Die Arche-Kommission im Gespräch mit Weinexpert*innen

Mit der Arche des Geschmacks möchte Slow Food auf Lebensmittel aufmerksam machen, die vom Aussterben bedroht sind. Die Geschichten dieser traditionellen regionalen Nutztierpflanzen, Tierrassen und verarbeiteten Produkten zu erzählen, ruft sie bei Menschen wieder in Erinnerung. Auch Rebsorten und Weine sind potentielle Kandidaten. Chancen und Herausforderungen, die damit einhergehen, diskutierte die Arche-Kommission gemeinsam mit Weinexpert*innen.

Während bei vielen Nahrungsmitteln die kulturelle Bedeutung nicht auf den ersten Blick sichtbar ist, sieht das beim Wein anders aus: Terroir und Tradition genießen einen hohen Stellenwert und sind wichtige Marketingaspekte. Das macht es für die Arche-Kommission nicht immer ganz leicht, über die Aufnahme von Wein-Passagieren zu entscheiden. Dies gilt insbesondere bei Reben, die keine eigenständige Sorte sind oder erst in den letzten Jahrzehnten die Sortenzulassung erlangt haben. Entsprechend wichtig ist Slow Food und insbesondere der Arche-Kommission der Austausch über Wein in der Arche des Geschmacks.   Die Online-Gesprächsrunde mit ausgewiesenen Weinexpert*innen am 14. November 2020 sowie interessierten Zuhörer*innen aus anderen Slow-Food-Kommissionen und Convivien moderierte Gerhard Schneider-Rose, Leiter der Arche-Kommission.

Dr. Christine Krämer, Historikerin, Gesellschaft für Geschichte des Weines e. V.

Christine Krämer beschreibt den historischen Rahmen des Weinbaus in Deutschland: Seit dem Spätmittelalter gibt es schriftliche Quellen zu Rebsorten in Deutschland, ab dem 16. Jahrhundert Sortennennungen und Sortensortimente z. B. in Botanischen Gärten. Seit dem 18. Jahrhundert wurden Sortensammlungen zur Verbesserung der Weinqualität eingerichtet, im 19. Jahrhundert entsteht ein gezielter Qualitätsanbau. Es gibt wenige heimische Sorten in Deutschland, in erster Linie ist das der Riesling. Üblich war der Ausbau als gemischter Satz, es gab aber auch reinsortige Weine. Wenn eine Sorte sich über Jahrhunderte an einen Standort angepasst hat und es eine regionale Anbautradition und eine lokale Weinkultur gibt, kann man sie als eine authochtone Sorte bezeichnen, die durch die Arche des Geschmacks schützenswert ist, wenn sie vom Aussterben bedroht ist. Krämer hält auch Klone für archetauglich, wenn aus der gezielten Kultivierung eine sehr unterschiedliche Weinbautradition entstanden ist, die sich auch im Geschmack bemerkbar macht.

Krämer spricht sich gegen das Retten alter Sorten um jeden Preis aus, betont vielmehr die Wichtigkeit eines Nutzens für heutige Ansprüche: Die klimatischen Bedingungen können heute für alte Sorten viel besser sein als zu dem Zeitpunkt, als sie wegen Ertragsproblemen verdrängt wurden. Auch Änderungen der verbreiteten Geschmacksvorlieben können alte Sorten wieder hoch attraktiv machen. Sie nennt als Beispiel den roten Veltliner.

Hubert_Konrad(c)privat.jpgHubert Konrad, Dipl. Ing, ehemaliger Mitarbeiter für Rebzüchtung an der Hochschule Geisenheim, Mitglied der Wein-Kommission von Slow Food

Für Hubert Konrad sind Sorten archetauglich, nicht Klone. Klone sind für die Vermehrung genutzte Weinstöcke, die konkrete Eigenschaften an damit veredelte Jungpflanzen weitergeben. Klone können zu einer neuen Sorte werden, wenn sie eine deutlich unterschiedliche Mutation zur Muttersorte aufweisen. Dies ist zum Beispiel beim Blauen Silvaner der Fall, der seit 1985 als eigenständige Sorte eingetragen ist. Beim Heilbronner Clevner zum Beispiel gibt es als Unterscheidungsmerkmal zu anderen Spätburgundern allein den aufrechten Wuchs. Dies rechtfertigt für ihn nicht die Aufnahme in die Arche.

