststellen, dass der Vorschlag keine klare Gesamtvision für die Zukunft der Lebensmittelsysteme in Europa bietet und dass die Vorgaben zur Rechenschaftspflicht äußerst dürftig ausgestaltet sind. Aus Slow-Food-Sicht muss der aktuelle Gesetzesvorschlag ganz dringend um Mindestanforderungen an die Mitgliedstaaten ergänzt werden, die der Verbesserung der nachhaltigen Entwicklung von Landwirtschaft, Ernährung und ländlichen Gebieten dienen. Rechenschaftspflichten und auch Sanktionen bei Nichteinhalten müssten im Vorschlag festgeschrieben werden, um die Ziele für nachhaltige Entwicklung ins Zentrum der GAP-Reform nach 2020 zu stellen.

Jenseits einer Gemeinsamen EU-Agrarpolitik

Warum ist die Europäische Kommission nicht mutig genug, für Europa den Wandel zu vielfältigen agrarökologischen Ernährungssystemen anzustoßen? Slow Food ist der Ansicht, dass eine Eu-weite Gemeinsame Ernährungspolitik notwendig ist, die über die Grenzen der derzeitigen GAP hinausgeht und alle politischen Felder einbezieht, die zur Errichtung nachhaltiger Lebensmittelwertschöpfungsketten beitragen können. Dieser Schritt ist unabdingbar, um den Übergang zu einer nachhaltigen Lebensmittel- und Agrarpolitik einzuleiten, bei der die agrarökologische Produktion im Mittelpunkt steht und das Lebensmittelsystem ganzheitlich vom Acker bis zum Teller betrachtet wird. Für das Projekt EU ist das eine Notwendigkeit. Die GAP-Strategiepläne können ein erster wichtiger, aber längst nicht ausreichender Schritt zu diesem Übergang sein.

Unsere Empfehlungen für eine neue GAP, die gut ist für Mensch, Tier und Umwelt:

Um eine effizientere und wirksamere Politik zu erreichen, die den Anforderungen der Gesellschaft an ein zukunftsfähiges Lebensmittelsystem gerecht wird, bedarf es eines neuen GAP-Rahmens, der …

  • ökonomische, soziale, ökologische, gesundheitliche, ethische und die Widerstandsfähigkeit fördernde Ziele gleichzeitig verfolgt.
  • ein Zahlungssystem schafft, welches den Fokus auf die Bereitstellung öffentlicher Güter setzt, unterstützt durch die GAP-Instrumente (GAP-Strategiepläne, Direktzahlungen, Maßnahmen zur Entwicklung des ländlichen Raums usw.) und welches das Zusammenwirken mit anderen lebensmittelbezogenen Politikfeldern gewährleistet.

Der endgültige Wortlaut der künftigen GAP-Gesetze wird vom Europäischen Parlament und vom Rat mitentschieden. Werden sie den Mut haben zukunftsweisende Kriterien festzulegen, vor denen sich die Europäischen Kommission bisher gescheut hat?

Klicken Sie hier um den vollständigen Slow-Food-Bericht zum Legislativvorschlag der GAP mit kritischen Rückfragen an EU-Kommissar Hogan und unser Policy Briefing zum Thema "Transitioning towards sustainable food systems in Europe" zu lesen.

Bilder: © Friedemann Lätsch, Peter Guggenberger-Waibel

Mehr Informationen:

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