Slow Food Kolumne: Der nächste Sommer kommt bestimmt
Kommentar: Der nächste Sommer kommt bestimmt!
Wenn Sie diese Ausgabe in den Händen halten, dann mögen manche mit Blick auf den Kalender denken: Wir haben es geschafft – der Sommer mit seiner außergewöhnlich langen und warmen Trockenphase liegt hinter uns. Mit dem beginnenden Herbst verknüpft sich die Hoffnung auf Abkühlung und Regen und auch damit, dass die Landwirte in Deutschland werden aufatmen können. Ein berechtigtes Aufatmen, mit dem aber die hitzige Debatte darüber, was wir aus diesem Sommerdebakel lernen sollten, abkühlen wird. Genau diese Debatte aber bräuchten wir dringlicher denn je, um eine ehrliche Antwort auf die Frage zu geben: Wo stehen wir eigentlich mit unserer Lebensmittelerzeugung und Art zu konsumieren? Nicht auf stabilem Grund, so viel ist sicher. Der Klimawandel schreitet voran. Extreme Wetterphänomene wird es immer häufiger geben.
Hilfe zum Ausstieg aus einem kranken System
Natürlich ist auch Slow Food grundsätzlich dafür, die Bauern zu unterstützen, wenn sie aufgrund der Dürreausfälle wirklich existentiell bedroht sind. Ihnen verdanken wir, täglich etwas auf unseren Tellern zu haben. Doch erwirtschaftet der Großteil von ihnen seine Erträge – oder wie in diesem Sommer Nicht-Erträge – weiterhin im falschen System. Deswegen dürfen und können diese Finanzspritzen nur eine kurzfristige Lösung sein. Was wir hier tun, ist reparieren und klaffende Wunden notdürftig verarzten – und das innerhalb eines System, welches per se schon der größte Posten im EU-Haushalt ist. Das Notpflaster ist vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderung richtig und notwendig. Es darf aber keinesfalls zum Normalfall werden und Anreiz sein, sich im bestehenden System zurückzulehnen. Statt sich immer tiefer zu verstricken, müssen wir unseren Landwirten dabei helfen, aus diesem falschen System herauszukommen. Denn Steuergelder gleichen hier nicht nur die Folgen einer durch den Klimawandel verursachten Dürreperiode aus, sondern auch die Konsequenzen einer über Jahrzehnte fehlgeleiteten Agrarpolitik.
Diese setzt(e) mit ihrem »wachse oder weiche« sowie den an Ertragssteigerung und Produktivität orientierten Monokulturen auf das falsche Pferd. Die Hilfspakete dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir eine langfristige Lösung brauchen. Und die besteht darin, ein zukunftsfähiges System der Lebensmittelerzeugung und -wirtschaft zu etablieren. Diese Mammutaufgabe kann nur gemeinsam gelöst werden – gesamtgesellschaftlich und ressortübergreifend. Das Ziel kann aus unserer Sicht nur eine ganzheitliche Ernährungspolitik sein, welche die Zusammenhänge von Ernährung, Klimawandel und Artensterben, Bodendegradation und Wasserknappheit, Hunger und Adipositas, Flucht und Vertreibung erkennt und angeht. Sie muss konsequent zu einer agrarökologischen Landwirtschaft führen, in Landwirte investieren, die nachweislich für Diversifizierung auf ihren Böden sorgen, vielfältige Fruchtfolgen anbauen, auf alte Sorten setzen, den Einsatz von Chemie reduzieren und bestehende Wasservorräte behutsam bewirtschaften. Landwirte, die verstehen, mit Vielfalt statt Einfalt zu arbeiten und Verluste auffangen können.
Solidarität zwischen Erzeugern und Essern
Und wir, die Esser, Verbraucher, Ko-Produzenten, wir müssen Netzwerke klein- bis mittelständischer Betriebe unterstützen, lokale, handwerkliche Produktionsstätten im ländlichen Raum wiederaufbauen helfen und regionale Kreisläufe ermöglichen. Gemeinsam sind wir alle in der Lage, uns landwirtschaftlichen und klimatischen Begebenheiten anzupassen und ressourcenschonend zu wirtschaften, zu konsumieren. Wegen der Direktvermarktung können sich Erzeuger und Handwerker von dem enormen Preisdruck großer Handelsketten befreien und ihren Kunden die schwankende Preispolitik glaubhaft erklären. Denn die verantworten wir als Verbraucher und unseren Einfluss auf das Klima mit.
Nur ein unmittelbarer Austausch und die engere Bindung zum Produzenten macht uns das begreifbar. Mit frischen, lokalen Lebensmitteln können die Qualität des Konsums und die Wertschätzung für das einzelne Produkt wachsen. Diese Art der Landwirtschaft wäre letztlich gar nicht so neu. Wir kehren damit zurück zu bewährten kleinbäuerlichen Strukturen. Neu wäre, dass wir mit einer ganzheitlichen Ernährungspolitik der gewachsenen Interdependenz von Ernährung mit dem Wohl des Planeten und seinen Lebewesen Rechnung tragen. Das müssen nicht nur die Entscheidungsträger tun, sondern auch wir Verbraucher, indem wir für Lebensmittel als Grundlage unserer menschlichen Existenz tiefer in die Tasche greifen. Auch das erleichtert es den Bauern, klimafreundlicher zu wirtschaften.
Billiges Essen bezahlt mit kostspieligen Transfers
Um die wahren Kosten unseres »täglich Brot« kommen wir schlichtweg nicht herum. Was wir an der Supermarktkasse sparen, zahlen wir spätestens über unsere Steuergelder. Ja, die Bauern sind Leidtragende und Mitverursacher des Klimawandels zugleich – das aber ist ein jeder von uns. Deshalb müssen wir gemeinsam Verantwortung übernehmen. All das ist dem Slow-Food-Umfeld freilich längst bekannt, doch können wir es nicht oft und nicht laut genug sagen. Denn gehört wird diese Botschaft, werden diese für unser aller gutes Überleben wichtigen Gedanken offenbar immer noch viel zu wenig.
Dieser Kommentar von Ursula Hudson ist im aktuellen Slow Food Magazin 5/2018 erschienen.
Foto: © Holger Riegel
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