Appell an die neuen EU-Kommissar*innen, die Doppelstandards in der EU-Handelspolitik zu beseitigen: Ein neuer Bericht, von Slow Food und EU-Partner*innen veröffentlicht, zeigt die Regelungslücken bei Importstandards für EU-Drittstaaten auf

21.11.2024 - Ein neu veröffentlichter Bericht, verfasst von einem Bündnis aus neun zivilgesellschaftlichen Organisationen aus sechs EU-Mitgliedstaaten, deckt erhebliche Regelungslücken und Doppelstandards für Import-Lebensmittel aus Drittstaaten auf. Analysiert wurden sieben landwirtschaftliche Produkte (Rindfleisch, Soja, Raps, Reis, Schaf- und Ziegenfleisch sowie Äpfel). Der Bericht mit dem Titel „Doppelstandards auf unseren Tellern: Spiegelmaßnahmen zur Abschwächung der Auswirkungen der Handelspolitik für ein nachhaltiges Lebensmittelsystem“ zeigt, dass die in der Europäischen Union geltenden Mindeststandards für die Lebensmittelproduktion nicht für Import-Lebensmittel aus Drittstaaten gelten. Dies wirkt sich vor allem auf Mensch, Tier und Umwelt in Produktionsländern negativ aus und bedeutet fehlende Transparenz für hiesige Verbraucher*innen. Das EU-Bündnis fordert die EU deshalb auf, den Import von Lebensmitteln stärker an Umwelt- und Sozialstandards zu binden - durch die Ausweitung schon bestehender Spiegelmaßnahmen.

Die im >> Bericht erhobenen Daten aus den beteiligten EU-Mitgliedstaaten sowie Aussagen von befragten Landwirt*innen zeigen, dass importierte Agrarprodukte häufig nicht den in der EU geltenden Gesundheits-, Umwelt- und Tierschutznormen entsprechen. Diese Inkonsequenz benachteiligt europäische Landwirt*innen, während gleichzeitig Produzent*innen in EU-Drittländern die Hauptlast nicht nachhaltiger Anbaumethoden tragen. Testimonials, u.a. aus dem internationalen Slow-Food-Netzwerk, bekräftigen daher im Bericht die Forderung an die EU, Verantwortung für die gesamte globale Lieferkette von Import-Lebensmitteln zu übernehmen. Bei Praktiken, die in den Produktionsländern unter anderem zu Pestizidvergiftung, Umweltzerstörung und Land Grabbing führen, darf die EU nicht wegschauen.

Forderungen an die neue EU-Kommission

Anlässlich des Amtsantritts der neuen EU-Kommission fordert der Bericht gezielte Maßnahmen:

  • Schutz der europäischen Landwirtschaft vor unlauterem Wettbewerb;
  • Förderung nachhaltiger Praktiken und Stärkung des Tierschutzes auch außerhalb der EU;
  • Reduzierung der ökologischen und gesundheitlichen Auswirkungen europäischer Importe auf Mensch, Tier und Natur in Produktionsländern.

In einer Zeit wachsender Handelskonflikte und Debatten, wie etwa über das Mercosur- Freihandelsabkommen, ist ein Kurswechsel dringend notwendig. Handelspraktiken, die Landwirt*innen auf beiden Seiten schaden und die Gesundheit von Mensch und Umwelt gefährden, dürfen nicht weiter Bestand haben.

Infolge der jüngsten Wahlergebnisse in den USA wird zurzeit viel über die Wahrscheinlichkeit von künftigen Zöllen und Beschränkungen im Handel zwischen der EU und den USA gesprochen. Hinzu kommt, dass sich der für Landwirtschaft und Ernährung zuständige EU-Kommissar, Christophe Hansen, in seiner jüngsten Anhörung für das Mercosur-Freihandelsabkommen ausgesprochen hat. Es ist also mehr denn je wichtig, auf einige Elemente hinzuweisen, die bereits jetzt eine wirtschaftliche Benachteiligung der Landwirt*innen verursachen und die Gesundheit der Menschen und des Planeten gefährden.

