Biokulturelle Vielfalt: Was einen erfolgreichen Arche-Passagier auszeichnet
Was haben Alblinse, das Bamberger Hörnla und die Nordhessische Ahle Wurscht gemeinsam? Alle wurden in den ersten Jahren des Bestehens der Arche des Geschmacks in Deutschland (2004-2007) aufgenommen. Und nicht nur das! Wie alle Arche-Passagiere zeichnen sie sich durch ihre individuellen Geschmäcker, Aromen, Farben und Formen aus, die sie dem lokalen Klima, den Böden und den traditionellen Anbau- und Verarbeitungstechniken verdanken. Und sie sind Mutmacher wenn es darum geht, einen langen Atem zu haben, um kaum mehr verbreitete Erzeugnisse wieder bekannt und beliebt zu machen. Es sind die Menschen vor Ort, die sich mit Geduld und Leidenschaft um Nutztiere, Pflanzen und Lebensmittel kümmern, die eine herausragende Rolle für die regionale Identität spielen. Das wachsende Interesse für alte Sorten und regionale Küche ist dabei von Nutzen.
Es braucht ein tatkräftiges Netzwerk
Rund um die meisten Arche-Passagiere, die sich schrittweise wieder am Markt etablieren konnten, hat sich ein Netzwerk von Produzentinnen und Produzenten, Slow-Food-Aktiven, Gastronomen sowie Verantwortlichen aus Tourismus- und Regionalförderung gegründet, welches sich gemeinsam um die Präsenz des Passagiers in den Medien, auf Speisekarten, auf Märkten und in Präsentkörben kümmert. Bei einigen war dies der Startschuss für Gruppen wie den Fördervereinen für die Nordhessische Ahle Wurscht und das Bamberger Hörnla, der Erzeugergemeinschaft für die Alblinse und den Fränkischen Grünkern. Diese Netzwerke entwickeln Qualitätsstandards für die Produktion und die Vermarktung des jeweiligen Passagiers. Sie ermitteln außerdem einen angemessenen Preis und setzen diesen am Markt durch. Die Alblinse, das Bamberger Hörnla und die Nordhessische Ahle Wurscht zeigen, wie das in der Praxis aussehen kann:
Markenzeichen für die Wurst
Der Förderverein Nordhessische Ahle Wurscht e. V. wurde 2004 gegründet und ist für die Medien, das Regionalmanagement und die Tourismusverbände zum verlässlichen Ansprechpartner in Sachen Ahle Wurscht geworden. Dem Förderverein gehören heute acht hessische Metzgerbetriebe, ein Händler und drei Ehrenamtliche aus den Reihen von Slow Food an. Gemeinsam entwickelten sie ein Zertifikat und schärften das Profil und den Markenkern der nordhessischen Rohwurstspezialität. Und das zahlt sich aus: Die Produktion der Rohwurst konnte zwischen 2010 und 2018 um 31 % gesteigert werden. Auch der Absatz der qualitätvollen Ware zu einem angemessenen Preis funktioniert: Die Herstellerinnen und Hersteller, die Mitglied im Förderverein sind, haben sich auf einen Mindestpreis von 30 Euro beim Verkauf des zertifizierten Qualitätsprodukts an Verbraucherinnen und Verbraucher geeinigt. In konventionellen Supermärkten hingegen wird fragwürdige Ware unter dem Namen Ahle Wurscht für 18 Euro pro Kilo angeboten.