Alle Reben, die vor 1900 als eigenständige Sorten eingetragen waren, sind für ihn historische Sorten, die archetauglich sind, wenn eine Gefährdung vorliegt.

Er beschreibt als wesentliche Ursachen für den Sortenrückgang im Weinbau: Kriege, klimatische Änderungen, Beschränkung auf als qualitativ hochwertige eingeschätzte Sorten.

Hubert Konrad erzählt vom Versuch, einen gemischten Satz im Rheingau zu etablieren. Der „historische Rebensatz im Rheingau“ ist inzwischen beim Patentamt eingetragen und könnte durchaus Arche-Kandidat werden. Seine Vorschläge für die Arche sind: Gelber Orleans, Blauer Elbling, Gelber Heinling.

Josef_Engelhart_(c) privat.jpgJosef Engelhart, Weinbautechniker und Ampelograph, Bayrische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau Veitshöchheim

Josef Engelhardt berichtet von den züchterischen Bemühungen, viele alte Rebsorten aus Weinbergen zu holen, züchterisch aufzubereiten und in die Weinberge zurückzubringen. Teilweise werden im Zuge des Klimawandels große Hoffnungen in diese Sorten gesetzt. Er weist auf vom Aussterben bedrohte einheimische fränkische Sorten hin: fränkischer Burgunder, Adelfränkisch, Vogelfränkisch, Bukettrebe, Hartblau, und Bukettsilvaner.

Aus seiner Sicht ist Marketing entscheidend für die Auswahl der Rebsorten im Weinberg. Die Winzer dampfen ihre Sortenauwahl auf die am meisten beworbenen Sorten ein, historische und seltene Sorten gehen dabei unter.

Als Untergrenze an verfügbarer Rebfläche schlägt er 10 ha für neue Archepassagiere vor, 200 ha als Obergrenze.

Martin Wurzer-Berger_(c)_privat.jpgMartin Wurzer-Berger, Leiter der Wein-Kommission von Slow Food Deutschland

Martin Wurzer-Berger warnt davor, Passagiere in die Arche primär aus Marketinggründen aufzunehmen: Es reicht nicht als Argument, dass eine Rebsorte „Unterstützung gebrauchen kann“. Er betont die Wichtigkeit der Reihenfolge: Ein Produkt droht unterzugehen, wird deshalb in die Arche aufgenommen und wird dann von Slow Food im Marketing unterstützt.

Er sieht in Deutschland sehr viel Engagement für alte Rebsorten; ein Engagement von Slow Food im Rahmen der Arche des Geschmacks hält er in anderen Lebensmittelbereichen für dringlicher.

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Nach den Statements der einzelnen Expert*innen entwickelte sich eine konstruktive Diskussion mit den Zuhörer*innen. Im Vordergrund stand die Frage, wie bedeutsam ein gutes Marketing für die Entscheidung zur Aufnahme eines Passagiers sein darf. Außerdem wurden die hohen Kosten für Sortenzulassungen im Weinbau und die hohen Hürden für die Zulassung von Erhaltungssorten thematisiert.

Mit dabei war auch die amtierende Vorsitzende von Slow Food Deutschland, Dr. Nina Wolff. Sie freute sich über die Mitwirkung der Expert*innen und die zahlreichen Anregungen und unterstrich das Interesse des Vereins, diese Diskussion fortzuführen. Sie schlug vor, ähnliche Formate auch für andere Bereiche des Engagements von Slow Food zu organisieren.

Ein ausführliches Protokoll des Gespräches und ein Audiomitschnitt stehen für Slow-Food-Mitglieder >> hier zur Verfügung.

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