Die Ostsee und der Streit um die Quote
Die EU-Fischereiminister haben die Fangquoten 2025 für die Fischbestände der Ostsee beschlossen. Die Quoten für Dorsch und Hering, die beiden für die Fischerei wichtigsten Fischarten, bleiben stark begrenzt. Der Dorsch darf auch im kommenden Jahr nicht mehr direkt befischt und nur in kleinen Mengen als Beifang angelandet werden. Auch für Freizeitangler gilt weiterhin ein Fangverbot auf Dorsch. Beim Heringsbestand der westlichen Ostsee wurde der kleinen Küstenfischerei als Ausnahme zugestanden, dass sie mit passiven Fanggeräten wie Stellnetzen in reduziertem Umfang fischen darf.
Insgesamt bleibt die Lage für Fischer und Fischbestände gleichermaßen prekär. Der Dorsch zeigt trotz des stark minimierten Fischereidrucks keine Zeichen einer Erholung. Und der einst riesige Heringsbestand der westlichen Ostsee hat sich nur leicht erholt und schwimmt weiter im tiefroten Bereich.
Kaum waren die neuen Fangquoten veröffentlicht, hagelte es Kritik. Die Naturschutzorganisationen verlangen noch stärkere Einschnitte. Die jetzt erlaubten Beifang-Quoten für Dorsch und Hering müssten noch stärker reduziert werden, fordern sie.
Doch die reflexhafte Kritik an den Fangquoten folgt eher alten Ritualen als neuen Herausforderungen. Es stimmt: Dorsch und Hering wurden über Jahrzehnte kurz und klein gefischt. Doch inzwischen ist der Fischereidruck in der Ostsee nicht mehr der Hauptgrund für den verheerenden Zustand der Fischbestände. Beim Dorsch ist die erlaubte Fangmenge gegenüber 2017 bereits um 99,5 Prozent reduziert, beim Hering um 97 Prozent. Man könnte die Fischerei auch ganz auf Null stellen, erklärt Christopher Zimmermann vom Thünen-Institut für Ostseefischerei, es würde sich nichts ändern. Die Erholung der Bestände wird noch Jahre dauern.
Oben zu warm, unten zu wenig Sauerstoff
Nicht die Fischerei, sondern massive Nährstoffeinträge, Umweltgifte, die Klimakrise und die wirtschaftliche Übernutzung der Ostsee sind jetzt die Haupt-Stressoren für das von neun Ländern umschlossene Binnenmeer und seine Fische. „Die weiterhin hohen Nährstoffkonzentrationen führen zu einer verstärkten Eutrophierung und in der Folge zu einem hohen Sauerstoffverbrauch in unteren Wasserschichten durch bakterielle Zersetzungsprozesse“, heißt es in einem Bericht der Leitbildkommission Ostsee (LKO). Das immer wärmere Wasser oben und die Sauerstoffnot unten haben sich zu einem lebensbedrohlichen Sandwich vor allem für den Dorsch entwickelt. Fast ein Fünftel des Ostseeterrains ist inzwischen biologisch tot.
Auch der Hering leidet verstärkt unter der Klimakrise: Wegen der milden Winter und hohen Wassertemperaturen ist der Heringsnachwuchs viel zu früh unterwegs. Und verhungert deshalb. Seine Hauptnahrung, die Larven des Ruderfußkrebses, entwickeln sich erst später – mit zunehmendem Lichteinfall und nicht mit steigender Wassertemperatur.
Die großen Flüsse bringen die Nährstoff-Frachten
Was kann getan werden, um der Ostsee neues Leben einzuhauchen? Um die Erholung der Fischbestände zu beschleunigen? An erster Stelle gilt es, die Nährstoffeinträge aus der Landwirtschaft, aber auch aus Industrie und Verkehr, dringend zu reduzieren. Die Ostsee wird permanent überdüngt. Hauptsächlicher Verursacher dieser Düngerorgie ist die Landwirtschaft. 70 bis 90 Prozent des Stickstoffs und 60 bis 80 Prozent der Phosphormassen stammen aus landwirtschaftlichen Quellen. Die großen Flüsse – Oder, Weichsel, Newa, Düna –transportieren gewaltige Mengen an Nähr- und Schadstoffen. Jedes Jahr fließen rund 500 Milliarden Kubikmeter belastetes Flusswasser in die Ostsee.
Mit Feuchtgebieten gegen die Überdüngung
Vernässte küstennahe Feuchtgebiete wie Moore, Schilfgürtel und Riedbestände könnten zumindest einen Teil der Nährstofffrachten verwerten, sofern sie in gutem Zustand wären. Die EU-weite Verschärfung der Düngevorschriften – in Deutschland ist die Novellierung des Gesetzes in diesem Jahr erneut kläglich gescheitert – würde massiv helfen. Barrieren in den Mündungsgebieten könnten zumindest die Plastikfluten reduzieren.
Kurzfristig scheint keine Besserung in Sicht. Ein wichtiges positives Signal für das Überleben der kleinen Küstenfischerei ist immerhin die Erlaubnis, dass sie mit Stellnetzen in begrenztem Umfang weiter Hering fangen darf. In den vergangenen Jahren sind immer mehr Fischerinnen und Fischer in den Nebenerwerb gewechselt oder sie haben ganz aufgegeben. Wegen der bedrohten Existenzgrundlage der kleinstrukturierten deutschen Ostseefischerei gibt es kaum noch Neueinsteiger in diesen Beruf. Zuletzt wurden in Schleswig-Holstein zwei Auszubildende gezählt, in Mecklenburg-Vorpommer war es ein einziger Berufsanfänger. Ohne Fische keine Fischer: Die Anzahl der Fischereibetriebe an der Ostsee ist nach Angaben der LKO von 1250 im Jahr 2000 auf aktuell nur noch 552 Betriebe gefallen – bei weiter sinkender Tendenz. Mit dem Verlust der Fischereibetriebe geht nicht nur Expertise verloren, es wächst auch die Abhängigkeit von der industriellen Großfischerei mit ihren Fängen aus aller Herren Länder.
Aktuell stellt in der Ostsee übrigens die kleine Sprotte den wichtigsten Fischbestand. Sie wird allerdings vorwiegend zur Fischmehl-Erzeugung gefangen. Und die jetzt beschlossenen Fangquoten für den kleinen Beutefisch werden, anders als bei Dorsch und Hering, zurecht als zu hoch kritisiert, denn die Nachwuchs-Jahrgänge sind auch bei diesem Fisch wieder schwach ausgefallen.
Autor: Manfred Kriener