Slow Food Youth Akademie: „Globaler Handel, globaler Süden“
Tobias Reichert, Teamleiter der Abteilung für Welternährung, Landnutzung und Handel bei Germanwatch e.V., führte die jungen Erwachsenen ins Thema sowie in die wichtigsten Fragestellungen ein. Dabei nahm er nicht nur Bezug auf die aktuell wirksamen Handelsstrukturen, sondern fasste für ein besseres Verständnis deren Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten zusammen. Germanwatch beobachtet und analysiert die Politik und Wirtschaft des globalen Nordens und ihre Auswirkungen auf Entwicklungs- und Schwellenländer seit vielen Jahren. Zusammen mit Mitgliedern und Förderern sowie verschiedenen Akteuren der Zivilgesellschaft wie Slow Food hat Germanwatch eine starke Lobby für eine nachhaltige Entwicklung mitbegründet.
Bild oben: Tobias Reichert, Teamleiter der Abteilung für Welternährung, Landnutzung und Handel bei Germanwatch e.V, führt die Gruppe ins Thema des Wochenendes ein.
Unternehmen müssen mehr Verantwortung übernehmen
Die Einflussnahme entwickelter Länder auf ärmere im globalen Süden stellte Reichert beispielhaft am Exportmeister Deutschland vor. Ein anderes politisches Klima im globalen Norden sei Voraussetzung, so Reichert, um im Süden für anhaltende und wirksame Verbesserungen zu sorgen – ökonomisch, ökologisch sowie sozial. Dafür müsse die Bildung für nachhaltige Entwicklung vorangetrieben und deutlich mehr Verantwortung von Unternehmen übernommen werden.
Politische Entscheidungsträger müssten endlich verbindliche Richtlinien für einen fairen Handel umsetzen. Wenn es um Welthandel geht, weiß Tobias Reichert natürlich um die Macht von Großhandel und -konzernen. So etwa liegen alleine in Deutschland rund 90 Prozent des Lebensmittelhandels in den Händen von Edeka/Lidl/Aldi/Rewe; auf internationaler Ebene sind die Big 4 ABCD (ADM, Bunge, Cargill, Louis Dreyfus) die für 60 Prozent der Grundnährstoffe verantwortlichen Händler. Sie üben eine enorme Marktmacht aus, nicht zuletzt bei Futtermitteln wie Sojaschrot.
Die Welthandelsorganisation muss umdenken
Doch es gibt sie, die Alternativen und Reformansätze, um den Schalter umzulegen. Es müsste „nur“ an den richten Stellen in die richtige Richtung gehandelt werden. Dazu gehört, dass Unternehmen für Transparenz entlang der gesamten Wertschöpfungskette ihrer Produkte sorgen und fair ablaufende Prozesse sicherstellen. Weltweit gilt es, die regionale Erzeugung von ökologisch arbeitenden Landwirten zu fördern und die Ernährungssouveränität eines jeden Menschen zu achten. Für einen tragfähigen und gerechten Handel muss nicht zuletzt die Welthandelsorganisation umdenken.
Besuch bei Edeka
Am Samstag besuchten die Akademie-Teilnehmenden das Zentrallager von Edeka in Lauenau und gewannen dort Einblick in die logistische Organisation eines Großhandels. Norbert Flegen von Edeka führte sie durch das Lager. Zu den Stationen gehörten die Leergutabteilung, das Trocken- sowie das Frischelager, welches Tiefkühlkost, Convenience-Produkte, frisches Obst und Gemüse sowie Feinkost aufbewahrt. Ein weiterer Stopp waren die sogenannten Sozialräume für Kantine, Dusche sowie Betriebsleitung.
Edeka wurde 1907 in Leipzig als Genossenschaft der Einzelhändler gegründet, um Einkaufvorteile zu etablieren. Anfangs nannte sich der Zusammenschluss Einkaufgenossenschaft der Kolonialwarenhändler, kurz EDK. Inzwischen besteht Edeka aus sieben regionalen Großhandelsbetrieben mit einem Gesamtumsatz von 8,4 Milliarden Euro. Edeka ist die größte Handelsgesellschaft in Deutschland.
Eine Frage, welche den Teilnehmenden ganz besonders auf dem Herzen lag, war der Umgang mit Lebensmittelverschwendung in Unternehmen wie Edeka. Norbert Flegel von Edeka erklärte, dass sie mit den Tafeln zusammenarbeiten, um die abgelaufenen Waren an Bedürftige weiterzugeben. Denn verkaufen darf Edeka diese nicht mehr. Der unmittelbare Zusammenhang zwischen Verschwendung und Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) ist ein sensibles Thema und Flegel sieht ganz deutlich die Bundesregierung in der Verantwortung die Richtlinien zu ändern und mehr Handlungsspielraum zuzulassen.