Beispiele für problematische ImporteRindfleisch_150dpi.jpg

  • Sojabohnen: Rund 90 % der in der EU verwendeten Sojabohnen stammen aus Nord- und Südamerika. Diese werden oft mit Pestiziden behandelt, die in der EU verboten sind, oder sind gentechnisch verändert, um einem hohen Herbizideinsatz standzuhalten. Solche Importe untergraben die europäische Sojaproduktion und schädigen die Umwelt und die Gesundheit der Produzent*innen in den Herkunftsländern. Christophe Garroussia, ein französischer Sojabohnenproduzent, betont: „Warum sollten wir GVO-Soja akzeptieren, das aus abgeholzten Gebieten stammt und mit verbotenen Pestiziden behandelt wurde? Das gefährdet unsere Nahrungsmittelsicherheit und verhindert nachhaltige Lieferketten.“
  • Rind- und Schaffleisch: Fleischimporte aus Drittländern verstoßen oft gegen EU-Tierschutzstandards. Auch werden meist Antibiotika als Wachstumsförderer eingesetzt: Praktiken, die in der EU streng reguliert sind. Dies schafft unfaire Wettbewerbsbedingungen und birgt Risiken für die öffentliche Gesundheit.

Spiegelmaßnahmen als Ansatz

Die Einführung von Spiegelmaßnahmen wäre ein Ansatz, um

  • Landwirt*innen faire Preise zu sichern;
  • den Übergang zu agrarökologischen Praktiken zu beschleunigen;
  • Lieferketten nachhaltiger zu machen und verantwortungsvollen Konsum zu fördern.

Ein Markt mit 450 Millionen Verbraucher*innen verleiht der EU die Möglichkeit, den negativen Einfluss ihrer Lebensmittelimporte auf Produktionsländer spürbar zu mindern. Fortschritte wurden bereits durch einzelne Spiegelmaßnahmen erzielt, etwa zu Importen aus Entwaldungsgebieten oder zu Antibiotikarückständen. Doch diese Maßnahmen müssen ausgeweitet und konsequent angewendet und nicht verwässert werden. Wir kritisieren zum Beispiel, dass die Umsetzung der EU-Entwaldungsverordnung (EUDR) verschoben wurde: Jüngst hat das EU-Parlament dem Vorschlag der EU-Kommission zugestimmt, das Inkrafttreten der Verordnung um ein Jahr auf Ende 2025 zu verschieben. Hinzu kommt, dass konservative EU-Abgeordnete intensive Lobbyarbeit betrieben haben und weiter versuchen, die Verordnung massiv zugunsten der Industrie abzuschwächen. Schon beschlossen wurde zum Beispiel, Regionen und Ländern je nach Einstufung des Entwaldungsrisikos einen Freifahrtschein zu gewähren. Für Länder, die mit „Null Risiko“ eingestuft werden, sollen deutlich abgeschwächte Anforderungen gelten.

Handelspolitische Maßnahmen für nachhaltige Lebensmittelsysteme

Die Einführung von Spiegelmaßnahmen wird im Bericht als entscheidend für eine fairere und nachhaltigere Handelspolitik hervorgehoben. Der Fokus sollte dabei liegen auf

  • Angleichung der Standards zur Schaffung fairer Wettbewerbsbedingungen, jenseits von ausgrenzenden, protektionistischen und populistischen Ansätzen und zugunsten eines inklusiven und gerechten Welthandels;
  • Förderung agrarökologischer Praktiken weltweit.

Ein solcher Ansatz könnte die EU-Handelspolitik stärker mit den Zielen des EU-Green Deals in Einklang bringen und einen faireren Wettbewerb fördern. Er würde Landwirt*innen in und außerhalb der EU stärken und schließlich einen Beitrag zum Schutz von Umwelt, Gesundheit und sozialer Gerechtigkeit leisten.

Zum Bericht:

>> Den vollständigen Bericht und Beispiele aus der Lieferkette finden Sie hier

>> Mehr Informationen zum Thema inklusive Bericht auf Deutsch von Slow Food Deutschland

Mitwirkende Organisationen: CNCD 11.11.11, Feedback EU, FNH, Humundi, Veblen Institute, SEO Birdlife, Slow Food, Slow Food Deutschland, Slow Food Italien.

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