Mehr Selbstbewusstsein für Erzeuger der tollen Knolle
Auch beim Bamberger Hörnla war die Aufnahme in die Arche 2005 eine Initialzündung: Informationen zur Geschichte, zum Anbau und zur Weiterverarbeitung dieser Knolle wurden gebündelt, die Erzeugerinnen und Erzeuger miteinander ins Gespräch gebracht, die Gründung des Fördervereins angestoßen. Das hat für mediale Aufmerksamkeit gesorgt und das Selbstbewusstsein der Erzeugerinnen und Erzeuger gesteigert. Fördervereinsvorsitzender Rainer Lesch weiß die Anschubwirkung der Arche zu schätzen. Dass das Hörnla inzwischen zu einer echten Marke geworden ist und sich damit auch ihr Anbau stabilisieren konnte, hat ihr das ‚Leben‘ gerettet. Ein Netzwerk aus zwölf Erzeugerinnen und Erzeuger hat über die Jahre außerdem dafür gesorgt, dass im Großhandel höhere Preise für die Knolle gezahlt werden. Zugleich fragt sich Rainer Lesch, ob die Zunahme an Arche-Passagieren auf Dauer nicht die Marktpotentiale für die einzelnen Passagiere begrenzt: „Das Hörnla ist heute nicht mehr ganz das Besondere, sondern eins von vielen Besonderen“.
Eine Linse der besonderen Art
Aus den wenigen im Jahr 2006 in der Wawilow-Saatgutbank in St. Petersburg gefundenen Alblinsen-Samen ist bis 2018 ein Ertrag von 160t auf 290ha Anbaufläche geworden. Und das, obwohl die Linse im Fruchtwechsel nur jedes sechste Jahr angebaut werden sollte. Sie ist damit nur eins von mehreren Standbeinen der Bäuerinnen und Bauern. Aktuell sind es an die 100 bio-zertifizierte Landwirtinnen und Landwirte, die der Alblinse das Überleben sichern und sie zu einem fairen Erzeugerpreis an die Lauteracher Alb-Früchte von Lutz Mammel liefern, der in seinem Betrieb ihre aufwendige Aufbereitung und Vermarktung übernimmt. Die in 2001 gegründete Öko-Erzeugergemeinschaft „Alb-Leisa“ ist ideell tätig und berät jährlich über die Weiterentwicklung der gemeinsamen Produkte. Lutz Mammel sieht in der Arche des Geschmacks einen wichtigen Werbeeffekt, um einen Passagier bekannt zu machen. Von Vorteil sei vor allem auch die Präsenz auf dem ‚Markt des guten Geschmacks‘ gewesen, der Slow Food Messe in Stuttgart. Lutz Mammel freut sich auch über die wachsende ‚Konkurrenz‘ am Markt: „Immer mehr Bauern, nicht nur in Schwaben interessieren sich wieder für den Linsenanbau. Im Interesse der Nahrungsmittelvielfalt und der nachhaltigen Bodenbewirtschaftung ist es schön, dass wir Nachahmer gefunden haben.“
Neben diesen drei ‚Mutmachern‘ haben sich unter anderem auch der Blaue Frühburgunder von der Ahr, der Schaumwein von der Champagner Bratbirne, der Fränkische Grünkern und der Tauberschwarz bei Verbraucherinnen und Verbrauchern durchgesetzt. Sie können in (Hof)Läden, auf Märkten oder in Onlineshops erworben werden. Ziel ist es, dass die Menschen, die sich für ihren Erfolg verantwortlich zeigen, ihre Erfahrungen im Netzwerk der Arche des Geschmacks weitergeben.
So können Erzeugerinnen und Erzeuger unterschiedlichster Lebensmittel von- und miteinander lernen und wachsen. Deswegen ist es so wichtig, dass auch Passagiere, die inzwischen weniger bedroht sind als andere, Teil der Arche bleiben. Neben Erzeugerinnen und Erzeuger, Händlerinnen und Händlern sowie Verbraucherinnen und Verbrauchern muss auch die Politik maßgeblich dazu beitragen, dass die Marktchancen alter Rassen und Sorten weiter wachsen. Für Weidehaltung, Streuobstanbau und andere Maßnahmen zum Erhalt genetischer Vielfalt auf Äckern und in Gärten müssen Förderprogramme aufgelegt oder EU-Agrarmittel so umgeschichtet werden, dass der besondere Aufwand rentabel wird.
Text: Gerhard Schneider-Rose