Bild oben: Besuch im Zentrallager der Handelsgesellschaft Edeka
„Hunger ist ländlich und weiblich.“
Iris Schöninger ist in der Grundsatzabteilung der Welthungerhilfe tätig und arbeitet seit 30 Jahren in der Entwicklungszusammenarbeit. Schon zum zweiten Mal begleitete sie die Akademie zum Thema Welternährung. Mit Sorge betrachtet sie die Bandbreite an Ursachen für Hunger auf der Welt: Armut, verzerrter Welthandel, Ressourcenverschwendung, Naturkatastrophen, Kriege, schlechte Regierungsführung aber auch Klimawandel und ungleiche Distribution von Lebensmitteln. Schöninger unterstreicht die großen Fortschritte, die laut des Welthungerindexes seit 2000 in der Bekämpfung von Hunger erreicht worden seien. Weiterhin aber verhungerten immerhin acht Prozent der Weltbevölkerung. „Hunger ist ländlich und weiblich“, betonte Schöninger. Die bäuerliche Landwirtschaft zu unterstützen, sei damit der richtige Weg.
Weitere Lösungsansätze diskutierte sie gemeinsam mit den Teilnehmenden, etwa den Aufbau wichtiger Infrastrukturen für Straßen, Energie, Wasser und Kommunikation, die Förderung von Investitionen in Form von Krediten und Anschubfinanzierungen sowie von fairem Agrarhandel, verbindlichen Mindeststandards, lokaler Wertschöpfung in Entwicklungs- und Schwellenländern. Ebenso relevant sei das zivilgesellschaftliche Engagement gegenüber Regierungen.
Bild oben: Iris Schöninger von der Hilfsorganisation Deutsche Welthungerhilfe referiert zum Thema Welternährung.
Best-Practice-Beispiel: Coffee Circle
Schöninger nannte in ihrem Beitrag auch konkrete Best-Practice-Beispiele für sozial wirtschaftende Unternehmen wie etwa Coffee Circle, mit dem die Welthungerhilfe kooperiert. Wie sie das machen, berichtete Moritz Voigt von Coffee Circle den Akademieteilnehmern persönlich. Das machte ihm besondere Freude, weil er 2018 selbst an der Slow Food Youth Akademie teilnimmt. Die Gesprächsrunde endete natürlich mit einer Verkostung verschiedener Kaffeesorten.
Bild oben: Kaffeeverkostung mit Moritz Voigt (im blauen Hemd) von Coffee Circle
Slow-Food-Ziel Ernährungssouveränität
Doch damit für den Tag nicht genug. Am Abend stiegen die Changemaker in eine spannende Diskussion über Ernährungssouveränität mit Lena Michelsen von dem INKOTA-Netzwerk, Sven Perten von Goliathwatch, Jürgen Cramer von Edeka Cramer und Tatjana Wolff von Planet Retail ein. Viele Fragen rund um Alternativen für ein nachhaltigeres Handeln, höheres Tierwohl und den ökologischen Lebensmittelanbau wurden in den Raum gestellt und versucht, in ihrer Bandbreite zu diskutieren. Dafür skizzierte Lena Michelsen zunächst die Prinzipien der Ernährungssouveränität und nutzte dafür die Definition von La Via Campesina: „Das Recht aller Völker ihre Ernährung zu bestimmen.“ Dafür brauche es auch aufgeklärte Verbraucher, die selbstständig entscheiden können und wollen.
Sven Perten von dem Projekt Goliathwatch stellte die Menschenrechte entlang der Produktionskette in den Fokus seines Beitrags. Diese müssen eingehalten werden. Außerdem sei es für eine sozial gerechtere Welt unabdingbar, die Marktprinzipien substanziell zu verändern um so unter anderem die Marktkonzentration zu verringern.
Bild oben: Sven Perten, Goliathwatch – Verein für Demokratie statt Macht der Konzerne, bei der Expertendiskussion (2. v. l.)
Siegel im Lebensmittelhandel
Am Sonntag stand das Thema Transparenz und Lebensmittelzertifizierung auf der Agenda. Dazu führten die Teilnehmenden ein Gespräch mit Frank Thiedig, Geschäftsführer der Marketingabteilung und des Qualitätsmanagement der Edeka-Zentrale in Minden. Dabei wurde schnell deutlich, wie schwierig es inzwischen für Verbraucher ist, den Überblick über die verschiedenen Zertifizierungen im Lebensmittelhandel zu behalten und zu wissen, welche Kriterien sich dahinter verbergen.Thiedig erklärte Eigenschaften und Kriterien ausgewählter Tierschutz-, Bio- und Fair-Trade Label und konnte damit etwas Licht ins Dunkel bringen. Ebenso in die Kooperation zwischen Edeka und dem WWF, an der die jungen Erdwachsensen besonderes Interesse zeigten.
Wichtig war es ihm, auch auf die Verantwortung des Verbrauchers hinzuweisen. Denn natürlich mache auch Edeka die Erfahrung, dass sich zwar immer mehr Konsumenten besser ernähren möchten, sich viele von ihnen aber zugleich schwer damit tun, angemessenere Preise für ausgewählte Erzeugnisse zu bezahlen.
Bild oben: Gruppenarbeit mit Frank Thiedig, Geschäftsführer der Marketingabteilung und des Qualitätsmanagement der Edeka-Zentrale in Minden (ganz links)
Teilnehmende bei einem Vortrag
Gruppenarbeit im Seminarraum
Gruppenarbeit im Freien
Mittagspause am Samstag
Alle Bilder: © Slow Food Archiv